Über den Tellerrand geschaut (2)

Fundstücke aus anderen Blogs – Heute: Happy End erwünscht?

Bereits vorgestern wurde im Blog Libromanie in Bezug auf Bücher die Frage „Happy End erwünscht?“ gestellt.

Für mich als leidenschaftlicher Leser ist das defnitiv keine Frage, die sich pauschal mit „Ja!“ oder „Nein!“ beantworten lässt. Sie muss individuell bei jedem Buch neu aufgeworfen werden. Könnte man sich beispielsweise Han Suyins wundervolles A Many-Splendoured Thing (Alle Herrlichkeit auf Erden) mit einem Happy End vorstellen? Nicht wirklich. Manche Bücher werden gerade durch das Ausbleiben eines Happy Ends glaubwürdig und zu einer runden Sache. A Many-Splendoured Thing, übrigens eines meiner Lieblingsbücher, spielt vor dem Hintergrund des Chinesischen Bürgerkriegs 1927 – 1949. Ein Krieg fordert viele Opfer, und vor diesem Hintergrund kann die Romanze der Ich-Erzählerin, einer Halbchinesin, mit einem amerikanischen Kriegsreporter, die obendrein durch das Drama der Gebundenheit der  Erzählerin an die Traditionen ihrer Väter erschwert wird, einfach kein Happy End haben. Es wäre krampfhaft zusammenkonstruiert und vollkommen unglaubwürdig dahergekommen.

Ganz anders Rita Mae Browns Bingo: Dieser Band aus der Trilogie um die Hunsenmeir-Schestern Julia Ellen und Louise muss einfach mit einem Happy End daherkommen. Es ist ein völlig schräges Happy End, bei dem die Protagonisten mehr als eine gesellschaftliche Norm brechen, aber es passt auch einfach zu dem, was man auf der Reise vom ersten Kapitel zum Finale mit den Figuren erlebt hat, so dass auch hier das Gefühl entsteht: Es kann… darf gar nicht anders sein.

An dieser Stelle ein Zwischenruf: Was bedeutet Happy End überhaupt?

Es sollte auf keinen Fall mit einem guten Ende gleichgesetzt werden. Nehmen wir nur mal einen Krimi: Wenn der Mörder geschnappt ist, nimmt die Story sicherlich einen guten Ausgang, weil von diesem Mörder keine weiteren Opfer mehr zu erwarten sind. Aber happy ist das Ende doch auf keinen Fall. Denn da ist ja immer noch das Opfer, um das sich die Krimihandlung gedreht hat bzw. dessen Hinterbliebene. Die dürften erleichtert sein, aber ob sie happy sind, darf bezweifelt werden, denn ihr Verlust bleibt.

Zurück zur Frage – und um doch einmal kurz zu generalisieren: Wie an verschiedenen Ecken hier im Blog erwähnt bin ich ein so großer Fan von Schauergeschichten in altviktorianischer Erzählweise, dass ich mich mit meiner neulich veröffentlichen Kurzgeschichte Das Nebelschiff sogar selber (hoffentlich erfolgreich) an diesem Genre versucht habe. Was ich an Stories wie Das violette Automobil von Edith Nesbit oder Die Drehung der Schraube (auch bekannt unter den Titel Das Geheinis von Bly oder Bis zum Äußersten sowie dem Titel der Verfilmung Schloss des Schreckens mit Deborah Kerr) von Henry James so faszinierend finde, sind die Enden, die gar keine Enden sind. Irgendetwas bleibt immer offen, das den Leser einlädt, die Geschichte im Kopf selber zu Ende zu spinnen, damit er für sich selbst die Frage beantwortet bekommt: „Ist da nun wirklich etwas Übersinnliches geschehen, oder hat die Person sich das Ganze nur aufgrund nervlicher Überspanntheit eingebildet?“

Zusammengefasst also nochmal: Die Frage „Happy End erwünscht?“ kann gar nicht so allgemein beantwortet werden, wie sie gestellt ist. Zu der einen Story passt dies besser, zu der anderen jenes. Es kommt einfach ganz individuell auf das einzelne Buch an und wie sich die Geschichte darin entfaltet.

Souvenirs, Souvenirs

Souvenirs, Souvenirs

Einer großen Zeit

Sind die bunten Träume

Unserer Einsamkeit

Bill Ramsey, „Souvenirs, Souvenirs“
Polydor Single 24 037, 1959

Für einen eher seichten Schlager aus der Wirtschaftswunderära erstaunlich tiefgängige Zeilen. Welche Einsamkeit ist da gemeint? Denken wir an die Einsamkeit zurück, die wir damals gefühlt haben, als die Souvenirs zu uns gekommen sind? Oder erhellen sie uns unsere jetzige Einsamkeit durch die Erinnerung an bessere Zeiten? Und warum Einsamkeit?

Wenn ich mir meine eigenen Souvenirs so anschaue, denke ich eigentlich nie an Einsamkeit, denn eigentlich sind sie doch dafür gedacht, dieses Gefühl gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Alt und gefährlich

Seit gestern ist sie also auf ihrer wirklich letzten Reise – die Costa Concordia ist unterwegs zum Abwracker in Genua. In diversen Medienberichten war zu erfahren, dass es fast zwei Jahre dauern wird, bis von dem Unglücksschiff nichts mehr übrig ist. Zwei Jahre für knapp 115.000 Tonnen. Und das ist eine Zeit, die Experten einer Industrienation benötigen werden.

Das macht mich nachdenklich. Denn so immens die Costa Concordia (noch) ist – das größte Schiff auf dem Kreuzfahrtmarkt war sie nicht. Der aktuell größte Vergnügungsdampfer bringt gut 225.000 Tonnen auf die Waage, also schlappe 110.000 Tonnen mehr, und es gibt eine ganz eine ganze Reihe von Schiffen, die zwischen diesen beiden Maßen angesiedelt sind. Nach oben wird in Zukunft sicherlich auch noch Luft sein.

Wir reden und hören soviel über Kreuzfahrtschiffe als Dreckschleudern was ihre Abgase betrifft. Das will ich gar nicht kleinreden, doch das ist ein Jetzt-Problem, mir geht es aber im Moment um eine weiter entfernt liegende Zukunft.

Jedes Schiff ist irgendwann reif für das, was jetzt der Costa Concordia blüht. Einfach aus Altersgründen. Doch viele von den Giganten der Meere werden nicht von technisch hochausgerüsteten Profis mit aller Sorgfalt und unter Berücksichtigung aller möglichen Sicherheitsvorkehrungen zerlegt. Sie landen auf Schiffsfriedhöfen, etwa wie dem berühmtesten in Alang/Indien, der allerdings nicht der einzige seiner Art ist:

Das Schiff wird mit gerade noch soviel Diesel im Tank, wie benötigt wird, Bug voraus auf den Strand des Schifffriedhofs gerichtet. Dann werden die Maschinen ein letztes Mal auf Volle Kraft voraus hochgejagt und das Schiff rast soweit es möglich ist, den Strand hinauf, seinem sicheren Ende entgegen. Es gibt zahlreiche Berichte bei allen seriösen Nachrichtenportalen aber auch YouTube-Videos, die zeigen, was dann passiert: Einfache Menschen ohne Schutzkleidung und andere Sicherung gegen Gefahren (z. B. Atemmasken), dafür in ganz normalen Kleidungsstücken, die nackten Füße teilweise nur in Badelatschen, nehmen diese Schiffe dann mit einfachsten Werkzeugen auseinander. Sie sind Giftstoffen, herabstürzenden Teilen, herausragenden scharfen Teilen nahezu schutzlos ausgeliefert, und das für einen Hungerlohn. Gibt es dabei Tote? Und was passiert mit Giftstoffen u. ä. aus den Schiffen – wie werden sie entsorgt? Danach fragt dort kaum jemand. Dafür ist das Abwracken eines Schiffes dort viel billiger als auf einer professionellen Werft in unserer so genannten Ersten Welt.

Die Schiffe, die jetzt ins abwrackfähige Alter kommen, stammen noch aus einer anderen Generation und sind fast durchweg kleiner als die Costa Concordia, teilweise weit unter 100.000 Tonnen schwer. Doch wie wird das in zwanzig, dreißig, vierzig Jahren sein, wenn die neuen Riesenpötte von jetzt in Alang landen?

Als Schiffsliebhaber bin ich nicht gegen neue Schiffe, auch nicht gegen große. Aber ich bin dagegen, wenn Schiffe ihrem Ende so entgegengehen wie in Alang. Da muss sich was tun. Für die Umwelt, aber auch für die Menschen, die diese Arbeit übernehmen. Vielleicht könnte es eine Art „Abwracksparbuch“ für jedes Schiff geben, das von jedem Reeder, in dessen Besitz sich ein Schiff während seines ganzen Lebens befindet, bespart werden muss. Davon könnte dann eine sachgemäße Abwrackung finanziert werden. Das würde natürlich zu höheren Preisen bei Kreuzfahrten (bzw. bei den Waren, die per Frachschiff transportiert werden) führen. Aber das sollte es uns wert sein.

… dann kann er was erzählen!

Hoffentlich war mein gestriger Reisebericht nicht zu langweilig? Nein? Ist noch genug Geduld für die Fortsetzung vorhanden? Wirklich? Sicher? Ohne Flachs? Kein Sch…abernack? Dann bitte…

-> hier entlang zu Teil 2

Teil 1 verpasst? Dann zunächst -> hier entlang!

 

Wenn einer eine Reise tut…

Seit gut einer Woche bin ich von meinen beiden geheimen Tagen zurück. Inzwischen sind die Fotos sortiert und vor allem habe ich mein Reisetagebuch entziffert, was bei der Sauklaue selbst mir manchmal schwer fällt. Vom Grips her mag’s für ein Studium nicht gereicht haben, aber von der Handschrift her müsste ich Arzt sein! Aber dann würde hier jetzt vielleicht ein medizinischer Aufsatz stehen, und das muss ja nun auch nicht sein. Also lieber ein Reisebericht – der Länge wegen in zwei Etappen aufgeteilt.

-> Hier geht’s zu Teil 1.

Neues Buch…

Es ist Freitag, das Wetter ist formidabel, und ihr wollt alle ins Freibad. Darum gar nicht viele Worte, sondern nur folgende kleine Ankündigung zu meinem bereits erwähnten neuen Buch:

Titel: Frag doch das Vanilleeis

Inhalt: Traumberuf? Check. Eigene vier Wände? Check. Traummann gefunden? Check. Alles in Ordnung also? Ähm – wie lautete die Frage?

Je länger ein Paar zusammen ist, desto mehr gleicht es sich aneinander an, sagt man. Es heißt auch, dass mehr Harmonie die Folge ist. Bei den beiden Nordlichtern Holger und Christoph scheint da etwas schiefgelaufen sein. Gut, der Hitzkopf ist ruhiger geworden und der Ruhepol spontaner. Nur das mit der Harmonie klappt nicht mehr so ganz. Irgendwie knarrt es seit einiger Zeit im Getriebe.

Die Rückkehr eines Verflossenen der beiden und Holgers Spleen, Problemen mit Vanilleeis zu begegnen, sind keine Hilfe dabei, den Liebeskahn wieder auf Kurs zu bringen. Zudem hat sich Holgers Hund Charly ein paar Unartigkeiten angewöhnt. Rasch ist das Chaos perfekt…

Formate: Taschenbuch und eBook

Erscheinungsdatum: 1. August 2014

Schönes Wochenende!

Mein geheimer Tag

20140715-1Einmal im Jahr gönne ich mir diesen Tag. Naja, eigentlich zwei Tage. Mindestens. Wenn möglich auch mehr. Da weiß niemand außer mir Bescheid, dass ich von 00:00:00 Uhr des Starttages bis 23:59:59 Uhr des Endtages komplett aus allem aussteige und heim nach Hamburg fahre. Ich bin weg, das Handy bleibt aus, Social Media wird ignoriert, die Welt kann mich mal.

Okay, mein Mann weiß Bescheid, damit er sich nicht wundert, wo ich abgeblieben sein könnte, aber auch, damit er besorgte Gemüter beruhigen kann, die mich vergeblich suchen. Doch selbst er erfährt es erst am Abend vorher, wenn ich Bahnticket und Hotelbuchung schwenkend zu ihm komme.

Ach ja, und das Wichtigste: Auch ich selbst informiere mich immer erst kurz vorher über meine Pläne (sehr merkwürdige Gespräche sind das jedes Mal…), denn ich entscheide mich von einer Minute zur anderen aus einem Bauchgefühl heraus dazu. Und ich liebe es. Einfach mal etwas aus heiterem Himmel gegen den Strich gebürstet tun und vor allem und jedem für eine nur mir bekannte Zeitlang komplett verschwinden. Unauffindbar sein. Mich selbst schick einladen und groß ausführen. Gewähltes Alleinsein. Oder mich spontan mit meinen Hamburger Freunden treffen – die kennen mein plötzliches Auftauchen in der Stadt wie einst die Bezaubernde Jeannie bei Major Nelson schon und haben sich daran gewöhnt. Ich mache nur das, was mir gut tut. Spaß haben, Herunterkommen, mich wieder erden und ja – auch, um an einem für mich ganz wichtigen Ort ein paar „innere Angelegenheiten“ mit mir abzumachen, Weichen zu stellen.

Nach sechzehn gemeinsamen Lenzen weiß mein Mann natürlich, wie ich ticke, und als am letzten Mittwoch der Beitrag Verrückt sein erschien, ahnte er noch vor mir, dass der Geheime Tag unmittelbar bevorstand. Im Frühjahr war er für drei Monate im Krankenhaus. Medikamentenneueinstellung. Kommt bei einer chronischen Erbkrankheit öfter vor. Bekannt also, bringt den Alltag aber trotzdem ganz schön durcheinander, und der Daheimgebliebene – in diesem Fall ich – hat sich mitunter um Dinge zu kümmern, die sonst gar nicht seine Baustelle sind, damit der Patient sich in Ruhe um seine Gesundheit kümmern kann. Dafür hat mein Mann sich bei mir bedankt, indem er eines Abends zu mir kam, mir eine Schmuckkarte in die Hand drückte, deren Inhalt mir einen zusätzlichen Tag in Hamburg sponserte. Hatte sich über Monate vom „Taschengeld“, wenn man das bei Erwachsenen noch so nennen darf, abgespart. Bevor interessierte Anfragen kommen – nein, diesen Mann gebe ich nicht mehr her!

So war ich also länger als ursprünglich geplant in der Heimat an der Elbe. Ganz für mich alleine, ganz mit mir alleine. Und was soll ich sagen – ich habe es genossen! So ein richtiges Batterieauftanken und auch eine kleine Belohnung für die letzten Wochen. Diejenigen, die meinem Profil Gerrit Jan Appel – Wortgepüttscher auf Facebook folgen, haben ja schon leise Andeutungen mitbekommen, aber jetzt will ich auch hier nicht mehr den Mantel des Schweigens drüber legen:

Viele Leser scheinen besonders meine beiden „Helden“ Holger und Christoph aus Wodka für die Königin ins Herz geschlossen zu haben. Darüber freue ich mich sehr und danke ganz herzlich dafür.

Obwohl das Buch nun schon ein paar Tage auf dem Buckel hat, bekomme ich immer noch Lob und Tadel dafür, aber auch die Fragen 1.) ob es mal was Neues mit den beiden geben wird und 2.) wenn ja, wann. Hier die Antworten:

1.) Ja.

2.) Innerhalb der nächsten vier Wochen. Ich kann schon verraten, dass das Buch Frag doch das Vanilleeis heißen wird.

Weitere Infos folgen natürlich noch, aber damit die Wartezeit nicht zu lang wird, hier schon mal einen kleinen Ausschnitt sowohl vom Titelbild des Covers als auch aus dem Text:

Fortsetzung folgt!

Schall und Rauch

Nach einem Verwandten meiner Mutter wurde ich auf den klangvollen Namen Gerrit getauft. Gerrit mit Doppel-R, wohlgemerkt. Das ist Niederländisch und heißt schlichtweg Gerhard. Mehr als zwei Jahrzehnte habe ich mit diesem Namen relativ beschwerdefrei gelebt. Dann erschien die Schauspielerin Gerit Kling auf der Bildfläche. Gerit mit einem R, wohlgemerkt. Damit fing der Ärger an.

Ich weiß gar nicht mehr, wann ich den ersten Brief erhalten habe, der an Frau Gerrit Appel gerichtet war. Diesem ersten Brief folgten jedenfalls unzählige weitere. Das hat mich nicht weiter gestört, denn Namen sind Schall und Rauch, Papier ist geduldig, und gerade Werbung kann man so schön ungelesen in die Altpapiertonne werfen. Doch wenn man plötzlich als Betrüger dasteht, sieht das Ganze schon anders aus.

„Tut mir leid“, bedauert die Kassiererin beim Plünnenhöker (für die Nicht-Platten: Bekleidungsgeschäft), „aber den Beleg muss Ihre Frau selber unterschreiben.“ Sie hält mir meine Kreditkarte vor die Nase. „Das ist doch sicher der Name Ihrer Frau oder Freundin?“

Ich knalle meinen Personalausweis auf den Tresen. Die Kassiererin entschuldigt sich tausendmal, die Hose hätte ich aber im nachhinein doch am liebsten dagelassen.

Später am selben Tag in der S-Bahn: Ticketkontrolle. Ich zeige guten Gewissens mein personalisiertes Monatsticket vor.

„Würden Sie bitte mit uns an der nächsten Station aussteigen?“

Ich ahne, woher der Wind weht. Und richtig: „Sie wissen, dass es strafbar ist, personalisierte Tickets von anderen Personen zu benutzen?“

„Durchaus, aber ich habe mir nichts vorzuwerfen.“

Jetzt versucht der Uniformierte, mir ironisch zu kommen: „Ach so, dann hat Ihre Frau heute morgen nur die Tickets vertauscht. Oder heißt Ihre Mutter Gerrit?“

Langsam werde ich sauer. „Ich weiß nicht, wie meine Mutter heißt. Man fand mich in einem Bastkorb auf dem Nil treibend!“

Wütender erneuter Griff zum Ausweis. Nach einer lauwarmen Entschuldigung darf ich eine halbe Stunde im strömenden Regen auf die nächste Bahn warten. Am nächsten Tag habe ich eine mordsmäßige Erkältung.

Solche Ereignisse häuften sich, bis ich die Nase voll hatte und beim Standesamt eine Namensänderung beantragte. Killen wollte ich den Gerrit nicht, so böse war ich meiner Mutter wegen ihrer Namenswahl auch wieder nicht. Aber einen zweiten Vornamen wollte ich hinzunehmen. Einen ganz normalen, nichts Extravagantes. Die Wahl fiel auf Jan – das war simpel, eindeutig männlich und passte zum nordischen und niederländischen Gesamtflair meines Namens.

Dem Antrag wurde stattgegeben. Seit gut zehn Jahren heiße ich nun amtlich beurkundet Gerrit Jan Appel und bin damit recht gut gefahren. Bis ich heute die Post aus dem Kasten holte.

Adressat: Frau Gerrit Jan-Appel.

Anrede im Brief: Sehr geehrte Frau Jan-Appel.

Aaaaaaaaargh!

Verrückt sein

FS Karl Carstens - Foto © by Gerrit Jan AppelSind wir nicht manchmal viel zu vernünftig? Ich meine, selbst im Urlaub, wenn wir alles tun könnten und dürften, weil wir auf keinen Kollegen, keine Deadline im Büro oder sonst jemanden Rücksicht nehmen müssen? Selbst da planen und regeln wir uns doch oft zu Tode. Montags Strand und Minigolf, dienstags Strand und shopping, mittwochs Strand und… et cetera. Und wehe, es gerät Sand in dieses perfekte Getriebe! Ist ja schrecklich, denn gerade das Unerwartete macht einen Urlaub doch zum spannenden Erlebnis.

Vorhin fiel mir ein USB-Stick mit Scans der Fotos von meinem letzten Ausflug auf dem Fährschiff Karl Carstens in die Hände. Das war vor zwanzig Jahren.

Damals kam ich für einen Tagesausflug in Puttgarden an, ein paar Stunden auf See verbringen – und natürlich für Duty Free-Shopping, das es damals noch gab. Schon als ich das Terminal betrat, war mir klar, dass irgendetwas nicht stimmte. Laut Fahrplan hätte eigentlich gerade die Danmark der Danske Statsbaner (DSB) abgefertigt werden müssen. Es lag jedoch gar kein Fährschiff im Hafen, im Bahnhof stand ein Zug nach Kopenhagen mit Kurswagen nach Stockholm, dessen Reisende sich auf dem Bahnsteig die Füße vertraten.

Die freundliche Dame am Ticketschalter gab bereitwillig Auskunft, dass bei den Danske Statsbaner gestreikt würde. Keines der vier DSB-Schiffe verkehrte, im Rødby liefe alles verlangsamt ab. Darum gäbe es im Moment auch keinen Fahrplan – die drei deutschen Schiffe würden so verkehren, wie es gerade möglich sei. Wer heute ein Ticket für einen Tagesausflug löste, täte dies auf eigene Gefahr, weil nicht vorauszusagen sei, wann man aus Rødby zurück sein würde.

Ich hatte auf der Vogefluglinie schon so viel erlebt – da konnte mich so ein Streik doch nicht abhalten! Ticket gelöst, auf das nächste DB-Schiff gewartet. Mit nur einer Stunde Verspätung kam die Karl Carstens in Puttgarden an, ich checkte ein, nach 30 Minuten Liegezeit ging es auf die Ostsee raus. Die Überfahrt verlief normal, doch kurz vor Rødby wurde es spannend. Eine dänische Fähre legte sich quer vor die Hafeneinfahrt. Maschinen stop, Anker werfen. Ich kam mit einer Passagierin ins Gespräch, die von dem Gerücht berichtete, eine DSB-Fähre hätte planmäßig mit Ladung und Passagieren in Puttgarden abgelegt ohne aber Kurs auf Rødby zu nehmen. Statt dessen sei sie gleich nach Nakskov getuckert, wo eine Werftzeit anstand. Erst dort wollte man die Passagiere von Bord lassen. Wow. Wenn das stimmte, konnte ich glücklich schätzen, auf einem DB-Fährschiff zu reisen!

Irgendwann endete die Blockadegeste, wir liefen im Hafen ein. Und wieder legte sich die dänische Fähre vor die Hafeneinfahrt. Statt der fahrplanmäßigen dreißig Minuten lagen wir fast hundertundfünfzig Minuten in Rødby, ehe es zurück ging. Kurz vor dem Einlaufen in Puttgarden dann: „Sehr geehrte Fahrgäste, in wenigen Minuten wird ein Alarm ausgelöst. Bitte bleiben Sie ruhig, es handelt sich um ein Training für die Besatzung.“

FS Danmark - Foto © by Gerrit Jan AppelNa bravo! Langsam wurde die Zeit knapp, und ich befürchtete schon, meinen letzten Zug zurück nach Lübeck zu verpassen. Aber selbst wenn das so gewesen wäre – ich hätte mich einfach irgendwo auf Fehmarn für eine Nacht einquartiert und wäre am nächsten Tag zurückgefahren. Dann wäre zwar das Budget für zwei Tage Strandkorbmiete dahingewesen, aber was soll’s? Strandleben kann man auch auf der Strohmatte genießen.

Doch es ging gut. Fünf Minuten vor Abfahrt des letzten Eilzug (für die jüngeren Leser: Regionalexpress) nach Lübeck war ich wieder in Puttgarden. Mit gefüllter Einkaufstüte und ’ner tollen Reiseerinnerung.

Würde ich mich heute auch noch auf so eine Geschichte einlassen? Jedenfalls nicht mehr so spontan. Ich würde wahrscheinlich halbe Ewigkeit in Puttgarden auf und ab tigern, Für und Wider abwägen und es am Ende vielleicht sein lassen. Später würde ich dann in meinem Hotelzimmer sitzen und mich ärgern, auf so ein kleines, harmloses Abenteuer verzichtet zu haben. Wie langweilig.

Lassen wir das doch gelegentlich mal mit der Vernunft. Let’s bring crazy back!

Daphne ist wieder da!

DaphneAls im Sternzeichen von Widder und Stier gleichzeitig Geborener (jedenfalls behauptet das ein Geburtshoroskop, das ich mal geschenkt bekommen habe; hat angeblich was mit meiner Geburtsstunde zu tun) neige ich zu einer gewissen Sturheit.

Deswegen war mein Mann gar nicht begeistert, als er mir gestern Abend um halb zehn noch unbedingt die Leiter halten musste, damit ich auf unseren Hängeboden kriechen konnte, um an die gewünschte Bettlektüre zu gelangen. Aber ich wollte nun mal Ferien auf Saltkrokan lesen, also musste das Buch her, keine Diskussion! Diskutiert hat mein Mann auch nicht, aber ich bin um ein paar mehr oder minder schmeichelhafte Spitznamen reicher. Ich hätte ihn niemals mit Mrs Brown’s Boys bekannt machen dürfen…

Wie dem auch sei, nach ein paar Minuten nervtötender Kabbelei anregenden Gedankenaustauschs krabbelte ich auf unserem engen Hängeboden herum und suchte den richtigen Karton. Lange Rede kurzer Sinn: Dabei hat sich auch das Rätsel um Daphne gelöst. Sie lag in einem Karton mit Schienen und Loks meiner alten H0-Modelleisenbahn, die „irgendwann“ mal in einer Vitrine dekorativ ausgestellt werden sollen

Die Ferien auf Saltkrokan liegen jedenfalls jetzt auch auf meinem Nachttisch, aber unter Frau Goudges Rosmarinbaum, der selbstverständlich zuerst gelesen wird.

Bin gespannt, ob sich die monatelange Grübelei gelohnt hat. Ich werde berichten.

Rechenspiele

Musik_abspielenManchmal ist selbst so ein sentimentaler Nostalgiebolzen wie ich froh über die Segnungen der modernen Technik.

Im Radio wurde heute der fünfunddreißigste „Geburtstag“ des Walkman begangen. Den jüngeren Lesern wird das jetzt nichts sagen, aber eure Eltern und Großeltern klären euch darüber sicherlich genauso gerne auf wie über die weiteren im Text auftauchenden Fremdworte.

Natürlich hatte ich auch einen Walkman. Abgespielt wurden fast ausschließlich selbst zusammengestellte Mixtapes, angefertigt mit Leercassetten (MC), die eine Laufzeit von 90 Minuten hatten.

Dieser Radiobericht war wirklich nett gemacht, brachte eine Menge Erinnerungen zurück und ich fragte mich, ob meine heute Musiksammlung das geworden wäre, was sie ist, wenn ich weiterhin fast ausschließlich den Walkman zum Musikgenuss hätte.

Natürlich nicht.

Wer mag denn heute noch vor- oder zurückspulen, wenn er ein bestimmtes Lied hören will?

Aber das nur nebenbei.

Auf meiner Musikfestplatte tummeln sich inzwischen rund siebzigtausend Musikdateien. Multipliziert man das mit einer durchschnittlichen Songlaufzeit von 3,5 Minuten und teilt das dann wiederum durch die 90 Minuten Laufzeit einer MC, wird einem klar, wie viele von diesen Magnetbandtonträgern ich unserer kleinen Bude unterbringen müsste.

Ob ich das mal zum Spaß auf die Laufzeit einer 12-Zoll-Schellackplatte mit einer Gesamtlaufzeit von acht Minuten runterbreche?

Besser nicht.