Wie soll ich DAS meinem Biographen erklären?

„Treibt Sport, oder ihr bleibt gesund“ – dieser Stoßseufzer ist wohl jedem Sportler mal über die Lippen gekommen, der Opfer einer Malaise in Verbindung mit seiner Leibesertüchtigung geworden ist. Und was haben sie nicht alle für Heldenepen zu erzählen. Beim Radfahren in den Graben gefallen, und um gefunden zu werden, mussten sie von Hand das kleine Rädchen am Dynamo drehen, um so ein schwaches Glimmen der Lampe zu erzeugen. Beim Sportfischen von einem besonders wehrfreudigen Hecht mitgerissen worden und fast ertrunken. All so was.

Da komme ich mir jedes Mal richtig mickrig vor, wenn mir was passiert. Die Stammleser werden sich z. B. noch an meine Begegnung mit der Dortmunder Hilfsbereitschaft oder einer übereifrigen Bremse erinnern. Nix, was ein eigenes Kapitel wert wäre, sollte mal jemand meine Biographie schreiben. Es wäre nicht mal einen Nebensatz in irgendeinem Kapitel wert.

Auch die neueste Story nicht, obwohl sie filmreif beginnt. Es war am Sonnabendmorgen beim Lauftraining. Unterwegs schien eine Kiefer nur auf mich gewartet zu haben – sie warf einen Zapfen ab, der mir so punktgenau vor den rechten Fuß gefallen ist, dass ich nicht mehr ausweichen konnte. Voll draufgetreten und heftigst umgeknickt. Natürlich schwoll mein zartes japanisches Teefüßchen sofort an. Die zwei Kilometer nach Hause – damit es sich auch richtig lohnte, ging es dabei drei steile Rampen rauf und runter – haben ihm den Rest gegeben. Alles schmerzte und war ziemlich dick, als ich zuhause ankam.

Was macht man als sturer Widder am Wochenende, wenn der Hausarzt seine Praxis geschlossen hält? Richtig, man greift auf Omas „Umschläge mit Arnika“ zurück. Das half sogar, am Nachmittag sah mein Knöchel wieder normal aus. Gut, beim Auftreten tat es noch etwas weh, aber übers Wochenende ruhig halten, Montag eventuell zum Doc, eine Salbe aufschreiben lassen, zuhause das Bein ein, zwei Wochen hochlegen und dann langsam mit Walking wieder an den Sport heranführen. Das dürfte reichen.

Funktionierte bestens in der Praxis. Bis Sonntag, ca. 15 Uhr. Ab dann war alle Theorie grau, denn der Fuß wurde beständig dicker, bis er wie ein aufgeblasener Gummihandschuh aussah. Erst hautfarben, dann in einem Blau, das nur bei Paradeuniformen durchtrainierter US-Marines schick ist.

Da im Fernsehen nur Tatort lief, für den wir die Glotze eh nie anmachen würden, entschieden mein Mann und ich: Verbringen wir doch den Abend einfach in der Notfallambulanz! Leben live!

Ab ins Taxi für eine Strecke, die ich normalerweise in fünf Minuten gelaufen bin. Anmeldung in der Notaufnahme, kurze Schilderung der Sachlage, „Bitte gehen Sie in den Warteraum, wir sagen dem Chirurgen Bescheid.“

What the f***? CHIRURG?!

Okay, sinnig und suutje, alter Knabe… Du warst als Fünfjähriger das letzte Mal Krankenhauspatient. Da ging es um deine Augen, weil du schlimmer geschielt hast als Clarence der Löwe. Dir fehlt Erfahrung. Die werden hier schon wissen, was zu tun ist, die haben das ja mal gelernt.

Also Lager im Warteraum aufgeschlagen. Der Fernseher dort zeigte zwar nicht Tatort, dafür eine ZDF-Schwedenschnulze. Nicht ideal, aber immer noch besser als diese nervtötende Travestie eines Krimis aus Münster.

In so einer Notaufnahme kann man sich natürlich nicht genauer auf einen Film konzentrieren. Es ist unruhig, immer tut sich was. Wenn man sich als Notfallpatient aus dem Haus macht, versäumt man in der Hektik meist Dinge mitzunehmen, die einen sonst zu jedem normalen Arztbesuch begleiten, also etwas zu lesen. So saßen mein Mann und ich nur da und beobachteten das Geschehen.

Patient kommt vom lateinischen patiens, das u. a. für Geduld haben steht. Die kranken Kinder in der Notaufnahme hatten davon am meisten: Ein kleiner Junge mit einem wirklich üblen, triefenden Veilchen spielte in aller Ruhe mit seiner Großmutter. Zwischendurch winkte er mir zu, ich antwortete mit Augenzwinkern, worauf er lachte. Ein Mädchen, das offenbar eine Flüssigkeit ins Ohr bekommen hatte, las.

Ganz anders die Erwachsenen, vorrangig Männer. Die legten eine Attitüde an den Tag Abend, die jedes Klischee über kranke Männer bestätigte. Da wurde gestöhnt, gejammert, genörgelt, andere übten erfolglos den Lerne leiden ohne zu klagen-Blick.

Die Wartezeit dauerte, ich wurde langsam müde, also zog Männe mir einen Kaffee. Erstaunlich gutes Zeugs für ein Automatengebräu. Schmeckte mir auf jeden Fall besser als der überteuerte Muckefuck von Starbucks.

Dann ging es auf einmal ganz schnell. Der Chirurg rief mich auf und brachte mich zum Untersuchungsraum. Mein Mann stützte mich auf dem Weg.

Während der Medizinmann etwas in den PC hackte, schaute ich ihn mir genauer an. Anfang bis Mitte Dreißig, blond, sehr attraktiv geschnittenes Gesicht. Ich dachte an das Bonmot von Heinz Erhardt über die Frau die zwei Ärzte hat: Einen älteren, wenn sie krank ist – einen jüngeren, wenn ihr was fehlt. Der hier war optisch auf jeden Fall für die zweite Option vorgesehen. Ein hübsches Kerlchen.

Das merkte auch mein Mann, denn als die übliche Befragung losging, welchen Hausarzt man habe etc. beantwortete er alle Fragen, bis ich ihm meinen bösesten Halt die Klappe, Rose!-Blick zuwarf. Wer war hier denn der Patient, der die Zuwendung eines einfühlsamen, attraktiven Arztes brauchte?

Der Fuß wurde untersucht. Die Befunde waren natürlich ein medizinisches Kauderwelsch, bei dem unsereins nur „Ägypten – Pyramide – Baumwolle“ versteht.

Dann hörte ich das Wort „Fraktur“. Jetzt war ich auch auf dem Weg dahin, wie die Kerle im Warteraum eine leichte Jammerigkeit aufzubauen. Das hätte mir noch gefehlt – GIPS! Mein Heimattrip nach Hamburg war bereits fest gebucht, u. a. zwecks dort zu laufendem Halbmarathon, auf den ich zwölf Monate lang hintrainiert hatte… Aber das konnte ich mir wohl wirklich abschminken. Ich war wütend und enttäuscht.

Also rüber zum Röntgen, und das hat mich wirklich beeindruckt. Wenn ich bedenke, wie lange es früher dauerte, auch nur ein Bild zu machen… In der Hälfte der Zeit wurden bei mir dank moderner Technik gleich zwei gemacht.

Danach nochmal zurück zum Medizinschnuckel, der mir nach Auswertung der Bilder offenbarte, es sei keine Fraktur (Danke, danke, danke!!!), sondern nur seine sehr starke Bänderzerrung. Salbe, Umschläge, Schmerztabletten. Morgen vom Hausarzt kontrollieren lassen. Zuhause das Bein zwei, drei Wochen hochlegen und dann langsam mit Walking an den Sport heran… (siehe oben).

Na super, wie soll ich das bitteschön meinem zukünftigen Biographen verklaren? Der zielstrebige Kiefernzapfen war doch so ein vielversprechender Anfang und am Ende, nach fast drei Stunden Notfallambulanz, kommt wieder nur so eine Wald- und Wiesenverletzung dabei heraus…?

Dann sah ich die Schachtel Schmerztabletten, die der schnuckelige Doc mir gegeben hatte… Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich, meine schwere Allergie gegen den Wirkstoff des Präparats zu verschweigen, um so noch die dramatische Wende des Abends herbeizuführen, auf die mein künftiger Biograph an dieser Textstelle wahrscheinlich immer noch wartet. Aber ich nahm letztlich Abstand von dieser Idee und ließ mir etwas anderes geben. Zu unangenehm die Erinnerung an die letzte allergische Reaktion nach der Einnahme dieses Medikaments..

Und überhaupt – was interessiert mich ein künftiger Biograph? Hier schreibt der Chef noch selbst, und wenn’s schon nicht dramatisch ist, kann man’s wenigstens witzig erzählen!

PS: Damit endete die Sportpatienten-Saga natürlich noch nicht. Als Folge der Tatenlosigkeit, zu der ich nun verdonnert war, kämpfte ich mit einem ausgewachsenen Lagerkoller, gegen den ich zunächst ein 10-Punkte-Programm entwickelte (-> hier nachzulesen), das sich dann aber dank meiner voller Gay-Stereotypen steckenden Nachbarn (-> hier nachzulesen) von selbst erledigte…