Heute ist Welttag des Buches, quasi der höchste Feiertag für alle Leseratten. Anlass genug, heute mal nicht von meinem eigenen Wortgepüttscher zu schnacken, sondern von dem, was ich selbst gerne lese. Bei der schier unüberschaubaren Fülle von Neuerscheinungen ist die Wahl ganz bewusst auf drei Bücher gefallen, die schon ein paar Jahre auf dem Buckel haben und mitunter sogar nur Second Hand erhältlich sind.
Hier die Top 3 meiner Lieblingsbücher:
# 3: Those Who Hunt the Night (Jagd der Vampire) von Barbara Hambly
Worum geht’s? Gegen alle Regeln seiner Zunft nimmt der Vampir Don Simon Xavier Christian Morado de la Cadena-Ysidro Kontakt zu einem Sterblichen auf. Ein Unbekannter hat es auf die Vampire von London abgesehen; vier von ihnen wurden bereits dem Verderben bringenden Sonnenlicht ausgesetzt und ihres Blutes beraubt. Mit dem Leben von dessen Frau als Pfand zwingt Ysidro den ehemaligen Spion James Asher, sich der Angelegenheit anzunehmen, da dieser als Sterblicher bei Tageslicht dort forschen kann, wo es den Vampiren unmöglich ist. Als unfreiwillige Gefährten nehmen Ysidro und Asher eine Fährte auf, die sie nicht nur von den spärlich mit Gaslichtern erleuchteten Gassen des London anno 1907 in die Katakomben unter dem Friedhof Saint-Innocents in Paris führt, sondern sie auch zu einer merkwürdigen Allianz mit dem ältesten Vampir Europas zwingt. Nur mit diesem kann es ihnen gelingen, den ebenso grausamen wie seltsamen Täter zu fassen, denn warum sollte jemand ausgerechnet das Blut eines Vampirs haben wollen, wenn es doch genügend menschliches Material gibt?
Warum dieses Buch? Es verbindet auf spannende Weise den klassischen Vampirroman mit dem nicht minder klassischen Gaslight-Krimi aus der Ära von Sherlock Holmes. Don Ysidro ist ein sehr charismatischer Vampir, der dankenswerterweise nicht so idealisiert wird wie in Stephenie Meyers Teenie-Postillen, sondern tatsächlich der klassische, todbringende Vampir ist und der dem Leser dennoch beinahe Herz wächst. In James Asher findet er einen Widersacher, Erforscher und Gefährten wider Willen zugleich, und dass Barbara Hambly Ashers immer wieder geschilderte Zerrissenheit zwischen Faszination, Abscheu und Vernichtungswillen nicht auflöst, hält den Spannungsbogen aufrecht. Lediglich die andauernde und übertriebene Anreihung von brillanten Fähigkeiten, die Asher sich als Spion angeeignet hat, nervt gelegentlich, wird aber durch genügend andere Höhepunkte ausgeglichen.
Mit den sorgfältigen Charakterisierungen der Figuren bis in die Nebenrollen und den stimmungsvollen Beschreibungen der Schauplätze gelingt es Barbara Hambly, dem Vampirroman eine dichte und mitreißende Atmosphäre zu verleihen. Ebenso gelungen ist, wie Barbara Hambly die Figur des Vampirs in das 20. Jahrhundert gebracht hat, was sich besonders bei der überraschenden Enttarnung des Täters und dessen Motivation zeigt. Letztere ist trotz von Barbara Hambly neu ersonnener Elemente, die es bei Vampirklassikern aus der großen Zeit der Schauerromantik (etwa die Immunität gegenüber christlichen Symbolen) nicht gibt, schlüssig genug, um die „Modernisierung“ glaubwürdig erscheinen zu lassen, ohne den „klassischen“ Vampir eben dieser Modernisierung zu opfern.
Lesen ist Genuss – welche kulinarische Begleitung sollte es geben? Steak. Blutig. Was sonst.
# 2: Sünnschien un gooden Wind – Fofftig mal wat to’n Frein von Rudolf Kinau
Worum geht’s? In fünfzig plattdeutschen Kurzgeschichten erzählt der Heimatdichter Rudolf Kinau (Bruder von Johann Wilhelm Kinau, besser bekannt als Gorch Fock) vom Leben auf der Hamburger Elbinsel Finkenwerder aus der Zeit vor und nach dem zweiten Weltkrieg mit gelegentlichen Ausflügen in die Großstadt Hamburg und die Segelreviere von Nord- und Ostsee.
Warum dieses Buch? Zugegeben, es ist etwas leichter zu lesen, wenn man des plattdeutschen Idioms mächtig ist. Doch nach ein bisschen Eingewöhnung kommen auch hochdeutsche Leser recht gut mit dem Schnack von Rudolf Kinau klar, wie mir mein Mann bestätigt hat. Die fünfzig Stories sind literarische Leichtgewichte, keine Konkurrenz für Alice Munro oder den unlängst verstorbenen Gabriel García Márquez. Doch mit ihrer ehrlichen Art und der Lebenserfahrung ihres Autors, die ihm einen humorvollen, gewitzten Blick auf das Leben ermöglicht haben, zaubern sie Sonne ins Herz. Ja, ich weiß – das klingt wie aus einem Reklametext. Aber wenn’s doch nun mal so ist…?
Lesen ist Genuss – welche kulinarische Begleitung sollte es geben? Finkenwerder Ewerscholle mit Bratkartoffeln. Als Dessert dänische Koldskål.
# 1: Six of One (Jacke wie Hose) von Rita Mae Brown
Worum geht’s? Der Roman folgt zwischen 1905 und 1980 dem Leben der beiden ungleichen Schwestern Julia Ellen (Juts) und Louise (Wheezie). Juts ist ein unkonventioneller Wirbelwind, der für jeden Unfug zu haben ist und selbst im Alter von über siebzig Jahren noch in Hot Pants herum läuft und beim Radschlagen im Garten zu finden ist. Louise hingegen ist tief religiös und möchte am liebsten jeden Atemzug des Lebens durchplanen. Geschwister wie Feuer und Wasser also, die es gemeinsam mit der ganzen Welt aufnehmen, wenn sie sich nicht gerade selber in den Haaren liegen. Denn trotz aller Unterschiede können Juts und Wheezie nicht ohne einander.
Die beiden leben in der fiktiven Kleinstadt Runnymede. Ihre Mutter Cora ist Haushälterin bei der reichen Celeste, einer nicht minder unkonventionellen Person, die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts offen mit ihrer Frau, der schönen Ramelle, zusammenlebt und den Lauf der Gerechtigkeit gelegentlich auch selber in die Hand nimmt. Obwohl Cora und Celeste an gegensätzlichen Enden der sozialen Skala stehen, schätzen und brauchen die beiden einander als beste Freundinnen und Ratgeber. Komplettiert wird das Ensemble durch weitere skurrile Charaktere, wie sie nur die amerikanischen Südstaaten hervorbringen können, denn hier versteckt man seine Verrückten bekanntlich nicht, sondern zeigt sie stolz herum.
Warum dieses Buch? Six of One ist eine Art romanhaft erzählte fiktive Biographie, die dem Lebenslauf ihrer Protagonisten mit allen Glücksmomenten und dramatischen Einschnitten, die dazugehören. Das Ziel ist hier der Weg, der von zu Herzen gehenden Taschentuchmomenten genauso erzählt wie von brüllend komischen Eskapaden, nach denen man erstmal wieder Atem schöpfen muss, weil man sich beim Lachen völlig verausgabt hat. Es kleidet dunkle Stunden in Worte, die einem vielleicht manchmal selber fehlen, und macht sie dadurch etwas leichter, und es macht die hellen Stunden noch ein bisschen strahlender. Genau deswegen mag ich Six of One – und weil es eine mitreißende Hommage an das Leben, die Liebe, Loyalität und bedingungslose Freundschaft ist, die keine sozialen Grenzen kennt.
Lesen ist Genuss – welche kulinarische Begleitung sollte es geben? Champagner!