Altjahrsabend

Es muss vor inzwischen sieben oder acht Jahren gewesen sein. Große Party zum Altjahrsabend (ich mag diesen Begriff einfach lieber als das schnöde „Silvester“) bei meinem Mann und mir. Euphorische Stimmung und Anstoßen mit Sekt an Mitternacht, anschließend raus auf die Straße, um den Nachbarn beim Feuerwerk zuschauen. Überall knallt und zischt es, bunte Funkenregen gehen auf das Quartier nieder. Auf der anderen Straßenseite sehe ich eine junge Frau – nein, eher noch ein Mädchen vor einem Auto auf und ab gehen. Sie sieht ein bisschen der Welt entrückt  aus. Erst vermute ich, dass sie betrunken ist. Doch offenbar hat sie sich nur aus dem Auto ausgesperrt; abwechselnd zieht sie an der Tür und starrt ratlos ins Wageninnere. Krach-bumm-peng – Knallfrösche explodieren, neue Raketen werden gezündet, die Straße ist vernebelter als London an einem Oktobermorgen. Als der Qualm sich zwischendurch kurz verzieht, ist das Mädchen weg.

Irgendwann ist die Knallerei vorbei, wir gehen zurück in unsere Wohnung. Kleiner Absacker, und gegen halb drei wird die Runde allmählich bettschwer. Sofas werden ausgeklappt, Feldbetten aufgestellt, Luftmatratzen aufgepumpt. Zwei unserer Gäste, die nicht gerne auswärts übernachten, machen sich noch auf den langen Weg zurück nach Travemünde. Ich bringe sie zu ihrem Auto, verabschiede mich und winke ihnen noch kurz hinterher. Dann will auch ich nur noch in die Buntkarierten.

Auf dem Weg zurück zum Haus sehe ich das Mädchen wieder. Sie läuft auf und ab wie ein Tiger im viel zu engen Käfig. Ihr vorhin noch verzweifelter Blick hat jetzt etwas Wildes. Aber von Aggressionen scheint sie weit entfernt. Bis zu dem Moment, als sie mit aller Macht gegen die Scheinwerfer eines Autos tritt. Glas splittert, sie bricht heulend zusammen. Okay, der kann nur noch professionell geholfen werden. Ich halte ein Pärchen an, zum Glück sind sie nicht angetüddert. Während die Frau nach einem Krankenwagen telefoniert, heben der Mann und ich die Deern hoch und schleppen sie zum nächsten Hauseingang, wo sie ein bisschen vor dem kalten Januarwind geschützt ist. Verletzt ist sie zum Glück nicht, auch hat sie keine Alkoholfahne, dafür ist sie aber völlig mit den Nerven am Ende. Wir reden auf sie ein, versuchen ihr zumindest zu entlocken, wie sie heißt. Vergeblich.

Gut zehn Minuten später ist der Spuk vorbei. Ich spreche noch kurz mit dem Pärchen, bedanke mich für die Hilfe und kann dann endlich Kurs auf mein Bett nehmen. Das Mädchen hat ein Sedativum gespritzt bekommen und ist auf dem Weg in die Notaufnahme. Ich habe sie nie wieder gesehen.

Nicht für jeden Menschen erfüllt sich der Wunsch eines „frohen neuen Jahres“. Für manche beginnt das neue Jahr richtig bes***en. Genau für diese werde ich – wie in jedem Jahr auch – eine Kerze anzünden. Erscheint mir einfach sinnvoller als die Investition in Kracher und bunt funkelnde Raketen.

Dies ist ein Abstandhalter.

Das war der letzte Eintrag im Wortgepüttscher für 2013. Allen Lesern herzlichen Dank für die Besuche hier und das bunte Feedback. Wir lesen uns in 2014 wieder – kommt gut und vor allem gesund rüber!

Nennen wir’s doch einfach „Dieter“!

Es fing schon im November an – darf man das dann stattfindende Fest mit den Laternen immer noch als „St. Martin“ bezeichnen? Oder ist „Sonne-Mond-und-Sterne-Fest“ angebrachter? Und selbst bei dem Fest, das wir vom 24. bis 26. Dezember begangen haben, erhitzen sich immer öfter die Gemüter, ob man statt „Weihnachten“ nicht lieber Weiterlesen

Möbelgepüttscher

Wenn ich mal wieder sehen möchte, wie meinem Mann sämtliches Blut aus dem Gesicht entweicht wie das Wasser aus einer Badewanne bei gezogenem Stöpsel, stelle ich mich einfach mitten in die Küche (wahlweise auch Wohn- oder Schlafzimmer) und lasse ganz sinnig und suutje den Blick schweifen. Ringsum.

„Was hast du nun schon wieder vor?“

Der Stöpsel ist gezogen.

„Och, nix Großartiges, aber ich dachte, wenn wir den Tisch…“

An dieser Stelle ist die „Badewanne“ bereits leer.

Nichts kommt einem Kampf der Titanen näher als unsere verschiedenen Ansichten über die perfekte Einrichtung einer Wohnung. Wenn wir nicht in unzähligen anderen Punkten so gut harmonierten, hätten wir kaum die letzten fünfzehn Jahre miteinander ausgehalten. Es passt einfach nicht wirklich, wenn einer am liebsten wie eine Mischung aus Wirtschaftswundermuseum und Stilaltbau meets norddeutsche Klarheit leben will, während der andere am liebsten so minimalistisch leben möchte, dass das 15-m²-Wohnzimmer die Illusion vermittelt, ein 150-m²-Loft zu sein.

Alle meine Versuche, durch ständige geschickte Neuarrangements der vorhandenen Möbel einen Kompromiss herzustellen, sind sowas von fehlgeschlagen, dass jeder andere längst aufgegeben hätte. Aber ich bin nun mal sturer Stier, außerdem macht mir die Möbelrückerei unheimlichen Spaß. Ergo gibt’s auch weiterhin in unregelmäßigen Abständen neue Anläufe. Mein Mann hat sich darüber in stille Resignation geflüchtet. Nur selten wagt er noch offene Opposition.

Vorhin waren wir gemeinsam einkaufen. Auf dem Weg zum Bezahlen hat er mich so vom Weg abgedrängt, dass wir letztlich an der Kasse standen, die am weitesten entfernt von den Zeitschriften und Tabakwaren war. Woher hat er nur gewusst, dass ich mir heute nach längerer Pause wieder mal ein Einrichtungsmagazin kaufen wollte?

Rache ist süß. Manchmal muss man etwas drauf warten, aber diesmal ging’s schnell – er hat vergessen, sich Zigaretten zu kaufen und musste nochmal los.

Die Dr.-Frankenstein-Versuchsküche empfiehlt…

Letzte Woche habe ich bei meiner privaten Facebook-Seite mal wieder das Titelbild geändert. Ein schon etwas älteres Motiv, vor etwa zwei Jahren aufgenommen, als ich gerade meine erste Spiegelreflexkamera bekommen hatte und alles Mögliche knipste. Es zeigt einen Elefanten. Nein, keinen echten, sondern eine Erdbeere, die – aus der richtigen Perspektive betrachtet – tatsächlich die Silhouette eines niedlichen kleinen Babyelefanten hat. Etwa wie der Sohn von Colonel Hathi und Gemahlin Winifred aus Disneys „Dschungelbuch“.

Zur Entstehungszeit hatte ich das Foto schon mal als Titelbild, da ist es aber weitgehend unbemerkt geblieben – wohl auch deshalb, weil ich es bereits einen Tag später wieder durch ein anderes Motiv ersetzt hatte, das ich noch ein bisschen besser fand. Typischer Fall von „Mann & neues Spielzeug“ eben.

Diesmal aber hat der kleine Erdbeerfant mehr Aufmerksamkeit erregt. In Kommentaren und privaten Nachrichten war davon die Rede, „was Genmanipulation doch alles so anrichten kann.“

Kartoffeln in Herzform, Karotten wie aus dem Baukasten für Voodoopuppen oder eben auch ungewöhnlich geformte Erdbeeren haben wir aber doch immer wieder mal in unserem Einkaufskorb gehabt – lange bevor genmanipulierte Lebensmittel in aller Munde waren (no pun intended). Die Spontanreaktion darauf war meist ein „Och, wie niedlich“ – heute verleitet es scheinbar dazu, zuerst an Negatives zu denken. Irgendwie schade.

Das Bier von Radio Andorra

Ratgeber gehören zu den meistgekauften Sachbüchern überhaupt. In manchen Buchhandlungen ist die entsprechende Abteilung inzwischen manchmal größer als alle anderen. Die meisten beschäftigen sich mit dem uralten Thema Schönheit. Ich bin sicher, schon Kleopatra hatte irgendwo die Papyrusrollen einer Vorgängerin gehortet, die ihr so ganz von Pharaonin zu Pharaonin verrieten, warum ausgerechnet Eselsmilch so gut für das Hautbild sein sollte und nicht etwa die von Gnus.

Gestern ist mir beim Stöbern in meinem Regal mit Buchantiquariat das Werk Schön sein – schön bleiben von einer gewissen Lilo Aureden, erste Auflage Juli 1955, in die Hände gefallen. Eigentlich hatte ich mal wieder die Memoiren von Hubert von Meyerinck lesen wollen, aber Frau Aureden erwies sich als mindestens ebenso kurzweilig.

Die meisten ihrer Tipps für die äußere und innere Schönheit sind selbst nach achtundfünfzig Jahren immer noch hochaktuell, wenn sich auch einige Rohrkrepierer darunter befinden. So befindet Frau Aureden unter anderem, dass man beim Sonnenbad die Sonnenbrille ruhig durch zwei Ahornblätter auf den Augen ersetzen könne. Ha – den Menschen, der von diesem Muster in seinem Teint begeistert wäre, möchte ich zu gerne kennenlernen! Obwohl… heutigentags wundert einen ja nix mehr.

Wie dem auch sei – hauptsächlich ist es die herrliche Ausdrucksweise, die das Buch zu so einem Vergnügen macht. Da gibt Frau Aureden zum Beispiel folgenden Rat für anmutiges Gehen: „Setzen Sie die Füße nicht überkreuz [sic], sonst rollen Sie wie eine Korvette in mittelschwerer See.“

Was für ein Vergleich! Margaret Rutherford hat die Beine auch nicht überkreuz gesetzt, trotzdem nannte man sie in England Die Korvette mit guten Manieren

Oder wenn Frau Aureden vom Kleinkrieg gegen das Alter spricht: „Es ist ein Guerillakrieg mit List und Tücke, den jede Eva hartnäckig wie eine Partisanin führt.“

Heute ist es ja ganz egal, ob Mann oder Frau einen Schönheitsratgeber konsultiert, aber Tarnfarbe ist wohl das Letzte, was man sich gegen Falten ins Gesicht kleistern würde, und so ein Netz, unter dem man sonst Panzer versteckt, ist auch nicht wirklich kleidsam.

Mein persönliches Highlight der blumigen Ausführungen war: „Eine brillante Stimme, die so zärtlich, zart und eindrucksvoll Gute Nacht wünscht wie eine Radioansagerin von Andorra, die vergisst kein Mann.“

Das glaube ich gerne! Selbst wenn besagte Radioansagerin eine Stimme hat wie Fingernägel, die über eine Schiefertafel kratzen, und ihr Gute Nacht sich wie der Befehl zur Evakuierung eines sinkenden Schiffs anhört, wird sie unvergessen bleiben, denn wie viele Männer können sich schon rühmen – und das gilt für 1955 ebenso wie für 2013 – überhaupt einmal eine Radioansagerin aus Andorra gehört zu haben?!

Solche Perlen finden sich auf fast jeder der knapp 450 Seiten. Mitunter lustiger als jede Komödie – eine echte Leseempfehlung für alle, die neben der Funktion des Ratgebers auch den Unterhaltungswert zu schätzen wissen.

Nur einmal ist mir wirklich nicht zum Lachen zumute gewesen – da empfiehlt Frau Aureden doch tatsächlich als Patentmittel für die längere Haltbarkeit einer Dauerwelle eine Haarspülung aus Bier! Es versteht sich doch wohl von selbst, dass dieses Gebräu nur innerlich anzuwenden ist!

Einer kam durch

Zugegeben – er ist ungenießbar. Dieser Umstand hat ihm vermutlich das Leben gerettet, doch gleichzeitig auch eine lange Wanderung beschert.

Zu Anfang, im letzten März, lag er gleich am Eingang, noch vor der Gemüseabteilung, in einem Pappkarton mit schätzungsweise hundert seiner Artgenossen. Diese wurden mit der Zeit immer weniger, bis schließlich nur noch er, dieser eine besondere, übrig blieb. Niemand nahm von ihm Notiz obwohl er wirklich auffiel, wenn er zwischen den Gurken saß oder auf den Radieschen thronte.

Zwei Monate später lag er weiter hinten auf der Aktionsfläche in den Drahtboxen. Mal in der einen, mal in der anderen. Von einem exponierten Platz auf einem Stapel Flaschen mit Maibowle arbeitete er während des Sommers über Pakete mit Lichterketten für den Balkon, Grillbesteck und Rosenscheren bis zu den letzten Flaschen Mixgetränk, Geschmacksrichtung Caipirinha, vor.

Danach schien er verschwunden zu sein, doch kurz vor St. Martin tauchte er zwischen Laternen und Backmischungen für Martinsbrezel wieder auf. Und auch danach war er immer wieder mal zu entdecken.

So wie heute. Als ich mit einem Paket Cornflakes in der Hand zur Kasse ging, lag er in der kleinen Kiste mit extrem reduzierten Artikeln – zwischen einer einzelnen Zahnbürste, einem Paket Kaffeepads und Weinbrandbohnen kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums.

Der kleine Kerl tat mir leid, darum habe ich ihn fünfzehn Tage vor Heiligabend gekauft – den letzten Keramikosterhasen.

Jetzt bin ich nur auf eins gespannt: Wie lange halten wohl die Keramikrentiere durch, die nun am Eingang liegen?

Trækfugle

Der Däne Michael Falch ist einer meiner Lieblingsmusiker. Sein Song Trækfugle läuft gerade zum Herbst hin bei mir in Dauerrotation im CD-Player, was passend ist, erzählt das Lied doch wörtlich und metaphorisch von Zugvögeln.

20131111-1Heute in meiner Mittagspause musste ich unwillkürlich an dieses Lied denken. Ein langer Spaziergang durch das herbstliche Dortmund mit möglichst viel Park- und sonstigen Grünanlagen längs des Wegs. Sonne satt, klarer blauer Himmel – und über mir zog ein Schwarm Wildgänse nach dem anderen dahin. Wieviele Tiere waren es? Fünfhundert? Tausend? Doch nur hundertdreiundzwanzig? Keine Ahnung. Aber es war traumhaft schön – auch wenn der Formationsflug dieser schönen Tiere nun keinen Zweifel mehr aufkommen lässt, dass winterliche Nässe, Kälte und Dunkel unaufhaltbar näherkommen.

Doch warum sich die von der Sonne so herrlich aufgehellte Laune verderben lassen? Es ist bereits der 11. November – in nur 40 Tagen lässt die Wintersonnenwende die Tage schon wieder heller und länger werden. Und dieser wirklich herrliche Sommer 2013 hat die Energievorräte genügend aufgetankt, um diese kleine Durststrecke problemlos zu überstehen.

Zurück an den Schreibtisch – mit Energischub und neuen Ideen!

Nikolaustag

Heute ist der 6. Dezember – traditionell der Tag, an dem man eine kleine vorweihnachtliche Überraschung in seinem Stiefel finden kann. Eine solche kleine Überraschung in Form einer weihnachtlichen Kurzgeschichte habe ich hier in einem virtuellen Nikolausstiefel versteckt. Viel Freude beim Lesen!

Doch nicht 42…

Keine Ahnung, ob wir den großen Rumpelkammergott verärgert haben, doch nachdem mein Mann und ich zu der Erkenntnis gelangt sind, dass das Eigenleben unserer Rumpelkammer ein wenig zu ausufernd geworden ist, haben wir sie heute von heute Mittag an aufgeräumt. Bis gerade eben, etwa 22:45 Uhr

Dabei wurde die kürzlich hier erwähnte These, dass „42“ wirklich die Frage auf alle Antworten ist, eindeutig widerlegt. Denn bei der Aktion sind alleine 83 Gefrierdosen, 19 davon ohne Deckel, aufgetaucht. Beide Zahlen lassen sich weder glatt durch 42 teilen noch sind sie durch potzenzieren, Wurzel ziehen oder Logarithmen mit ihr in Einklang zu bringen.

Lediglich die Theorie mit dem schwarzen Loch in der Waschmaschine ist bestätigt worden.

Herzlichen Glückwunsch, es ist eine Buchhandlung!

Mit gespannter Erwartung reiße ich das Paket auf. Da ist es, das Objekt meiner Begierde. Ich schlage es auf, blättere in den ersten Seiten. Sieht gut aus. Doch jetzt die Nagelprobe: Seite 126, 127, 128, 97… NEIN! Nicht schon wieder! Dreimal habe ich dieses Buch bereits zu diesem blöden Online-Versand zurückgeschickt, jetzt ist es zum vierten Mal mit dem gleichen appeldwatschen Fehler geliefert worden: Seite 97 bis 128 sind doppelt, dafür fehlen Seite 129 bis 160. Hatte man mir an der Kundenhotline nicht beim letzten Mal versprochen, die neuerliche Sendung überprüfen zu lassen, bevor sie rausgeht? Aber ich habe meiner Mutter ja früher auch immer versprochen, den Müll mit rauszunehmen…

Bei einem etwas teureren Buch würde ich das Pingpong-Spiel solange durchziehen, bis endlich ein fehlerfreies Exemplar geliefert wird. Aber bei einem Buch mit Geistergeschichten von Edith Nesbit für 3,95 ist mir das einfach zu albern. Schon vor einem Jahr hat in unserem Quartier ein kleiner Buchladen seine Pforten geöffnet, aber ich habe meine Schritte bisher noch nicht dorthin gelenkt – warum zweihundertfünfzig Meter selber gehen, wenn der Online-Händler bis an die Wohnungstür liefert? Doch jetzt habe ich endlich einen Grund, dieser Buchhandlung meine Aufwartung zu machen – ich brauche Hilfe bei meinem literarischen Problem, das der Online-Händler offenbar nicht in der Lage ist zu lösen.

Da ich ohne Umschweife von der Eingangstür bis zum Tresen durchgehe und mein Anliegen vortrage, ist der eigentlich zweite Eindruck gleich der erste: Das Team ist nicht nur freundlich, es ist auch kompetent und echt engagiert. Gemeinsam baldowern wir aus, wie sichergestellt werden kann, dass das von mir so ersehnte Buch hier in der richtigen Ausstattung ankommt. Alles schön unaufgeregt, im Anschluss ergibt sich sogar eine kleine Fachsimpelei über die großen anglophonen Schauerautoren wie M. R. James, Amelia B. Edwards und natürlich Edith Nesbit. Herrlich, man weiß hier nicht nur über die aktuellen Bestseller Bescheid, sondern kann sich auch zu Special Interests äußern.

Allein dieses Gespräch lässt mich schon viel länger hier verweilen, als ich eigentlich geplant habe. Trotzdem nehme ich mir danach die Zeit, noch ein bisschen zu stöbern. Und ich kann meine freudige Überraschung kaum verbergen: Es ist eine echte Buchhandlung!

Derlei ist man gar nicht mehr gewohnt – die großen Buchfilialisten lassen ihre Verkaufsflächen immer mehr zu Gemischtwarenläden verkommen, in denen man nicht nur das passende Buch mit dem Rezept für Ossobuco alla milanese bekommt, sondern auch das passende Kochgeschirr nebst Servierplatten, Geschirr, Besteck, Tischdeko und Rotwein. Fast erwartet man auch eine Kühltheke, aus der man sich obendrein die Hauptzutat mitnehmen kann. Dazu herrscht eine Geräuschkulisse wie auf dem Heiligengeistfeld beim Sommerdom. Die gedämpfte, unaufgeregte Atmosphäre einer echten Buchhandlung gibt es in solchen Filialschuppen schon lange nicht mehr.

Doch hier in diesem kleinen unabhängigen Ladenlokal in der Nachbarschaft: Keine Dosen mit Chai, keine Backformen, keine Zen-Tischgartensets für echtes Feng Shui-Feeling, sondern nur Bücher, nichts als Bücher! Der Geruch von frisch bedrucktem Papier und Buchbinderleim liegt in der Luft. Und wie ruhig es hier ist…

Als ich den Laden verlasse, sind nicht nur fast neunzig Minuten vergangen, sondern ich habe auch noch über fünfzig Euro in anderes Druckwerk investiert. Drei Tage später halte ich auch das online so oft reklamierte Buch mit den Schauergeschichten in Händen. In fehlerfreier Ausfertigung. Und gebe noch mal mehr als die eigentlich budgetierten 3,95 aus. Aber ich habe einfach endlich wieder mal Freude daran gehabt, nach Büchern zu stöbern.

Man sollte sich nicht jedem Trend anschließen, denn wer nur in anderer Leute Fußstapfen tritt, hinterlässt bekanntlich keine eigenen Spuren. Aber Shop Local werde ich künftig beherzigen. Es hilft nicht nur den kleinen Händlern vor Ort, die nicht die geballte Marktmacht eines Großunternehmens in der Hinterhand haben, es ist auch für mich als Käufer eine Bereicherung. Sicher bleibe ich auch weiterhin Online-Kunde, aber ich möchte schon darauf achten, künftig hauptsächlich Dinge dort zu besorgen, die ich über Shop Local nicht bekommen kann, was es ja durchaus immer noch gibt.

Ansonsten möchte ich versuchen, hauptsächlich hier im Viertel zu kaufen – nicht nur um die kleinen Läden gegen die Großkonzerne zu unterstützen, sondern auch weil ich das Einkaufserleben wieder etwas mehr lernen möchte, wie mir dieser Buchkauf gezeigt hat. Es macht einfach mehr Spaß, sich im Laden mit einem kundigen Menschen von Angesicht zu Angesicht auszutauschen, als nur online gesichtslose Rezensionen durchzublättern.

Inzwischen habe ich übrigens auch einen neuen Gemüsehändler (ohne Verkauf für Handy-Prepaidkarten), Friseur (ohne Tintenpatronentankstelle) und Blumenladen (ohne Coffee-to-go-Shop) gefunden…

Hinweis: Hierbei handelt es sich um einen Beitrag vom 20.11.2013 aus meinem alten Blog

Sand in den Schuhen…

20131130-01… und völlig falsche Vorstellungen im Hirn.

1973 war insgesamt ein gutes Jahr: Luxemburg gewinnt mit einem wirklich schönen Lied den Grand Prix Eurovision. Der US-Wissenschaftler Martin Cooper benutzt das allererste Mobiltelefon. Elvis Presleys Aloha from Hawaii-Konzert bricht alle Rekorde.

Ob mein Erscheinen auf diesem Planeten auch zu den guten Ereignissen gehört, können allerdings nur meine Eltern beurteilen. Jedenfalls bin ich ein waschechtes Kind der 1970er, so richtig mit Bazooka-Kaugummi, Snickers in der roten Verpackung, Muppet Show im Fernsehen, Bernard und Bianca im Kino und Hui Buh auf Schallplatte. Nicht zu vergessen die ZDF-Hitparade mit Dieter Thomas Heck. Da gab es irgendwann mal ein Lied Ich hab‘ noch Sand in den Schuhen aus Hawaii; Bata Illic sang von seligen Urlaubserinnerungen und wie anders es doch zuhause ist.

Wir haben das Phänomen alle schon mal erlebt: Der Limonenlikör, der abends auf der Hotelterrasse mit Blick auf die Bucht von Palermo so wunderbar schmeckt, wird nach dem ersten Verkosten auf der heimischen Terrasse im Ausguss der Spüle versenkt. Das schicke bunte T-Shirt mit dem I’m too sexy for this shirt-Aufdruck, das so richtig zum sonnigen Strandleben gepasst hat, wirkt im grauen Ruhrpott viel zu schrill und wird zur Dunkelhaft im Kleiderschrank verdonnert. Et cetera.

Heute wurde ich an einen eigenen solchen Fehltritt erinnert. Der Winter naht mit großen Schritten, also der ideale Zeitpunkt, das zu tun, was man über den ganzen Sommer hinweg vor sich hergeschoben hat. Bei mir heißt das gelegentlich „Aufräumen des Kleiderschranks“. Dabei bin ich auf ein Paar Schuhe gestoßen. Auf dem Boden lagen sie, ganz hinten an der Rückwand, unter einem Stapel mit nicht sortierter Socken (auch so eine Baustelle!) vergraben. Vier, fünf Jahre müssen sie da gelegen haben. Aus den Augen, aus dem Sinn. Aber warum? Ich hatte sie doch wirklich gerne gekauft und getragen. Zumindest damals. Im Urlaub. An der Ostsee. Im Mai. Zur Rapsblüte.

Genau. Die Rapsblüte hatte den Ausschlag gegeben. Denn in genau so herrlich strahlendem Gelb, wie der Raps sich im Mai in Ostholstein präsentiert, hatten auch die Schuhe in dem kleinen Laden an der Strandpromenade um Käufer gebuhlt. Die schmalen schwarzen Zierstreifen hatten das Gelb noch betont. Anprobiert, für bequem befunden, gekauft. Und natürlich auch getragen.

Dann war der Urlaub zu Ende. Ich nahm die Schuhe natürlich mit nach Dortmund, wo ich und mein Lieblingsmensch wohnen. Dort waren mir noch paar freie Tage vergönnt, an denen ich die Schuhe natürlich auch trug. Ich trug sie sogar, als es am ersten Arbeitstag wieder ins Büro ging. Bis mein Kollege während der Mittagspause auf dem Weg in die Kantine sagte: „Ziehst du die morgen auch zum Heimspiel an?“

Es dauerte eine Weile, bis bei mir der Groschen fiel. Klar. Dortmund. Schwarz-gelb. Nix mit Raps – in Dortmund ist man als absoluter Fußball-Nihilist mit dieser Assoziation ziemlich alleine. Ende der Urlaubsillusion. Aber ich verstand, warum mein Lieblingsmensch mich gewarnt hatte, dass ich diesen Kauf noch bereuen würde.

Farewell, Mr. Pumpernickel

Chris Howland hat mich Anfang der 1980er an die deutschen Oldies herangeführt. Zuvor kannte ich nur die Handvoll Schlager auf einer LP, die mir meine Oma mal geschenkt hatte. Fünfundzwanzig Lieder waren es – teilweise gekürzt, damit die Menge auf einer Platte untergebracht werden konnte, und garantiert seniorenfreundlich. Harmlose Sachen wie Tanze mit mir in den Morgen von Gerhard Wendland etwa.

Total uncool für einen Elf- oder Zwölfjährigen.

Doch mit Souvenirs, Souvenirs hat Chris Howland mir gezeigt, dass die Musik aus der Jugend meiner Eltern auch cool sein konnte. Durch ihn habe ich Beatmusik kennengelernt – mit Sachen wie Sandie Shaws Und sowas nennst du nun Liebe zwar nur auf Deutsch, aber immerhin. Später, als Erwachsener, habe ich in Wiederholungen auch die Sänger der etwas anspruchsvolleren Texte zu schätzen gelernt – Bibi Johns mit Wie sich Mühlen dreh’n im Wind etwa, einer deutschen Fassung von The Windmills of your Mind.

Dazu kam seine lockere Art. Wenn er die Sendung mit „… sagt Ihnen der gute alte Heinrich Pumpernickel Tschüß, auf Wiedersehen – und: Bye-bye!“ beschloss, wusste man selbst als so junger Mensch wie ich irgendwie: Der ist wirklich so locker. So ganz ungekünstelt.

Das hob ihn von den viel zu distanzierten oder auch zum Ego-Höhenflug neigenden Kollegen seiner Generation ab. Für jemanden, der allmählich vom ZDF-Ferienprogramm zu den etwas „erwachseneren“ Fernsehsendungen überging, aber noch nicht wusste, dass es mal das (aus damaliger Sicht) noch viel coolere Privatfernsehen geben würde, war er echt ein Lichtblick.

Chris Howland ist am 30. November 2013 im Alter von 85 Jahren verstorben. Er wird sehr fehlen.