Sneak Preview

Zur Wochenmitte heute einfach mal eine Vorschau auf die etwas größeren Dinge, die hier im Wortgepüttscher in näherer Zukufnt passieren werden.

Es gibt also eine Sneak Preview, wie man so schön sagt, nämlich die Einleitung zu der neuen Kurzgeschichte Fährmann, hol über, die noch in diesem Jahr in einem Sammelband (Print + eBook) erscheinen soll. Viel Vergnügen!

 

1880

 

Sorgfältig klopfte Fährmann Diederk Bonhagen die kalten Tabakreste in eine alte Schüssel, bevor er seine Pfeife in der Westentasche verstaute. Er saß auf der Bank vor seinem Fährhaus unweit des Dorfes Süderbrack im Alten Land. Es war eine klarer Frühlingsabend im Mai. Die Sonne versank allmählich, das Tagblau des Himmels wandelte sich zu den Farben der herannahenden Nacht.

Aus dem Hinterland wehte der Duft der Obstblüte und vermischte sich mit den feuchten Schwaden der Elbe. Bei auflaufender Tide gesellte sich noch eine leichte salzige Brise hinzu.

Fährmann Bonhagen ließ seinen Blick schweifen. Bis zum Ufer der Insel Bracksand waren es gut sechshundert Meter über einen Nebenarm der Elbe. Vom Inseldorf war nichts zu sehen, es lag hinter einem Wäldchen verborgen. Es war nicht mehr als ein Weiler, der aus den wenigen Häusern für drei Elbfischerfamilien, zwei Schäfer und einem Binsenbauer bestand. So gut es ging versorgten sich die Familien selbst, was man dennoch benötige, besorgte man sich aus Süderbrack Auch zum Sonntagsgottesdienst setzte man dorthin über, denn eine Kirche gab es auf der Insel nicht. Nur seine Toten beerdigte man hier, dafür kam der Pastor von Süderbrack herüber, wenn es nötig war.

Obwohl Bracksand klein und nur spärlich besiedelt war, setzte Fährmann Diederk Bonhagen mehrmals am Tag über, denn geräucherte Aale und Stinte von Bracksand waren weithin begehrt und die Fanggründe rund um die Insel reichhaltig. Genauso begehrt waren die Körbe, die die Frau des Binsenbauern aus dem geernteten Binsengras flocht.

Darum reichte Bonhagens kleines Dampfboot nur, um Leute überzusetzen. Für die Fracht besaß er einen kleinen Prahm, den er seitlich vertäut mitnahm.

Zweimal am Tag fuhr er zudem um die Landzunge im Westen von Bracksand herum und setzte zum anderen Ufer der Elbe nach Norderbrack über. Dort lieferte er Obst und Gemüse aus dem Alten Land ab, während er auf der Rückfahrt Dinge von den Milch-, Vieh- und Getreidebauern mitbrachte.

Bonhagen war nicht mehr ganz jung. Mit achtzehn hatte er den Posten des Fährmanns von seinem Vater übernommen, als dieser starb. Das war jetzt zwanzig Jahre her. Damit war er aber auch noch nicht ganz alt. Man sah es ihm nicht an, dass er noch einige Zeit vom Greisendasein entfernt war. Wie jeder, der auf dem Wasser seinen Lohn erarbeitete, war sein Gesicht wettergegerbt und schien älter, als er wirklich war.

Er kniff die Augen zusammen. Die Öllaternen der Fährstelle von Bracksand ließen sich hingegen gut ausmachen. Etwas weiter westlich blinkte in gleichmäßigem Takt das goldene Licht des Leuchtfeuers von Bracksandhöft auf, das Schiffen den sicheren Weg um die Landzunge wies.

Doch in dieser Nacht fuhr kein Schiff, dabei war sie wie gemacht dafür. Obwohl noch nicht einmal der zunehmende Halbmond ganz erreicht war, strahlte es hell vom Nachthimmel und erleuchtete die Landschaft so sehr, dass das Leuchtfeuer beinahe überflüssig war.

Der Kirchturm von Süderbrack schlug acht Uhr zum Abend. Die letzte Möglichkeit für heute war verstrichen, Bonhagen und sein kleines Fährboot mit der Glocke und dem Ruf „Fährmann, hol über!“ auf den Fluss hinaus zu bringen. Wer nun kam, musste bis sechs Uhr in der Früh warten, sofern er nicht die Alarmglocke läutete. Dafür musste er aber einen wirklich guten Grund haben, sonst gäbe es nicht nur böse Scherereien mit dem Fährmann, auch der Gendarm von Bracksand hatte dann ein Wörtchen mitzureden.

Zögernd blieb Bonhagen vor seinem Haus sitzen, bis er das Zeitgefühl verlor. Irgendetwas schien in der Luft zu liegen. Er konnte es nicht benennen, sein ungutes Gefühl ließ sich aber auch nicht leugnen.

Doch außer dem leichten Gluckern der Wellen war kein Geräusch zu hören, nicht einmal ein Nachtvogel. Sollte er noch eine Pfeife rauchen? Nein, morgen war Markttag in Süderbrack. Er würde oft übersetzen müssen, da brauchte er alle Sinne und Kräfte beisammen.

Die Kirche von Süderbrack schlug zehn. Fährmann Bonhagen stand auf und warf einen letzten Blick in die Nacht. Nichts zu sehen, nichts zu hören. Er ging ins Haus und schloss sorgfältig die Tür hinter sich.

Von irgendwoher ertönte der Ruf einer Unke.

 

Bis zur kompletten Veröffentlichung von Fährmann, hol über dauert es noch eine Weile, aber bis dahin kann man die Zeit z. B. mit meiner zuletzt erschienenen Kurzgeschichte Die Witwe von Nienstedten überbrücken…