Sonntag im Park

ParkSo ein herrlicher Sonntag! Erst Anfang März und so warm, dass man morgens um sechs schon in den kurzen Plünnen auf die Joggingpiste kann! Den Rest des Tages habe ich dann auch draußen verbracht, im Westpark ein paar hundert Meter weiter längs, einem echten Nachbarschaftstreffpunkt für jung und alt. Zwischen den Bäumen gespannte Slackline-Bänder, Badminton ohne Netz, Boulebahnen, und es gibt sogar eine Ecke, auf der Tanzfreunde jeglicher Couleur sich zum Tango Argentino treffen.

Und dann ist da noch der Biergarten Café Erdmann, eine echte Institution im Quartier. Hier ist man nie lange alleine. Auch heute nicht – schon nach ein paar Minuten saßen zwei Freunde bei meinem Mann und mir am Tisch. Bei Kaffee und Kaltgetränken plauderten wir über alles Mögliche; irgendwann erwähnten sie, dass sie eine Städtetour nach Hamburg planen. „Du kennst dich da doch aus – kannst du uns ein paar Ziele empfehlen, die sich lohnen?“

Klar, gerne doch – ganz besonders die versteckten Ecken, die nicht jeder Touri auf der Checkliste stehen hat. Große Freude über die Insidertipps, doch als es ums abendliche Entertainment ging, wurde ich unterbrochen: „Nee, da brauchen wir nix – wir sind ja in einem der Musical-Theater.“

Das erlebe ich öfter, und jedesmal sacke ich innerlich ein bisschen zusammen. Ein Industrie-Massenwaremusical, das überall auf der Welt (abgesehen von der Bühnensprache) genau identisch gespielt wird – dafür bucht ihr eine Städtereise? Ich sage ja nicht, dass es schlecht ist, aber es ist so entsetzlich beliebig und austauschbar…

Wenn ich nach London fahre, will ich doch auch Agatha Christies The Mousetrap sehen, nicht eine ins Englische übertragene Inszenierung von Tratsch im Treppenhaus! Sollte man dann auch in punkto Vergnügen nicht etwas wählen, was für die jeweilige Destination typisch ist? Manchmal habe ich Glück und die Musical-Tickets sind von den Hamburg-Reisenden in spe noch nicht gebucht worden. Dann nutze ich die Gunst der Stunde, so wie heute, und empfehle das Ohnsorg Theater.

Ohnsorg Collage 3

Jetzt kann man mir mit einigem Recht entgegenhalten, bis zu den Ellbogen in die Kiste voller Hamburg-Klischees zu greifen, doch das kann ich kontern: Man sollte sich einfach von dem völlig verzerrten Bild verabschieden, das der NDR mit seinen TV-Ausstrahlungen konserviert. Ja, das Ohnsorg war mal Heidi Kabel und Schenkelklopferhumor, und auch heute noch zeichnet der NDR ausschließlich die Komödien vom Spielplan auf. Leider! Denn das Ohnsorg hat sich längst gewandelt – nicht nur mit einer Generation völlig anderer Schauspieler sondern auch dem, was auf dem Spielplan landet. Ich habe wunderbare Inszenierungen von Stücken wie Shakespeares Ein Sommernachtstraum oder Fritz Stavenhagens Fischerdrama Mudder Mews gesehen, die sich nicht hinter den anderen Hamburger Bühnen wie Thalia Theater oder Ernst-Deutsch-Theater verstecken brauchten.

Das wohl intensivste Theatererlebnis im Ohnsorg hatte ich vor ein paar Jahren mit der Bühnenfassung von Stephen Kings Misery. Natürlich op Platt, denn das Ohnsorg Theater ist bekanntlich eine rein niederdeutsche Bühne. Nur wenn das Fernsehen dabei ist, wird Missingsch gesprochen. Stephen King? Auf Plattdüütsch? Wie passt das denn? Ganz wunderbar passt das. Mit Plattdüütsch verbinden die meisten Ohnsorg-Besucher von auswärts eben die TV-Übertragungen mit Heidi Kabel, Henry Vahl und Consorten, womit auch ein Weltbild vom Plattdüütsch als gemütlicher, heiterer Lebensart einher geht. Doch dass hinter diesem vermeintlich Gemütlichen und Heiteren auch das Irre, das abgrundtief Böse und Tödliche stecken kann, hat die Schauer und Gänsehaut auslösende Wirkung der großartigen Herma Koehn in der Rolle von Annie nur noch betont.

Ähnlich war es bei es bei der Inszenierung von Tennessee Williams‘ Die Katze auf dem heißen Blechdach. Die Dialoge sind in beiden Stücken durch das Echtere, das Menschlichere des Platt sowohl im Humorvollen als auch im Tragischen viel tiefergehender und nachhaltiger rübergekommen als beim bisweilen überpolierten (Bühnen-)Hochdeutsch.

Ja, ich weiß – die Zahl der auswärtigen Besucher Hamburgs, die Plattdeutsch sprechen und verstehen, dürfte gering sein. Es ist auch immer sehr knuffig, die entgeisterten Gesichter der Touristen zu sehen, die eine Aufführung à la Tratsch im Treppenhaus erwarten, aber plötzlich reines Platt hören. Doch ich habe noch nie erlebt, dass jemand gegangen ist – nach spätestens einer Viertelstunde ist man auch als Nicht-Platter „drin“ und versteht alles.

Darum keine Angst vor Plattdüütsch. Traut euch einfach – es lohnt sich! Natürlich gibt es auch noch andere Bühnen, die inzwischen über die Stadtgrenzen hinaus als „typisch Hamburg“ gelten, wie etwa das Schmidt Theater am Spielbudenplatz oder das Imperial Theater an der Reeperbahn, um nur zwei zu nennen. Prima! Auch die kann ich nur empfehlen. Aber die Industrietheater… Deit dat nötig? Meine Freunde habe ich an diesem Sonntag im Park noch nicht zu hundert Prozent überzeugen können, aber sie wollen sich den Vorschlag zumindest durch den Kopf gehen lassen.