Grünes Kleinod

WP_20140427_00120140427100759Der Garten unserer Mietskaserne ist eine kleine Oase. Obwohl er nur etwa sieben mal sieben Meter misst, bietet er eigentlich für jeden Geschmack etwas. Dichte Stauden in der einen Ecke, eine von leichtem Wildwuchs umgebene Sitzgruppe in der anderen, eine dichtbewachsene Efeuwand und ein Fahrradhäuschen, auf dessen kleiner „Terrasse“ man sich auch nochmal mit zwei Leuten zum Klönschnack treffen kann.

Trotzdem wird er nur wenig benutzt. Von den fünfzehn Mietparteien, die ihn sich teilen, strafen zwölf ihn mit unverdienter Ignoranz. Das ist wirklich schade, denn für unsere alte Hausgemeinschaft, die noch eine wirkliche Gemeinschaft im besten Sinne war, stellte der Garten in jedem Sommer einen Nachbarschaftsmittelpunkt dar, an dem die Gespräche ebenso leicht flossen wie die ausgeschenkten Getränke. Da die Gärten unseres Karrees allesamt offen zueinander sind, fanden sich auch oft genug Nachbarn aus den anderen Häusern ein. Treffpunkt war unter einer großen alten Kastanie, deren Blätterdach so ausladend und dicht war, das wir selbst bei einem prasselnden Sommerregen nicht ins Haus flüchten mussten. Leider ist sie vor ein paar Jahren einem Blitzschlag zum Opfer gefallen. Auch die Nachbarschaft hat sich deutlich verändert. Es findet weniger Kommunikation im Karree statt, dafür trifft man sich eher in vielen kleinen Caféhäusern, die hier entstanden sind.

Trotzdem ist es weiterhin ganz kommodig hier, und wenn das Wetter mal nicht gartengeeignet ist, so wie heute, genieße ich unseren Innenhof bei Buch & Kaffee vom überdachten Balkon aus. Meistens ist es ruhig wie in einem Kurort, wodurch man beinahe vergessen könnte, dass dieser grüne Flecken Erde nur gut einen Kilometer Luftlinie vom Downtown der Stadt entfernt liegt.

Aber es geht auch lebendiger. Allein den Eichhörnchen zuzuschauen, wie sie durch die Bäume turnen oder sogar an den Efeuwänden hinaufklettern, macht einfach nur Freude. Zudem ist unser Quartier bei Musikern sehr beliebt, so dass es im Sommer aus jeder Ecke Gratiskonzerte gibt – aus dem einen Fenster hört man der Sopranistin vom Opernhaus beim Einstudieren einer neuen Partie zu, aus dem anderen begeistert ein Pianist mit umwerfenden Jazzimprovisationen.

Dazu kommen die Zeichen alltäglichen Lebens – Bratkartoffelduft mischt sich mit dem Streit eines jungen Paares, das sich scheinbar über einem missratenen Zoobesuch in den Haaren liegt, denn ihrem lautstarken Austausch sind Worte wie Affe, Ziege, Kamel, Sau oder Ochse zu entnehmen. Was in dieser Aufzählung Idiot und Schlampe zu suchen haben, bleibt uns unfreiwilligen Zuhören jedoch verborgen. Man will’s auch gar nicht wissen, denn kaum ist das Fenster der beiden knallend zugefallen, hört man aus einer anderen Ecke schon wieder die Stimme eines kleinen Mädchens, das seiner Puppe ein Schlaflied singt.

Alles zusammen keine unerträgliche Kakophonie, sondern einfach nur Leben pur.

Es ist wirklich nett hier – ich sage nicht umsonst, dass das Quartier eine Mischung aus Ottensen, Uhlenhorst und Hoheluft ist. Ersetzen kann es mir mein Hamburg nicht, aber es ist eine lebbare Alternative.