Langsam kommt der Frühling in Fahrt. Gestern war der erste Abend, an dem ich bis nach zehn auf dem Balkon gesessen habe. Statt im T-Shirt zwar im dicken Pulli, aber immerhin!
Es war ein kommodiger Abend – eine Kanne Tee auf dem Stövchen (für eisgekühlte Cocktails war es halt auch zu noch zu frisch) und ein gutes Buch in den Händen. Ab und zu hochgeschaut und genossen, wie das Karree unseres großstädtischen Hinterhofs erst in der Abenddämmerung und schließlich im Dunkel der Nacht versank. Frühjahrsabendidylle pur. Bis zu dem – frei nach Sherlock Holmes – „seltsamen Vorkommnis mit der Katze in der Nacht“.
Ich mag Katzen – ehrlich, auch wenn ich ein typischer Hundemensch bin. Doch gestern Abend wurde meine Sympathie zu unseren samtpfotigen Freunden auf die Probe gestellt. Wobei ich zugeben muss, dass ich zuerst gar nicht an eine Katze dachte, als ein wiederkehrendes „au, au, au“ mir langsam die Konzentration für mein Buch raubte. Ich dachte an eins der Kinder aus der Nachbarschaft, das vielleicht einen verdorbenen Magen hatte. Aber dafür war das „au, au, au“ zu regelmäßig, zu monoton, und keine Mutter würde ihrem Kind bei solchem Unwohlsein den Trost versagen!
Auch die Idee, dass einer der diversen Musiker im Karree sich Stimmübungen hingab, verwarf ich. „Au, au, au, au, au, au, au“ als Tonleiterübung kannte ich selber noch aus alten Chorzeiten, aber dass man ein und den selben Ton auf die Silbe „au“ wiederholte – nein.
Ich glaube, ich lebe mittlerweile zu lange in der Stadt, denn es dauerte eine Ewigkeit, bis ich mich daran erinnerte, dass die Katzen bi uns op’n Dörp früher auch immer so ein Spektakel gemacht haben wenn sie rollig wurden in Frühlingslaune kamen. Und wenn die Viecher erst mal geil amourös sind, kann das Stunden dauern!
Warum war da eigentlich eine Katze? Die pelzigen Hausfreunde der Nachbarn sind allesamt echte Stubentiger, Betonung auf Stube, keiner von denen würde auch nur raus wollen. Also eine fremde Katze. Bloß – wo kam die her? Eigentlich ist das Karree komplett geschlossen. Eigentlich… denn an drei Tagen in der Woche stehen nahezu alle Türen auf, nämlich, wenn die Müllabfuhr die diversen schwarzen, gelben, blauen, braunen Tonnen leert. Auf diese Weise konnte gut ein Streuner ins Karree gekommen sein, denn so ist auch die rege Eichhörnchenpopulation bei uns zustande gekommen.
Was nun? Hier würde die Katze jedenfalls keinen Anschluss finden, also raus in die Freiheit mit ihr. Zugegeben, ich dachte nicht nur an die Katze, deren Interpretation von Liebesleid fatal an Florence Foster-Jenkins erinnerte, sondern auch an meine ruhige Lesestunde. Ich ging runter, öffnete Haus- und Hoftür und veranschlagte für das Projekt eine Stunde.
Tja, die Katze hatte andere Pläne: Sie blieb wie angetackert auf ihrem Posten und „au, au, au“-te ungerührt weiter.
Hm, sollte ich mir kurz den Hund von Freunden borgen und ihn einmal durch den Hof jagen? Nein, dafür war es zu spät, und als Neufundländer geht Baby (er heißt wirklich so!) ohnehin jeder Trieb ab, hinter einer Katze her zu hechten wie der Coyote hinter dem Road Runner. Er probiert’s lieber mit Gemütlichkeit.
Am Ende hatte die Katze gewonnen – ich beendete meine Lesestunde, ging zu Bett und hoffte, das die freitägliche Runde der Müllabfuhr genügend Wege in die Freiheit und zu erfolgversprechenderen Liebesabenteuern weisen würde.
Es wird sich heute Abend zeigen.