Berliner Luft, Luft, Luft

Gestern war bekanntlich Feiertag. Das Wetter war ein bisschen zu trübe (genauer: es hat in einer Tour gepladdert) für Outdoor-Aktivitäten, also habe ich es mir mit meinem Mann zuhause kommodig gemacht. Wir haben unsere Nachbarin eingeladen, zusammen Waffeln gebacken, Kaffee getrunken, ausgiebig geschnackt und gelacht. Dabei lief die ein oder andere Vinylplatte aus meiner umfangreichen Sammlung. Darunter war auch eine besondere Spezialität, nämlich eine Platte mit Alt-Berliner Liedern aus… Australien!

Ich weiß wirklich nicht mehr, wie diese weitgereiste Platte in meine Sammlung gelangt ist, aber ich mag sie sehr, obwohl doch eine Platte mit Alt-Hamburger Liedern viel besser zu mir passen würde.

Vielleicht liegt es an der Unbekümmertheit und dem Optimismus – nicht nur aus der Zeit von 1900 bis 1930, als die meist von Paul Lincke und Willi Kollo komponierten Lieder entstanden sind. Auch die 1960 entstandenen Aufnahmen dieser Platte mit der anmutigen Sopranistin Ilse Hübener, mit dem voll Altersabgeklärtheit und trotzdem gar nicht leise singenden Bruno Fritz oder mit der durch ihre Songs förmlich ausgelassen tobenden Brigitte Mira strahlen jene Unverwüstlichkeit aus, für die Berlin gerade in der Ära der Kollo-Musikrevuen und der von Originalen wie Harald Juhnke bewundert wurde.

Ist die Platte hoffnungslos altmodisch? Und wie! Aber: Wenn du etwas hörst, das dir gefällt – analysiere es nicht. Sing einfach mit!

Heute vor einem Jahr: Dortmund

Barop1bDortmund, 29.05.2013, morgens gegen neun Uhr. Jogging in Richtung Hombruch. Der Weg führt unter anderem an der großen Umsteigestation Barop Parkhaus vorbei, Knotenpunkt für eine Stadtbahnlinie und vier oder fünf Buslinien. Ein hochstehender Pflasterstein beim Wartebereich für die Busse bringt mich zu Fall, ich stürze, schabe über einige andere Pflastersteine, schlage mir dabei Knie und Stirn blutig, mein T-Shirt bekommt einen klaffenden Riss. Den Schmerz merke ich nicht, denn ich bin so verdattert, dass ich erstmal regungslos liegen bleibe. 10 Sekunden? Eine Minute? Who knows. Dann sortieren sich meine Sinne langsam wieder und ich merke: Wäre ich noch zwanzig Zentimeter weitergerollt, wäre ich mit dem Kopf noch mitten in einer Glasscheibe gelandet.

Zu dieser Zeit anwesend: Drei Busfahrer, die auf ihren Stadtbahn-Anschluss gewartet haben, und rund 25 Passagiere beim Ein-/Aus-/Umsteigen. Nicht einer von denen kommt zu mir rüber und bietet mir Hilfe an. Keiner zückt sein Handy, um ggf. den Rettungswagen zu bestellen. Desinteresse allenthalben. Ich rappele mich auf, hinke los und mache mich so gut es geht auf den Weg nach Hause. Dabei muss ich die Straße überqueren und komme am Wartebereich für die Busse in die Gegenrichtung vorbei. Da gröhlt mich einer, der meinen Unfall von einem Logenplatz auf einer Bank aus beobachtet hat, im breitesten Dr. Stratmann-Ruhrpöttlerisch und mit schadenfrohem Grinsen an: „Dat hat gezz abba wehgetan, woll?“

Kein Kommentar.

Nur der Verweis auf das, was knapp drei Wochen später in Hamburg passiert ist.

Nz-nz-nz-nz

Hip Hop2Je näher ich der Stadthalle komme, desto mehr habe ich das Gefühl, am falschen Ort zu sein. Es ist Sonnabend, und in Unna finden die Westdeutschen Meisterschaften im Hip Hop statt, an der mein Neffe mit seiner Tanzformation teilnimmt. Selbstverständlich bin ich als Schlachtenbummler mit von der Partie. Von dem zu erwartenden Lärm, den meine Schwester prophezeit hat, keine Spur. Sie übertreibt mal wieder, denke ich. Ich werd‘ die fünf Stunden schon ohne die empfohlenen Ohrstöpsel aushalten.

Doch Hip Hop-Musik ist trügerisch. Sie schleicht sich nicht sinnig und suutje an – sie ist irgendwann da. Und zwar richtig. Denn kaum habe ich das Gebäude betreten, fährt mir der Sound gnadenlos… nein, nicht in die Ohren, sondern in die Magengrube. Diese bassgeschwängerten Nz-nz-nz-nz-Beats haben eine Druckkraft in ihren Schallwellen… man sollte ernsthaft überlegen, sie als CO2-freien Antrieb in Containerschiffe einzubauen.

Natürlich ramme ich mir jetzt doch die Ohrstöpsel in die Gehörgange. Meine Hausmarke ist eigentlich ganz gut, aber gegen die Belastung, der sie ausgesetzt sind, als ich dann endlich den eigentlichen Veranstaltungssaal betrete, sind sie machtlos. Die Dezibel dämmen sie vorbildlich auf leicht erhöhte Zimmerlautstärke runter, doch den Druck der Schallwellen blenden sie nicht aus. Kein Wunder, denn diese erreichen nicht nur das Trommelfell, sondern fahren durch den ganzen Körper. Der Boden vibriert. Am Ende der Veranstaltung fühle ich mich so durchgeschüttelt, als wäre ich tagelang wieder und wieder mit einem Fahrrad die Calà del Sasso hinuntergefahren. Aber es hat sich gelohnt: Zwei dritte Plätze, drei Vizemeistertitel und vier Meistertitel haben sich mein Neffe und sein Team ertanzt. Herzlichen Glückwunsch.

Nächstes Jahr bin ich natürlich wieder dabei!

Honey Boo Boo

Honey Boo Boo 4bIst jemand hier fernsehaffin genug, um Honey Boo Boo zu kennen? Mir war sie jedenfalls unbekannt, bis der Name am letzten Wochenende mehrmals fiel. Um nicht ganz uninformiert dazustehen, habe ich kurz das Internet befragt. Selbiges verriet, dass Honey Boo Boo der Spitzname eines sechsjährigen amerikanischen Mädchens ist, das von seinen Eltern nicht nur zu den berühmt-berüchtigten Beauty Pageants (Schönheitswettbewerben für Kinder) geschickt wird, sondern dass das Leben der Familie aus Georgia auch Teil einer Reality-Show ist, wobei das Hauptaugenmerk auf Honey Boo Boo liegt.

Jetzt noch schnell ein YouTube-Video geschaut (manchmal sind Smartphones ja doch ganz praktisch). Was man sehen konnte, war eine Familie, die auf uns Mitteleuropäer wie eine Mischung aus den Bundys und Vom Winde verweht wirken muss, im Zentrum der Aufmerksamkeit ein Mädchen mit flachsblonden Locken, etwas Babyspeck und viel Wichtigem zu sagen. In diesem Alter plappern Kinder munter drauflos und sprudeln heraus, was ihnen gerade in den Kopf kommt, und etwas wie mitten ins Popcorn zu rotzen niesen löst bei ihnen unbändige Heiterkeit aus. Ist nun mal so, weil Kinder noch nicht den „gesellschaftlichen Schliff“ eines Erwachsenen haben. Kennen wir alle aus unserem eigenen Umfeld und vor allem unserer eigenen Kindheit. Ist nicht weiter tragisch. Das ist für die Familie bestenfalls witzig, schlimmstenfalls peinlich, wenn Fremde das mitbekommen und auf einen bedauerlichen Mangel an Kinderstube schließen.

Natürlich wird’s für das Kind an sich auch noch einmal peinlich – spätestens dann, wenn es selber Mutter ist und seine eigene Mutter (nunmehr die Funktion der Großmutter bekleidend) die Enkelkinder der Familie aufklärt, was für ein Früchtchen die Mutter noch war. Aber es bleibt in der Familie.

Derlei Beschränkung auf einen handverlesenen Kreis wird Honey Boo Boo nicht vergönnt sein, eben weil ihre Familie sie so ungeschützt in die TV-Kameras hält. Sich jetzt mit unserem mitteleuropäischen Auge ein Urteil über diese Familie anzumaßen, wäre gewiss falsch. Amerika tickt nun mal anders, und sowohl die Prominenz als auch das Geld im Schlepptau dieser Reality-Show sind vielleicht die einzige Möglichkeit, in Zeiten ökonomisch schwerer Fahrwasser nicht völlig unterzugehen. Aus dem YouTube-Clip ließ sich zudem durchaus schließen, dass die Deern die Aufmerksamkeit bei den Pageants und auch durch das Leben als Fernsehkind jetzt noch genießt. Sie ist ja auch erst sechs.

Aber man kann nicht umhin, sich zu fragen, was passiert, wenn das Mädchen in gar nicht mal so vielen Jahren den Babyspeck verliert und zu einer echten Southern Belle heranblüht, die in allen Irrungen, Wirrungen, Pickeln und sonstigen Unsicherheiten der Pubertät den ersten Freund mit nach Hause bringt. Wie wird’s ihr gehen, wenn dieser Freund Sekunden vor dem ersten Kuss plötzlich einen Moment der Erinnerung hat und sagt: „Bist du nicht das Mädchen, das im Fernsehen mal gesagt ‚Mein neues Geschwisterchen ist so klein – ich habe schön größer gesch***‘?“

Die Lütte tut mir jetzt schon leid.

Konfirmationsschnack

Gestern war er also endlich, der große Tag der Konfirmation. Schön war’s: Der Gottesdienst ein Erlebnis, die Gäste gut gelaunt, der Konfirmand strahlte ob seines großen Tages wie eine Halogenleuchte.

Alles perfekt – genau wie das Essen. Man hatte sich ja auch Mühe gegeben. Schon Wochen vorher die Speisenfolge geplant. Omas altes Kochbuch (Frakturschrift!) und ihre handschriftliche Rezeptkladde (Sütterlin!) gewälzt. Frische Zutaten von Markt, Schlachter und Bauernhof in der Nachbarschaft, Supermarktware diesmal aus den Regalen, an denen die etwas höheren Preise stehen. Das tagelange Püttschern hat sich gelohnt. Zufriedene Gesichter bei allen, die sich da an der Tafel versammelt hatten.

Doch da war auch dieser eine Gast, den es immer gibt. Dieses eine vorlaute Persönchen, das sich erdreistet zu fragen: „Was hast du für eine Backmischung genommen? Dr. Oetker oder Aldi?“

Dann möchte man das Leinentuch nehmen, mit dem man gerade das Tropfwasser von einer Blumenvase geputzt hat, es diesem Gast um den Hals legen und gaaaaanz sinnig und suutje zuziehen.

Aber man tut es nicht, weil zuviele Leute da sind, die… ihn wiederbeleben würden… *augenzwinker*

Was tut man also?

„Noch’n Kaffee?“

Gratulation, Conchita

ESC_neuGut eine Woche ist es jetzt her, seit Conchita Wurst für Österreich den Eurovision Song Contest 2014 gewonnen hat, und dafür meine Gratulation. Auch wenn ich bereits erwähnt hatte, dass Conchitas Song überhaupt nicht meine Kragenweite ist, meine ich das ehrlich und von Herzen. Denn: Einen einzigen Enthusiasten für etwas zu finden schafft man irgendwie immer. Aber Millionen von Menschen so für sich zu gewinnen, dass man es damit schafft, einen solchen Wettbewerb zu gewinnen, ganz egal, ob nun rein von der musikalischen Seite betrachtet oder von der Strahlkraft einer Botschaft – dazu gehört was.

Ironischerweise ist der Live-Moment von Conchitas Sieg an mir vorbeigegangen, denn ich habe das Grand Final des ESC gar nicht geschaut. Ganz unerwartet läutete am Sonnabend kurz vor dem Abendessen gegen achtzehn Uhr noch der Paketbote und brachte ein Buch, das ich schon vor Wochen bestellt hatte. Also habe ich es mir mit einem Glas Sherry und dem Buch Blood Maidens bequem gemacht statt mich an den Fernseher zu ketten.

Am nächsten Morgen bin ich aufgestanden, hab gefrühstückt, war zum Lauftraining. Beim zweiten Kaffee danach dann Ereignischeck bei F. A. Z. und Hamburger Abendblatt. Wahrgenommen, das Conchita gewonnen hat, genickt, „Glückwunsch“ gemurmelt, zum Tagesgeschehen übergegangen. Nachzuschauen, wie meine Favoriten Niederlande und Norwegen abgeschnitten haben, ist mir gar nicht in den Sinn gekommen. Warum auch? Hätte das Wissen über deren Platzierung wo auch immer etwas an meiner Zuneigung für diese Lieder geändert? Nein. Spielt der Wettbewerb dann überhaupt eine Rolle? Nein.

What a Difference a Day Book Makes, denn dieser spontane Leseabend hat mich an etwas erinnert, was ich schon 2010 beim Sieg von Lena mit ihrem Satellite gemerkt hatte.

Kurzer Rückblick: 1982 brachte den ersten ESC, den ich schauen durfte. Zumindest bis zum Auftritt von Nicole, dann machte meine Mutter von ihrem elterlichen Hoheitsrecht – gegen das man als 9jähriger keine Vetomacht hat – Gebrauch und schickte mich ins Bett. Das Voting und den eigentlichen Sieg verpasste ich also. Von da an habe ich jedes Jahr mit Begeisterung und Spannung sowohl wegen der Musik als auch wegen des Wettbewerbs geschaut, denn ich wollte ein einziges Mal komplett mitbekommen, dass Deutschland den „Pott“ nach Hause holt. Das ist 2010 geschehen, und schon während Lenas Reprise bei laufendem Abspann überkam mich so ein Gefühl von „Tja, das war’s dann wohl, Wunsch erfüllt, Zeit für neue Dinge.“

2011 und 2012 habe ich dann auch prompt lieber mit meinem Mann in Hamburg im Theater gesessen statt vor dem Fernseher – ohne das Gefühl irgendetwas verpasst zu haben. 2013 dann noch einmal ein kleines Aufflackern, als ich mich nochmal auf die insgesamt sieben Stunden TV eingelassen habe. Doch da fehlte was. . Der Spaß am Zusammenspiel von Kunst und Trash, der Spaß am Wettbewerb, an der riesigen Show, dem Lästern, dem Drumherum – dieses gewisse Etwas, das mich so lange begeistert hatte, war weg, und es ist weg geblieben. Während des ersten Semis in diesem Jahr bin ich sogar eingeschlafen, was mir früher nie passiert wäre. Der ESC triggert einfach nix mehr in mir.

„Wus geven is geven is nitu“ – „was gewesen ist gewesen ist nicht da“, heißt es in einem jiddischen Traditional. Und es stimmt. Es gibt Dinge im Leben, die sind irgendwann einfach vorüber und kommen nicht mehr zurück. Also wird’s Zeit, loszulassen. Tschüß, ESC.

Showtime!

Morgen fahre ich für ein paar Tage zu meiner Schwester. Ein großes Familienfest steht an – mit Kirchgang, Mittagessen, Riesenkaffeetafel und allem Drum und Dran. Auf dem Land sind solche Feste eben nicht nur Feste, sondern auch ein Schaulaufen vor der Nachbarschaft, was man in der Hauswirtschaft so „drauf“ hat und was man sich leisten kann. Die Vorbereitungen für solche Ereignisse sind natürlich enorm, also helfe ich mit dem größten Vergnügen.

Ich liebe solche Riesenauftriebe. Früher waren wir mit allen Onkeln, Tanten und sonstigen Anverwandten um tausend Ecken ein so riesiger Clan, dass jedes Jahr mindestens zwei solch großer Jubelfeiern ins Haus standen. Mitunter sorgte das für logistische Herausforderungen. Nur unser Onkel mit Bauernhof und Deele hatte genügend Platz, um mehr als 40 Gäste gleichzeitig zu empfangen und ein Buffet mit raumfüllenden Speisen wie ein 12-kg-Parmaschinken am Stück und unzähligen Torten zu beherbergen. Bei uns anderen mit normal dimensionierten Mietwohnungen und „Omma ihr klein Häuschen“ war das schon schwieriger, aber nicht weniger schön.

Doch egal, ob trautes Heim, open air mit Bierwagen oder gemieteter Saal – eins war immer gleich: Die eigentliche Feierei fanden wir Heranwachsenden stets öde, darum haben wir uns jedesmal gleich nach Ankunft selbst in die Küche oder hinter den Tresen abkommandiert. Buffet auffüllen, Garderobiere spielen, ein Auge drauf haben, wem nachgeschenkt werden musste, Kaffee servieren, den Betrieb hinter der Theke schmeißen. Wer mit zwölf noch kein Bier so zapfen konnte, dass die Erwachsenen zufrieden waren und uns fünfzig Pfennig oder gar eine Mark für die nach der Feier gerecht aufgeteilte Gemeinschaftskasse zusteckten, hatte einen bannig schweren Stand! Halbwüchsig, wie wir waren, sahen wir uns als die eigentlichen Chefs der ganzen Chose. Futtern, saufen trinken und schnacken konnte jeder – aber WIR hielten die Show am Laufen!

Die Erwachsenen haben sich milde lächelnd zurückgehalten, uns machen lassen und sich gefreut, dass sie dadurch mehr Zeit zum Klönschnack hatten.

Tja, am kommenden Sonntag bin ich dann in der Rolle des milde lächelnden Erwachsenen. Fühle ich mich alt damit? Nö, überhaupt nicht.

Alt fühle ich mich mit der Tatsache, dass mein Neffe und seine Konfirmation der Anlass für dieses Familienfest sind. Der Junge ist vierzehn, dabei könnte ich schwören, meine Schwester hat ihn gestern erst entbunden!

Europareise mit Vampiren

Zum Welttag des Buches habe ich u. a. den Roman Those Who Hunt the Night (Jagd der Vampire) von Barbara Hambly aus dem Jahr 1989 vorgestellt. Durch Zufall habe ich herausgefunden, dass Frau Hambly kürzlich nach über 20 Jahren mit Blood Maidens das dritte Abenteuer für den Oxford-Professor James Asher und den charismatischen spanischen Vampir Don Simon Xavier Christian Morado-de la Cadena Ysidro vorgelegt hat. Bestellt, am Wochenende erhalten und verschlungen. Doch bevor ich mich dazu äußere, erstmal der Lückenschluss mit Band 2:

Travelling With the Dead (Gefährten des Todes) von Barbara Hambly

Worum geht es? London, 1908. Ein Jahr ist es her, dass sich die Wege von James Asher und seiner Frau Lydia mit denen der Vampire Londons kreuzten. Durch einen Zufall kommt Asher nun erneut mit ihnen in Verbindung, denn er macht eine erschreckende Entdeckung: Der Vampir Earl of Ernchester scheint sich der Regierung eines anderen Landes angedient zu haben, das England nicht wohlgesonnen ist. Obwohl nicht mehr als Spion für die englische Krone tätig, erwachen alte Instinkte in Asher. Er folgt dem Earl sowie dessen ungarischem Begleiter über Paris und Wien bis nach Konstantinopel. Ihm zur Seite steht die Gattin des Earls, Lady Ernchester, und diesmal muss Asher sich nicht nur mit einem Vampir zusammentun, sondern auch dessen Rettung vor Unheil vorantreiben. Doch statt mit dem enigmatischen, seine Gefährlichkeit nicht verhehlenden Don Ysidro hat Asher es nun mit einer Untoten zu tun, die ihn zunehmend auch persönlich fasziniert. In London wird Don Ysidro seinerseits zu einer Allianz mit Sterblichen genötigt – durch Ashers unerschrockene Frau Lydia, die weit davon entfernt ist, ihren Mann eine unerbetene, aber umso gefährlichere Mission allein durchstehen zu lassen, weshalb sie ihm mit Don Ysidro folgt. Und auch Lydia Asher baut zu ihrem Reisegefährten eine Verbindung auf, die es eigentlich nicht geben darf. So nähern sich die vier Gestalten dem Geheimnis, das hinter der unerwarteten Reise von Lord Ernchester steckt.

Welchen Eindruck hinterlässt das Buch? Wieder verbindet Barbara Hambly Vampirroman und Gaslight-Krimi. Dass Frau Hambly ihre Protagonisten dabei nach Konstantinopel schickt, fügt der Story eine angenehm exotische Note hinzu. Zwar wählt sie als Kulissen Serails und Hamams, doch die Atmosphäre gleitet nicht in die Märchen aus 1001 Nacht ab, sondern entspricht ganz dem, was man über das beginnende 20. Jahrhundert gelesen und gehört hat. Eine Zeit, zu der sich die Diplomaten von Orient und Okzident zu prachtvollen Bällen trafen und unter dem Vorwand diskreter Salonplaudereien politische Schachzüge wie den Bau der Bagdadbahn planten, während die mitgereisten Gattinnen sich bei Musik und Tanz vergnügten.

Generell ist die Geschichte gelungen, trotzdem hakt es an einigen Stellen gewaltig. In Those Who Hunt the Night hat Barbara Hambly ihren James Asher als gewieften Spion vorgestellt, dessen größte Stärke seine polyglotte Ader ist. Genau das wird ihm jetzt zum Verhängnis: Besonders die in Wien spielenden Kapitel sind bisweilen eine Qual. Hambly lässt Asher Deutsch sprechen. Fließend, wie sie behauptet, und sogar so gewandt in den Dialekten, dass er einzelne Stadtteile der großen Metropolen voneinander unterscheiden kann. Doch in Wahrheit ist sein Deutsch so grauenhaft, dass es das Bild des polyglotten Chamäleon-Spions auf fatale Weise demontiert. Falsche Anreden und Sachbezeichnungen (z. B. „Herr Oberhaupt“ statt „Herr Oberhauptmann“, man spricht „hoche Deutsch“ statt „Hochdeutsch“ etc.), falsche Anwendung der Umlaute (das eine zentrale Rolle spielende Sanatorium Frühlingszeit wird beharrlich Fruhlingzeit genannt) und vieles mehr. Mein Lieblingswort, das alle Schrecken dieses Sprachgemetzels zusammengefasst hat, war Zwanzigstejahrhundert Abkuhlunggeselleschaft – die Erfindung elektrischer Kühlsysteme spielt eine wichtige Rolle im Dénouement am Ende der Geschichte. Sicherlich kann ein Autor beim Verfassen seines Manuskriptes Fehler machen, wenn er sich einer ihm nicht wirklich vertrauten Sprache bedient, das ist problemlos entschuldbar. Dass das Lektorat nicht korrigierend eingreift, hingegen nicht.

Wenn man über diese Sandkörner im Getriebe hinwegsehen kann, ist Travelling With the Dead allerdings ein durchaus spannender und lesenswerter Vampirroman.

Lesen ist Genuss – welche kulinarische Begleitung sollte es geben? Passend zur Story ein Vierstädtemenü. Londoner Entree: Leek & Potato Soup – Pariser Zwischengang: Crudités – Wiener Hauptgericht: Tafelspitz – Konstantinopel-Dessert: Şekerpare und ein heißer Mocca.

Sorry, Conchita

ESC2bGestern hatte mein Mann Geburtstag, darum ist die Live-Übertragung des zweiten Semifinale beim diesjährigen Eurovision Song Contest in wonderful, wonderful Copenhagen völlig an mir vorbeigegangen. Aus einer im wahrsten Sinne des Wortes Bierlaune heraus haben wir uns aber noch in einem gemütlichen Popcorn-Camp auf dem Wohnzimmersofa bis in die Morgenstunden hinein sowohl das erste als auch das zweite Semi in der Aufzeichnung angeschaut, virtueller TV-Recorder sei Dank.

Heute Morgen dann ein kleiner Klönschnack mit einem Bekannten. „Und?“ so die gespannte Frage. „Hättest du gestern für Conchita Wurst gestimmt? Kriegt sie morgen deine Stimme?“ – „Öhm, nein und nein.“ – „Aber du musst doch für sie stimmen! Von wegen schwule Ikone und so und als Statement gegen die Homophoben.“

Nö.

Ich – genau wie jeder andere Homosexuelle – muss nicht etwas automatisch gut finden, nur weil es andere Gays gut finden. Madonna ist auch schwulbeliebt – ich kann sie trotzdem nicht ausstehen.

Auch als Abgeber oder Unterstützer von Statements möchte ich mich nicht einspannen lasen. Ich gebe das ganze Jahr über im Großen und Kleinen, öffentlich und privat, -> hier oder -> dort genug Statements zum Thema ab… da behalte ich mir die Freiheit vor, den Eurovision Song Contest als reine Unterhaltung zu genießen. Es mag altmodisch sein, aber von mir wird am Sonnabend nicht das Lied mit dem größten Massenappeal bzw. der größten (gesellschafts)politischen Strahlkraft mein Daumendrücken und evtl. Stimmen beim Televoting bekommen, sondern das Lied, das mich ganz persönlich am meisten innerlich berührt hat.

Und das ist nun einmal nicht Conchita Wursts Rise Like a Phoenix. Ganz einfach, weil mich dieses Lied nicht anspricht, es löst in mir nichts aus, es lässt mich unbeeindruckt. Tut mir leid, Conchita – ich sag‘ ja nicht, dass du schlecht bist. Handwerklich gab’s an deinem Auftritt überhaupt nichts auszusetzen. Aber deine Musik und ich passen einfach nicht zusammen. Such is life.

Verstehen wir uns nicht falsch: Wenn Conchita Wurst gewinnen sollte, ist das eben so und es sei ihr gegönnt. Das gilt aber auch für jeden anderen in Kopenhagen antretenden Künstler und seine Fans.

Trotzdem gehören meine Sympathie und meine Punkte beim Televoting am Sonnabend einem anderen Beitrag aus den Semis, über dessen Sieg ich mich noch viel, viel mehr freuen würde, weil Song, Künstler und Vortrag für mich einfach perfekt zusammenpassen und mir positive Gänsehaut bereitet haben. Er wird’s wohl nicht schaffen, das zeigt die Resonanz auf Conchita Wurst. Und sie hat’s ja auch verdient wie jeder andere, der sich einem solchen Publikum stellt. Aber versteht – und vor allem: akzeptiert – doch bitte: Ein anderes Lied hat mein Herz erobert, deshalb hat dieses und nur dieses meine volle Unterstützung.

Diese Ansicht hat mir dann von o. g. Bekannten einen hier wegen seiner Wortwahl nicht wiedergebbaren Rüffel sowie die Facebook-Entfreundung eingebracht.

Hm. Wie ist das Credo in der „Community“ noch? Sei wie du bist, steh zu dir, bleib dir selber treu, lass dich nicht verbiegen? Akzeptanz und Toleranz für alle? „I am what I am and what I am needs no excuses“? Der ganze Zisslaweng?

Klingt verlockend, scheint aber, wenn es jemand wirklich lebt, in Scherben der Theorie zu zerfallen.

Dabei steht Conchita doch angeblich für genau das Gegenteil.

Gillianennis

Schon Grethe Weiser wusste: Wenn man Kamin nicht Kamin ausspricht, sondern mit leicht französischem Näseln Camahng sagt, klingt das Ganze gleich viel schicker und internationaler. Weiser durch Grethe!

Kreativität mit Sprache ist wunderbar – wenn es mir nicht so ginge, würde ich nicht selber mit Worten arbeiten. Aber manche Kreationen sind schlimmer als Opas Diaabend zum Schwarzwaldurlaub. Wir alle kennen die bekannten Beispiele, wie’s auf gar keinen Fall laufen sollte – Public Viewing als neues deutsches Gemeinschaftserlebnis. Nichts hebt die Stimmung mehr als eine öffentliche Leichenschau mit hunderten begeisterten Fans! „Gebt mir ein L! Gebt mir ein E! Gebt mir ein I! Gebt mir ein C! Gebt mir ein H! Gebt mir ein E! LEICHE! Go, Leiche Go!!!“

Weniger oder (meist) mehr verunglückte Wortspiele allerorten, weil die Nation zeigen will, wie hip ihr Sprachumgang ist. Dabei führt diese Inflation mitunter nur dazu, dass selbst der Umgang mit normalen Worten ganz furchtbar schiefgeht.

Gestern war ich im Lebensmittelmarkt meines Vertrauens und bekam mit, wie eine junge Kundin Marke „Karrieregirl mit zuviel Make up für zu wenig Gesicht – versteckt unter der Brille der Stubenfliege Puck“ nach Gillianennis (sprich:  „Tschilliänännis“) fragte. Die Miene des Supermarktmitarbeiters verformte sich zu einem gigantischen Fragezeichen. Was konnte Gillianennis nur sein? Ein Putzmittel? Ein Nerventonikum? Eine englische Käsesorte? Ein irischer Whisky? So klär mich doch auf, Frollein!

Die Kundin dirigierte ihn in die Süßwarenabteilung, wo sie nach einigem Suchen selber fündig wurde. In ihrem Einkaufswagen landete ein Päckchen… Gelee Ananas.

 

 


Hinweis: Die Titelgraphik dieses Beitrags stammt aus dem Pool frei verwendbarer Bilder von Pixabay und befindet sich unter dem Vermerk CC0 der Creative Commons in der Public Domain.

Draußen vor der Tür

Die Idee stammt nicht von mir, das gebe ich gerne zu. Ich weiß nicht mal mehr, wo ich sie aufgeschnappt habe (wahrscheinlich auf irgendeiner obskuren Sprücheseite im Web), aber sie hat mir ausgesprochen gut gefallen und lange in meinem Hinterkopf darauf warten müssen, umgesetzt zu werden.

Gestern war’s endlich soweit.

Ich kam von einem kleinen Spaziergang zum Bahnhof zurück, weil uns mal wieder die Milch ausgegangen war, wir aber unbedingt Waffeln zum Kaffee haben wollten. In dem Moment, als ich vor unserer Wohnungstür stand und den Schlüssel ins Schloss schieben wollte, kam eine SMS von meinem Mann: „Wo bist du?“

Ich grinste diabolisch und schrieb zurück: „Theaterstück. Wolfgang Borchert. Uraufführung Hamburger Kammerspiele, 1947.“

Als ich kurz darauf in die Küche kam, hat er mir einen gresigen Spüllappen ins Gesicht geworfen. Rache ist süß, aber das hätte ja nu‘ auch nich‘ nötig getan…

 


Hinweis: Die Titelgraphik dieses Beitrags stammt aus dem Pool frei verwendbarer Bilder von Pixabay und befindet sich unter dem Vermerk CC0 der Creative Commons in der Public Domain.

Grünes Kleinod

WP_20140427_00120140427100759Der Garten unserer Mietskaserne ist eine kleine Oase. Obwohl er nur etwa sieben mal sieben Meter misst, bietet er eigentlich für jeden Geschmack etwas. Dichte Stauden in der einen Ecke, eine von leichtem Wildwuchs umgebene Sitzgruppe in der anderen, eine dichtbewachsene Efeuwand und ein Fahrradhäuschen, auf dessen kleiner „Terrasse“ man sich auch nochmal mit zwei Leuten zum Klönschnack treffen kann.

Trotzdem wird er nur wenig benutzt. Von den fünfzehn Mietparteien, die ihn sich teilen, strafen zwölf ihn mit unverdienter Ignoranz. Das ist wirklich schade, denn für unsere alte Hausgemeinschaft, die noch eine wirkliche Gemeinschaft im besten Sinne war, stellte der Garten in jedem Sommer einen Nachbarschaftsmittelpunkt dar, an dem die Gespräche ebenso leicht flossen wie die ausgeschenkten Getränke. Da die Gärten unseres Karrees allesamt offen zueinander sind, fanden sich auch oft genug Nachbarn aus den anderen Häusern ein. Treffpunkt war unter einer großen alten Kastanie, deren Blätterdach so ausladend und dicht war, das wir selbst bei einem prasselnden Sommerregen nicht ins Haus flüchten mussten. Leider ist sie vor ein paar Jahren einem Blitzschlag zum Opfer gefallen. Auch die Nachbarschaft hat sich deutlich verändert. Es findet weniger Kommunikation im Karree statt, dafür trifft man sich eher in vielen kleinen Caféhäusern, die hier entstanden sind.

Trotzdem ist es weiterhin ganz kommodig hier, und wenn das Wetter mal nicht gartengeeignet ist, so wie heute, genieße ich unseren Innenhof bei Buch & Kaffee vom überdachten Balkon aus. Meistens ist es ruhig wie in einem Kurort, wodurch man beinahe vergessen könnte, dass dieser grüne Flecken Erde nur gut einen Kilometer Luftlinie vom Downtown der Stadt entfernt liegt.

Aber es geht auch lebendiger. Allein den Eichhörnchen zuzuschauen, wie sie durch die Bäume turnen oder sogar an den Efeuwänden hinaufklettern, macht einfach nur Freude. Zudem ist unser Quartier bei Musikern sehr beliebt, so dass es im Sommer aus jeder Ecke Gratiskonzerte gibt – aus dem einen Fenster hört man der Sopranistin vom Opernhaus beim Einstudieren einer neuen Partie zu, aus dem anderen begeistert ein Pianist mit umwerfenden Jazzimprovisationen.

Dazu kommen die Zeichen alltäglichen Lebens – Bratkartoffelduft mischt sich mit dem Streit eines jungen Paares, das sich scheinbar über einem missratenen Zoobesuch in den Haaren liegt, denn ihrem lautstarken Austausch sind Worte wie Affe, Ziege, Kamel, Sau oder Ochse zu entnehmen. Was in dieser Aufzählung Idiot und Schlampe zu suchen haben, bleibt uns unfreiwilligen Zuhören jedoch verborgen. Man will’s auch gar nicht wissen, denn kaum ist das Fenster der beiden knallend zugefallen, hört man aus einer anderen Ecke schon wieder die Stimme eines kleinen Mädchens, das seiner Puppe ein Schlaflied singt.

Alles zusammen keine unerträgliche Kakophonie, sondern einfach nur Leben pur.

Es ist wirklich nett hier – ich sage nicht umsonst, dass das Quartier eine Mischung aus Ottensen, Uhlenhorst und Hoheluft ist. Ersetzen kann es mir mein Hamburg nicht, aber es ist eine lebbare Alternative.