Eigentlich sollte erst am Freitag der nächste Blogeintrag folgen, aber aus aktuellem Anlass gibt’s heute einen außerplanmäßig. Gerade geistert durch die Nachrichten die Mitteilung, dass ein Ex-Fußballspieler der Bundesliga und der Nationalmannschaft sich als homosexuell geoutet hat. Die Reaktionen sind erwartungsgemäß gespalten: Die einen beklatschen es als mutig, die anderen stören sich an der Vorsilbe Ex- und bemängeln, dass es kein aktiver Fußballer war, sondern eben ein ehemaliger, der nichts mehr zu befürchten hat.
Ich selber gehöre zu denen, die diesen Schritt als mutig empfinden. Denn meiner Ansicht nach hat er sehr wohl etwas zu verlieren. Seinen Job als Sportkolumnist wird ihm wohl keiner streitig machen, zumindest nicht per Aufkündigung des Arbeitsvertrags. Schon alleine aus dem egoistischen Motiv des zu befürchtenden Imageverlusts wird seine verantwortliche Redaktion an ihm festhalten. Aber ich – in einer fußballbegeisterten Familie aufgewachsen und daher mit reichlich Einblicken hinter die Kulissen, Querelen und Skandälchen eines lokalen Vereins versehen – kann mir gut vorstellen, dass es für ihn nun schwerer wird, Interviewpartner zu finden. Heterosexuelle Aktive, die Angst haben, sich mit einem Schwulen zu zeigen, weil sie nicht für schwul gehalten werden wollen. Schwule Aktive, die sich gerne selbst outen würden, aber einfach noch nicht soweit sind. Vorurteilsgesteuerte Fans und Funktionäre, denen schlichtweg die umfassende Aufklärung zum Thema fehlt. Vergessen wir eins nicht – Stonewall wird im kommenden Juni gerade mal 45 Jahre her sein. Dagegen stehen (abgesehen von einer schwachen und sehr kurzzeitigen Blüte in der Weimarer Ära, als schwule Schlager wie Süßer, ach Süßer oder Señor, komm und küss mich auf Spanisch ganz selbstverständlich den Weg in die allgemeinen Verkaufsregale der Schallplattenhändler fanden) soviele Jahrzehnte, ja fast Jahrhunderte mehr an Ablehnung, Hass, Ausgrenzung.
Es ist leider so – einmal geschürter Hass hält sich länger als das Gegenteil. Die Hexenverfolgung der Neuzeit, die ihre Klimax in den Hexenprozessen von Salem fand, aufzubauen hat nur zwei, drei Jahrzehnte gedauert, – sie wieder loszuwerden mehrere Jahrhunderte.
Ich kann verstehen, dass gerade ältere Homosexuelle nun, besagte 45 Jahre nach Stonewall, allmählich ungeduldig werden und das Gefühl haben: „Jetzt muss es aber doch endlich mal vorangehen.“ Selbst ich mit meinen gerade mal 40 Jahren habe bisweilen das Gefühl, dass mir die Zeit davonrennt, und ich fürchte, eine vollständige Akzeptanz von Homosexualität und die vollkommene gesetzliche Gleichstellung nicht mehr zu erleben. Das ist traurig, aber nun mal auch die naturgegebene Tragik jeder Generation, dass sie gesellschaftliche Entwicklungen ihrer Zeit nicht bis zum Ende miterlebt. Leona Edwards hätte gewiss gerne mitangesehen, was der von ihrer Tochter Rosa Parks am 1. Dezember 1955 ausgelöste Busboykott zum Ende der Segregation in den USA beigetragen hat – doch die ihr vom Schicksal zugestandene Lebenszeit war bereits eher vorüber und sie starb hochbetagt vor jenem 1. Dezember.
Um den Weg zurück zu besagtem Fußballspieler einzuschlagen: So ganz aus dem Schneider ist er wie gesagt nicht, nur weil er nicht mehr aktiv ist. Es lauern noch genügend Risiken und Unwägbarkeiten. Wenn die Interviewpartner ausbleiben, wenn seine Homosexualität missbräuchlich genutzt wird, um ihm die Kompetenz abzusprechen – worüber soll er schreiben und somit seinen Job erfüllen? Und was ist mit Ressentiments, die sich abseits seines Metiers abspielen?
Darum finde ich seinen Schritt sehr wohl mutig. Er hat die Diskussion über schwule Sportler wieder in den Fokus gerückt und zu ihr beigetragen – und sei es nur um den Anteil, dass man wieder drüber redet. Babysteps – aber wenn es dazu führt, dass auch nur ein einziger weiterer Mensch sich nicht mehr ins Versteck drängen lassen will, ist das doch was!
Kleinvieh macht auch Mist! Es ist betrüblich genug, dass die Sexualität eines Menschen überhaupt eine Zeitungsmeldung wert ist. Aber es davon, dass dies nur beklagt wird, ändert sich nichts. Also weiter mit der Aufklärung – und auch mit den Babysteps. Aber wir müssen akzeptieren, dass es Dinge gibt, die über das Ende unserer Lebenszeit hinaus brauchen, um zu einem guten Ende zu kommen. Auch wenn wir selber das vielleicht verpassen.
Dies ist ein Platzhalter.
Nachtrag 09.01.2014: Auch Hans-Georg hat sich in seinem Blog dazu Gedanken gemacht.