Heute war ich mal wieder am Hauptbahnhof, weil Ferries, ein Fachmagazin für Fährschifffahrt, nirgendwo anders in der Stadt zu bekommen ist. Dabei kam ich auch am größten Kino der Stadt vorbei, einem riesigen Klotz mit Glasfassade, mindestens zehn Sälen, riesigem Gastobereich und so weiter. Zuletzt war ich dort, um Gottes Werk und Teufels Beitrag zu schauen. Danach hat es mich nie wieder dorthin gezogen. An Filmen hat es nicht gemangelt, aber die Vorführstätte hat mir die Lust darauf genommen.
Als ich das Kinogehen als Traumfabrik für mich entdeckte, lag die Betonung noch auf Traum – heute hat sie sich zu Fabrik verlagert. Ticket lösen, Popcorn kaufen, in unbequemen Sesseln platznehmen, Film gucken, raus – genauso anheimelnd wie eine Fertigungsanlage für Nirosta-Spülbecken.
Denke ich an das Kino zurück, in dem ich als Teenager komplette Monatsvorräte an Taschengeld ausgegeben habe, sehe ich sofort einen Saal mit dickem altrosa Plüschteppich, Sesseln wie aus den Salonwagen des Orient Express geklaut, verschnörkelten Lampen an der Wand und einem Vorhang mit Troddeln vor der Leinwand. Wenn man als erster Zuschauer kam, herrschte fast kirchliche Stille und kein Discogedudel, das nicht zum erwarteten Film passte. Nach und nach füllten sich die Reihen. Gedämpftes Murmeln. Dann ging es los – erstmal ein Vorfilm (meistens ein alter Cartoon), dann Werbung und schließlich der Hauptfilm, bei dem man natürlich auch den Abspann zum Ende ansah, denn da lief meist das beste Musikstück des ganzen Films. Wenn man nach drei Stunden wieder rauskam, war einem ein bisschen schwummrig, weil es natürlich keine Klimaanlage gab, aber das gehörte einfach dazu. Vielleicht hatte uns ja auch Patrick Swayze oder Robert Redford die Sinne geraubt.
Schön war auch das fahrende Überlandkino in den Sommerferien an der Ostsee. Der Ort hatte zwar ein richtiges Kino, aber das war schon Mitte der 70er dichtgemacht worden. Es gab ja den Kursaal. Einmal die Woche kam ein kauziger Herr mit Mercedes und Anhänger vorgefahren, baute im Saal einen transportablen Projektor nebst mobiler Leinwand auf, und dann wurde der einzige verregnete Nachmittag der Woche mit Bernard und Bianca oder Jenseits von Afrika überbrückt. Gespenstisch, wie das mit dem Wetter immer genau zu passen schien – als hätte die Kurverwaltung einen Vertrag mit Petrus gehabt.
Ich glaube, Disneys Zeichentrickabenteuer lief in einem Rutsch durch, aber bei dem Monumentalschinken mit Meryl Streep wurde mindestens zweimal die Filmrolle gewechselt. Also ging zwischendurch das Licht für zehn Minuten an. Man holte neue Getränke – oder brachte die alten weg. Dann ging’s weiter.
Haben diese Unterbrechungen gestört? Kein bisschen. Man hatte nicht nur die Zeit, sondern auch die Muße, sich auf einen Film und das ganze Ritual drumherum einzulassen. Einfach für ein paar Stunden in ein Paradies abtauchen, in dem es Abenteuer zu bestehen und Liebespaare zusammenzubringen galt.
Nein, ich lasse mich jetzt nicht zu einem Früher war alles besser verleiten, denn das stimmt nicht. Auch früher gab es Dinge, die kompletter Mist waren. Aber früher war einfach mehr Lametta… äh, Ambiente.