Bekanntermaßen habe ich ein Faible für „richtiges“ Kochen (sprich: alles frisch, keine Fertigprodukte), was sich auch auf die passenden Utensilien überträgt. Daher war die Begeisterung groß, als ich gestern bei einem guten Freund zum Kaffee eingeladen war und gleich bei meiner Ankunft einen herrlichen alten gusseisernen Bräter auf seinem Herd stehen sah, mindestens fünfzig Jahre alt war das Teil und top gepflegt.
Mein Gastgeber war weniger angetan, denn über die Osterfeiertage hatte seine Mutter ihm den Bräter geschenkt. Als er vor zig Jahren aus dem Elternhaus ausgezogen ist, wollte er ihr das gute Stück abluchsen, doch da hat sie sich geweigert – verständlicherweise, denn man kennt ja die Geschichten von Nestflüchtern, die ihren Eltern die halbe Bude leerräumen. Nun hat sie ihn also von sich aus angeboten, und irgendwie war seine Freude darüber leicht getrübt. Schließlich ist er über vierzig, woraus sich ergibt, dass seine Mutter inzwischen seit ein paar Jahren die Altersrente bezieht.
Was das mit dem Bräter zu tun hat? Diese Geste erinnerte ihn an eine Situation, die mir selber auch bekannt ist. Ich habe sie mit Onkeln, Tanten und zuletzt mit meiner vor fast fünf Jahren verstorbenen Großmutter erlebt:
Irgendwann fangen ältere Leute an, gewisse Dinge zu verschenken. Der Enkel erhält die alte Lampe aus dem Gästezimmer, die er schon als Kind so gemocht hat. Die Tochter bekommt schon mal das Album mit den Erinnerungsfotos aus den Urlauben 1964 in Katwijk und 1965 auf Møn. Dem Schwiegersohn wird der Werkzeugkasten des schon vor zehn Jahren verstorbenen Schwiegervaters zugedacht. Die Nachbarin, neben der man seit zehn Jahren wohnt, wird mit dem Zimmerspringbrunnen bedacht, den sie schon so lange bewundert.
Warum machen die älteren Leutchen das? Klar, um ihren Lieben eine Freude zu bereiten. Aber ich glaube, ab einem individuellen, für jeden von uns nicht vorhersehbaren Punkt X kommt noch etwas anderes dazu: Sie scheinen sich allmählich auf den letzten Vorhang vorzubereiten ohne dabei zu wissen, wie lange es noch dauert. Wochen, Monate, vielleicht sogar doch noch ein paar Jahre…
Egal, wie lange es am Ende noch dauern mag: Ganz unbewusst scheinen sie von dem Wunsch erfüllt zu sein, in ihrem Leben aufzuräumen. Sie möchten nicht, dass einige Dinge schlimmstenfalls später achtlos auf dem Müll landen. Sie möchten sie verschenken, und das viel lieber mit der warmen Hand als später mit der kalten. Sie wollen noch mitbekommen, wie sich die Beschenkten freuen.
Doch für genau die mischt sich in die Freude über die Geschenke auch ein wenig Unbehagen. Denn vielleicht nicht beim ersten Geschenk, möglicherweise auch noch nicht beim zweiten, aber doch irgendwann kommt da diese Erkenntnis, woher auf einmal diese Zunahme an Großzügigkeit rührt. Man muss sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass dieser eine bestimmte Tag nun näher kommt, wo man diesen Menschen loslassen muss, den man gern hat, mit dem man sich natürlich auch über die Jahre hinweg mal so in der Wolle hatte, das man nie wieder mit ihm sprechen wollte.
Gehalten hat dieser Vorsatz ohnehin nie. Jahre später sitzt man dann zusammen und wundert sich: „Weißt du eigentlich noch, was damals los war? Nee? Komisch, ich auch nicht.“ Hatte man sich überhaupt in der Wolle? Oder war das nur ein „Begleitschaden“ aus einem ganz anderen Ärger? Man weiß es nicht.
Ganz egal, man ist älter geworden, man ist reifer geworden – und man hat eingesehen, dass wir alle von Zeit zu Zeit so richtig einen an der Waffel haben und das Leben einfach so sein muss. Die alten Geschichten – und davon hat jeder welche – spielen keine Rolle mehr. Der Kreis schließt sich langsam, und es wird wohl ein harmonischer Schluss sein.
Dann beginnen die Geschenke, kommt der Tag der Erkenntnis, kommt der Tag des Loslassens. Und, ja – gleichzeitig ist dieser Tag des Loslassens auch der Tag, an dem man selber automatisch um einen Platz in der Reihe nach vorne rückt.
Über das Geschenk mag man sich freuen, bei jener Erkenntnis will es nicht gelingen. Viel zu bald fängt man selber an, ganz besondere Geschenke zu machen…