Lange kam unser Quartier in punkto wohnen ein wenig wie das sprichwörtliche Gallierdorf daher. Während alle anderen Ecken der Stadt mal schöner wurden, mal etwas mehr verkamen und vice versa, blieb hier eigentlich immer alles gleich. Ganz selten mal, dass ein Haus neue Fenster, ein neues Dach oder gar einen Anstrich bekam. Die einzige Veränderung war und ist, dass fast an jedem Wochenende in irgendeiner Straße ein Umzug stattfindet – was dann aber wiederum gleichzeitig eine der Konstanten ist, zeigt es doch, wie beliebt und erstrebenswert es nach wie vor ist, hier zu wohnen. Vor allem auch wegen seiner spannenden Mischung aus Studis, Künstlern, Arbeitern, Akademikern, Lebenskünstlern jeder Couleur und Nationalität in sympathischem Miteinander.
Seit etwas über einem Jahr hat sich das Bild gewandelt. Vor Häusern, von denen man dachte, ihre Besitzer würden sie eher einstürzen lassen, als dass sie auch nur einen Cent in den Erhalt investieren, schnellen plötzlich Gerüste in die Höhe. Auf einmal werden nun doch neue Fenster eingebaut, Dächer neu gedeckt, Fassaden gestrichen. Teilweise aufgegeben wirkende Gemäuer werden zu neuem Leben erweckt. Das Quartier wird schicker.
Mit der Optik ändert sich auch die Atmosphäre. Die Latte Macchiato-Muttis mit ihren Designerkinderwagen und den Kalendern voll mit Terminen zum Baby-Yoga sind angekommen. Noch nicht im Übermaß, aber genug, um unübersehbar zu sein. In einigen Cafés kehren jetzt die überteuerten Angestellten des lokalen Bolzvereins ein. Sehen und gesehen werden.
Wechsel bei den Geschäften: Bunte Sammelsurienläden weichen schicken Einrichtungsstudios, Alternatives dem Mainstream. Die etwas rummelige Pommesbude macht dem schicken Burgerladen (natürlich mit veganer Abteilung auf der Speisekarte) Platz.
Offen ausgesprochen habe ich das Wort hier noch nicht gehört, aber es schwebt unsichtbar über dem Quartier. Das böse Wort mit G. Gentrifizierung. Derzeit mit einem Fragezeichen dahinter. Doch zuckt es nicht manchmal, als wolle es sich in ein Ausrufzeichen verwandeln? So wie es in Hamburg, Frankfurt, München, Berlin längst geschehen ist?
Im Moment hält die Waage sich. Wie lange noch?