Studien des Grauens

Gerade jetzt im Winter mache ich es mir gerne in meiner Kuschelecke kommodig und genieße eins meiner Hobbies – Hörspiele. Dabei haben es mir die englischen Stücke meiner Sammlung am meisten angetan, und hiervon ganz besonders die Serie Suspense von CBS Radio. Ich muss davon einfach mal erzählen, weil das Radiohörspiel a.) weltweit und b.) hierzulande trotz der großartigen Arbeiten von Bastian Pastewka (Sherlock Holmes, Paul Temple) leider eher ein Schattendasein fristet.

Während der „Golden Ära des Radios“ ins Leben gerufen, brachte Suspense von 1942 bis 1962 über zwanzig Jahre und 945 Episoden hinweg den Hörern allwöchentlich „Studien des Grauens, raffiniert ausgeklügelt, um Sie unter… SPANNUNG zu halten! (Studies in terror, well calculated to keep you in… SUSPENSE!)“.

Spannend waren die Geschichten in der Tat. Dabei fängt die Story immer so harmlos an.Eine junge Frau besucht z. B. Onkel und Tante, wobei sie zu ihrem Schrecken feststellen muss, dass einer der beiden alten Leutchen den anderen umbringen will, wobei Täter und Opfer nicht einwandfrei zu identifizieren sind.

Ein Ehepaar holt sich einen Untermieter ins Haus, gleichzeitig beginnt in der Nachbarschaft eine Mordserie.

Eine unerschrockene Frau nimmt aus Sparsamkeit kein Taxi für den Heimweg und geht zu Fuß, obwohl ein Frauenmörder die Stadt unsicher macht – sie schafft den Weg unbeschadet, bis sie ihren Haustürschlüssel ins Schloss schieben will…

Die Hauptperson wird also abrupt von ihrem ganz normalen Leben in eine bizarre, lebensbedrohliche, bisweilen tödliche Situation katapultiert. Die Ethik-Codes der amerikanischen Unterhaltungsbranche verlangten damals eine positive Auflösung der Situation mindestens durch die Bestrafung für den Täter. Dem kam das Team von Suspense stets nach, doch man zögerte es wirklich bis zur letztmöglichen Sekunde hinaus. Bis dahin entfaltete sich eine Story so spannend geschrieben und wirkungsvoll in Szene gesetzt, dass daheim an den Radioempfängern Ehefrauen das Bügeleisen auf der weißen Bluse stehen ließen, Ehemänner sich an ihren eigenen Zigaretten verbrannten und im Versteck hinter dem Sofa heimlich zuhörende Kinder die folgende Nacht nur bei eingeschaltetem Licht in ihrem Bett zu halten waren. Das Ticken des Weckers war plötzlich das Ticken einer Zeitbombe – und was hatten die knarrenden Bodendielen draußen im Flur zu bedeuten…?

Noch etwas anderes machte Suspense zum großen Erfolg bei den Radiohörern: Der Anspruch des Produzenten William Spier, nur die besten Talente ins Studio zu holen. Und so liest die Gaststarliste von Suspense sich wie ein Who Is Who? der goldenen Jahre Hollywoods. Joan Crawford, Marlene Dietrich, Orson Welles, Vincent Price, Lilli Palmer, Lana Turner, Myrna Loy, Charles Laughton, Elsa Lanchester, Olivia de Havilland, Frank Sinatra, Rosalind Russell, um nur eine ganz, ganz kleine Auswahl zu nennen. William Spier brauchte sie gar nicht lange bitten. Die Stars drängelten förmlich danach, ans Mikrophon zu treten.

Dabei war die Aufgabe keine leichte – in ihrem „normalen“ Job vor Hollywoods Filmkameras konnten sie sich Patzer erlauben, Szenen bis zur Perfektion wiederholen. Im Radio musste jedoch alles sofort sitzen, denn jede Show ging live in die Welt hinaus – zwei Mal obendrein, denn wegen der Zeitverschiebung gab es eine Ausstrahlung für die US-Ostküste und eine für die US-Westküste und Hawai’i.

Als besonders geschickter Schachzug erwies sich der Einfall, Stars atypisch zu besetzen – ganz besonders Comedy Stars. So war etwa der Entertainer und Komiker Milton Berle als gefeierter Schauspieler zu hören, der seinen Regisseur umbringt und sich vor der Strafe drücken will, indem er Unzurechnungsfähigkeit simuliert – ein bisschen zu gut, denn er wird in Psychiatrie eingewiesen und diese nie mehr verlassen. Das auf heitere Familienserien abonnierte Ehepaar Ozzie und Harriet Nelson fand sich bei Suspense ebenso in hochdramatischen Rollen wieder wie die Königin der TV-Sitcom Lucille Ball gemeinsam mit ihrem Ehemann Desi Arnaz.

Agnes Moorehead war dem amerikanischen Theater-, Kino- und Fernsehpublikum als dramatische Schauspielerin ebenso bekannt wie als Komödiantin, doch in den 1940ern und 1950ern war das Radio oft ihre wahre künstlerische Heimat. Sie spielte in mehreren Hörspielserien die Hauptrolle und war in nahezu jeder anderen wichtigen Serie mindestens einmal Gaststar.

Agnes Moorehead konnte einfach jeden Charakter spielen – eine Übermutter, die den eigenen Sohn dazu treibt, die verhasste Schwiegertochter umzubringen. Eine Figur der französischen Revolution in Orson Welles‘ siebenteiliger Vertonung von Victor Hugos Les Miserables. Eine Kaufmannsfrau mit „einem Mundwerk so spitz wie eine Hutnadel und einem Herz so warm wie der Sommer“.

Ihrem Können waren keine Grenzen gesetzt. So war es nur natürlich, dass sie häufiger als jede andere Schauspielerin von William Spier eingeladen wurde, bei Suspense mitzuwirken und sie obendrein in der berühmtesten Folge zu hören war: Sorry, Wrong Number nach einer Idee von Lucille Fletcher.

Die Story ist genial: New York, eine bettlägerige Invalidin hat nur per Telefon Kontakt zur Außenwelt. Sie will ihren Mann anrufen, doch durch eine Fehlschaltung in der Vermittlungsstelle muss sie mit anhören, wie zwei Männer einen Mord planen. Sie ruft die Polizei, doch man nimmt sie nicht ernst. Es kommt noch ein paarmal zur Fehlschaltung, und sie erfährt immer mehr über den Mord. Als sie realisiert, dass sie das Opfer sein wird, ist der Mörder schon im Haus…

Das Stück war insgesamt sieben Mal mit Agnes Moorehead in dieser Paraderolle zu hören, und jedes Mal wurde es live ausgestrahlt. Später nahm sie es sogar auf Schallplatte auf und machte es zum Bestandteil ihrer One-Woman-Show, mit der sie durch die USA tourte.

Doch nicht nur wegen Agnes Moorehead alleine, sondern auch als Gesamtpaket ist und bleibt Suspense für mich eine Perle der gepflegten Radiounterhaltung. Daher bin ich froh, dass von den 945 Folgen noch rund 895 erhalten sind und dank der phantastischen Seite www.archive.org, einem Online-Archiv für gemeinfreie Audio- und Filmaufnahmen auch heute noch zur Verfügung stehen. Rund 400 Folgen kenne ich inzwischen, ich bin also noch ein wenig beschäftigt…