48 Meter im Quadrat

Es ist Sonntagabend und ich sitze in einer kahlen Küche – auf dem Fußboden, mit dem Rücken an die Speisekammertür gelehnt. Das Klappern der Laptoptastatur klingt in dem fast leeren Raum unnatürlich laut.

Über dieses Wochenende ist die Küche gestrichen worden. Die Leser hier, die schon von ziemlich Anfang an dabei sind, werden sich erinnern, dass wir das schon länger vorhatten. Tscha… Bedingt durch mehrere Krankenhausaufenthalte meines Mannes und andere unbeeinflussbare Umstände musste das Ganze mehrmals vertagt werden. Nun ist es aber endlich über die Bühne gegangen. Irgendwas ist ja immer, ergo hat alles ein bisschen länger gedauert. Ganz fertig werden wir wohl erst am Dienstag oder Mittwoch, vielleicht wird’s sogar Donnerstag. Macht aber nix.

Jetzt schaue ich mir im Schein der nackten Glühbirne an der Decke die frisch gestrichenen Wände an, an denen nichts von mir stammt. Ich hab‘ nämlich den tollsten Mann der Welt. Als der Tag des ersten Pinselstrichs konkret beschlossen wurde, sagte er zu mir: „Schatz, ich weiß, dass du dich auf den Geruch von Füllspachtel und daneben getropfte Farbe in etwa so sehr freust wie auf ein Vollbad in Salzsäure. Ich hab‘ meinen Kumpel M. gefragt, ob er mir hilft. Was hältst du also davon, wenn du nur beim Aus- und Einräumen mit anpackst und M. und mir ’nen Pott Stielmus für zwei Tage kochst? Am Freitag selber verduftest du irgendwohin und hast Spaß.“

Das gehört zu den größten Geschenken, die mein Mann mir machen kann. Also war ich am vergangenen Freitag in Köln zum Kaffeeklatsch mit einem lieben Freund. Ein wurde ein wirklich toller Tag.

Gerade muss ich an diesen Moment des Schenkens denken. Er hat auch in dieser Küche stattgefunden. Was hat sie nicht alles gesehen. Fröhliche Parties, sprachlose Fassungslosigkeit nach einem Todesfall, Streit, Versöhnungen, Albereien, tiefschürfende Diskussionen, Enttäuschungen, Freudentänze. Hier ist alles passiert, was eine Wohnung zum Heim für eine kleine Familie macht. Erinnerungen, die ein neuer Anstrich weder vertreiben kann noch darf. Das gilt für die ganze Wohnung. Sie ist nur 48 m² groß. Aber was macht das schon?

Einige Menschen haben – teils offen, teils hinter unserem Rücken – in den letzten siebzehn Jahren mächtig darüber abgelästert, dass wir uns nichts Größeres suchen. Aber warum dieser schäbige Materialismus? „Nicht auf die Größe kommt es an…“ trifft nicht nur auf gewisse körperliche Ausstattungsmerkmale zu. Nun ja, besagte Menschen gehören inzwischen nicht mehr zu unserem Umfeld – in dem einen oder anderen Fall ist eine Entfreundung das Beste, was einem passieren kann. Trotzdem tun sie mir ein bisschen leid. Weil ihnen eine wichtige Erkenntnis entgangen ist: Ein Heim schaffst du dadurch, dass du alle Räume mit Liebe, Herz, Gastfreundschaft und menschlicher Wärme möblierst. Ein Haus/eine Wohnung, in dem das alles wohnt, blüht immer – egal, wie alt der Teppich oder überteuert das Markensofa ist – und passt den Menschen, die dort leben, wie maßgeschneidert.

Wenn du das nicht hinkriegst, hilft dir kein Quadratmeter zusätzlich. Dann wird auch ein Haus/eine Wohnung mit den Quadratmeterzahlen von Schloss Benrath zum kalten, engen Loch, das deine Seele erdrückt wie eine Schrottpresse.