Vor einer Woche kochte das Thema Profisport & Homosexualität mal wieder etwas höher. Was hat sich seitdem getan? Wohl weniger, als wenn ein aktiver und etwas bekannterer Fußballer als Herr Hitzlsperger sich geoutet hätte. Trotzdem hat’s einiges an erhellenden, aber auch albernen Debatten gegeben. Manches war hochgradig verärgernd. Nicht nur die Kampagne gegen die Aufklärung zu sexueller Vielfalt in der Schule, sondern auch die Rufe in der Community, die Herrn Hitzlsperger den Mut seinen Schritt absprechen und den Mangel an Nutzen für eben jene Community reklamieren. Sich vor Freunden und Familie im Angesicht der Gefahr, fallengelassen zu werden, ans Coming out zu wagen, ist also nicht mutig? Wie schnell man doch die eigenen Nöte vergisst, durch die man selber gegangen ist…
Wie sehr freut mich da sein Statement, die Rolle als Symbolfigur nicht annehmen zu wollen. Warum sollte er auch die Community als Hauptintention für sein Coming out haben? In erster Linie gehört das Sortieren seines Lebens, der Unwille zum Versteckspiel gefolgt von einem Zwangsouting in der Presse nämlich allein ihm. Wenn sein Schritt darüber hinaus die Debatte zum Thema befeuert, ist das ein Nebeneffekt, an dem er aufgrund einer gewissen Bekanntheit kaum vorbeikommt, zu dem er jedoch mit Sicherheit nicht verpflichtet ist. Warum also diese Kritik an ihm, als wäre er der schwule Messias, der sich geweigert hat, seine Mission zu erfüllen?
Keine Missverständnisse, bitte: Es ist nach wie vor gut, was aus seinem Tun entstanden ist. Diskussion, weitere Coming outs, Gegenwind für die Verweigerer sexueller Aufklärung. Kaum ein Beruf steht so sehr im öffentlichen Fokus wie der Profifußball. Wenn von hier aus die Aufklärung, dass nicht jeder Homosexuelle automatisch ein Abziehbild von Albin/Zaza aus La Cage aux Folles ist, in andere “männliche”, aber weniger publicityträchtige Berufe getragen werden kann, ist das gut, denn so könnten auch schwule Bauarbeiter, Trucker, Soldaten etc. es künftig leichter im Leben haben.
Doch warum jetzt alle Erwartung und Enttäuschung in den ersten Profisportler legen, der sich geoutet hat? Ist Herr Hitzlsperger plötzlich the only gay in the village? Es muss doch nicht sein, dass jemand von einigen vorgeschoben wird, die einfach noch nicht so weit sind, ihren eigenen Kampf zu kämpfen, oder von einigen anderen verdammt wird, die sich ihr eigenes Zögern aus der Vergangenheit selbst nicht verzeihen können. Ist halt so gelaufen; man kann seine Historie nicht umschreiben, und jeder hat seinen eigenen Takt dafür, “es” auszusprechen, was auch ja auch so sein soll.
Eins sollte nämlich nicht vergessen werden: Ein prominentes Coming out bleibt für viele eine vage Sache. Man weiß um die Tatsache an sich, aber es hat keinen direkten Bezug zum eigenen Leben. Was hilft ein akzeptierter schwuler Promi in der Ferne, wo er für jene vollkommen abstrakt ist, die uns im direkten Umfeld aber Schwierigkeiten bereiten, weil sie das Thema da nicht so schön davonschieben können? Wenn eine Enkelin ihrer 75jährigen Großmutter erklärt und vorlebt, dass es den beiden Schwulen von nebenan nicht nur um den Geschlechtsakt geht, sondern darum, wem man zugetan ist, wenn es um von Liebe und Geborgenheit geht und für welchen Partner man notfalls mit seinem eigenen Leben einstehen möchte, und besagte Oma daraufhin eine Gratulationskarte zur Hochzeit des schwulen Paares schickt, sollte das ein wichtigerer Moment sein als alle prominenten Coming outs zusammengenommen.
Deswegen sei die Frage gestattet, ob es nicht mehr bringt, sich selber den Mut zum Sprechen zu erarbeiten bzw. eine eventuelle Komfortzone zu verlassen, um in seinem eigenen Mikrokosmos aufzuklären statt nach Promiidolen zu lechzen? Frei nach John F. Kennedy: “Frag dich nicht, was ein Promi tun kann – frag dich, was DU tun kannst.”