Stellt euch vor: Miami, 1985

Auf den Tag genau heute vor dreißig Jahren begann eine neue Ära: Vier Frauen aus Florida zeigten der Welt von nun an, dass man auch jenseits der magischen Altersgrenze von 50 Jahren noch eine verdammt große Menge an Leben, Sexualität, Attraktivität und die Energie, etwas zu bewegen, in sich tragen kann. Die Golden Girls gingen zum ersten mal über den Sender. Seitdem sind sie nie wieder verschwunden. Bis heute läuft irgendwo auf der Welt immer eine Folge dieser Serie.

Wenn ich mir Golden Girls heute so anschaue, komme ich zu dem faszinierenden Schluss, dass sich in all den Jahren überhaupt nichts geändert hat. Gut, die Bildqualität ist besser geworden, und die Mode ist eine andere. Ansonsten sind die vier Ladies aus Miami heute noch genau so frisch wie vor drei Jahrzehnten und ihre Stories immer noch hochaktuell.

Die Golden Girls gingen als eine der letzten Sitcoms an den Start, die sich nicht damit begnügten, nur eine Reihe von hohlen Gags zu zünden, bei denen die Charaktere sich gegenseitig so dämlich wie möglich dastehen lassen.

Nach Lucille Balls übermütigem I Love Lucy-Slapstick der 1950er und den betulichen „Mommy und Daddy sind ja so herzensgut“-Sitcoms der 1960er waren die Sitcoms ab den 1970er Jahren zunehmend (gesellschafts)politischer geworden. Maude etwa, die Serie, in der Beatrice Arthur mitwirkte, bevor sie zum Golden Girl Dorothy wurde, setzte Maßstäbe. In einer Zeit, als Gesellschaft und Politik in den USA sich mit Gesetzen zur Legalisierung von Abtreibung schwertaten und die Staatsvertreter hitzig und bisweilen sehr unsachlich diskutierten (etwas, das sich bis heute kaum geändert hat), brachte Maude dieses Thema aus Sicht einer Betroffenen aufs Tapet und gab der Diskussion eine interessante Wende, die sich bis in die Presse und nach Washington niederschlug. Andere Folgen beschäftigten sich mit dem Alkoholismus von Maudes Ehemann Walter, Bürgerrechten, Marihuanakonsum, Zivilcourage oder Depressionen.

Die Serie All In The Family, von der britischen Reihe Till Death Do Us Part inspiriert, aus der in Deutschland wiederum Ein Herz und eine Seele abgeleitet wurde, zeigte in einer bewegenden Doppelfolge, wie die weibliche Hauptfigur Edith Bunker Opfer eines Vergewaltigungsversuchs wurde und ihren Umgang mit diesem traumatischen Erlebnis finden musste.

Harte Themen, die besonders viel Fingerspitzengefühl erfordern, wenn man sich ihnen über das Stilmittel der Komödie nähern will. Man muss echte Geschichten erzählen, um diesen Drahtseilakt vollbringen zu können. Die Golden Girls haben genau das geschafft, wenn sie über HIV, minderjährige Mütter, Missstände in Altenheimen, Flüchtlingsintegration (!), Altersarmut, Demenz, Einsamkeit oder von der Gesellschaft nicht anerkannte Krankheiten sprachen, dabei manches Tabu brachen und unzähligen Menschen tatsächlich Wege aus einem ganz persönlichen Dilemma zeigten, denn in den 180 Folgen blieb eigentlich kein Thema unangetastet.

Gerade für uns Gays haben die Golden Girls unheimlich viel bewirkt. Viele Episoden drehten sich um Homosexualität, brachen eine Lanze für gleichgeschlechtlich liebende Menschen. Durch ihren generationsübergreifenden Charme kam das Thema plötzlich in vielen Familien auf die Tagesordnung und öffnete manche Tür für uns. Unvergessen die Szene, in welcher Sophia (Estelle Getty) über die simple Frage „Warum haben Männer eigentlich Brustwarzen?“ Blanche (Rue McClanahan) dazu brachte, nicht nur die Homosexualität ihres Bruders zu aktzeptieren, sondern auch dessen Wunsch, seinen Freund zu heiraten.* Als diese Folge um 1992 bei uns ausgestrahlt wurde, schraubte ich gerade selber noch am Coming out vor meiner Familie, und obwohl es eine Fiktion war, hat Sophia mir irgendwie doch das Vertrauen gegeben, auch in meinem Umfeld solch aufgeschlossene Menschen dieser Altersgruppe zu finden. Das ging nicht nur mir so.

Manchmal gingen die die Drehbuchautoren noch weiter. So musste sich Sophia in einer Episode nicht nur mit dem Tod ihres Sohnes Phil auseinandersetzen, sondern auch mit dessen Transvestitismus. Phils Vorliebe für Frauenkleider war für sie, die streng katholisch erzogene Italienerin, ein lebenslanges Trauma, das sie mit Verachtung für ihre Schwiegertochter Angela kompensierte. Ausgerechnet die von allen für ein Dummchen gehaltene Rose (Betty White) ist es, die Sophia mit intelligenten, gefühlvollen Worten klarmacht, dass es vollkommen okay ist, jemanden zu lieben, der nicht dem entspricht, was allgemein als „normal“ gilt. Die letzte Szene endet nicht mit einer komischen Schlusspointe, sondern mit einer gebrochenen Sophia, die nach der Versöhnung mit Angela endlich ihre Liebe und Trauer zulassen kann.**

Für mich ist diese Folge die beste, weil sie eine perfekte Balance zwischen herrlicher Komik und anrührenden Momenten findet, wie dem bewegenden Monolog von Dorothy an Phils Grab, in dem sie über verpasste Gelegenheiten spricht.

Gerade solche Episoden zeigen, dass die Golden Girls gar nicht die sorgenfreien und leicht oberflächlichen Gaglieferantinnen sind, auf die sie gerade hier in Deutschland oft reduziert werden.

So ist Blanche alles andere als das sexbesessene Früchtchen aus den Südstaaten. In der letzten Staffel gibt sie zu, die meisten ihrer Bettgeschichten nur erfunden zu haben. Denn mit ihrem George hat sie die Liebe ihres Lebens erlebt, und über seinen Tod ist sie nie hinweggekommen. Seitdem hat sie panische Angst davor, noch einmal die Verlassene zu sein, weshalb sie einen Mann nach dem anderen gehen lässt, bevor es zu ernst wird. Dass sie zudem für ihre Töchter nie die Mutter war, die sie gerne gewesen wäre, belastet sie zusätzlich. Im Inneren ist Blanche verletzlich und sensibel, was sie hinter gespielter Koketterie versteckt. Ist Blanche vielleicht deswegen die Figur mit der viele Fans sich am meisten identifizieren – weil sie es oft genau so machen? Keep Smiling, obwohl es gerade ganz düster in uns aussieht?

Auch ist Rose nicht nur das liebe Dummchen. Sie ist durchaus clever, was durch ihre naive Unschuld lediglich verwässert wird. Die nüchterne, bisweilen zynische Dorothy hat auch ihre weichen Seiten, und Sophia versteckt hinter ihrer großen Klappe oft ihr Hadern mit den Malaisen des Alters.

Die Produzenten und Autoren haben mit den Golden Girls vier komplexe, detailliert ersonnene Charaktere erschaffen, die einem genau dadurch in Erinnerung bleiben und in denen jeder ein bisschen von sich selbst wiederfindet. Eingebettet in die – wie Beatrice Arthur in einem Interview sagte – „wunderschöne Utopie, denn im wahren Leben könnte es niemals so lange mit vier so völlig verschiedenen Frauen unter einem Dach gutgehen“ zeigen die vier Ladies uns, dass es nie im Leben zu spät ist, nochmal von vorn zu beginnen, und es sich immer lohnt, für das zu kämpfen, woran man glaubt. Sie brachten und bringen uns die jeden Sturm überstehende Wahlfamilie, die wir uns alle gelegentlich wünschen. Das machte sie zu Identifikationsfigur für Menschen aller Generationen, Nationalitäten und Gesellschaftsschichten – oder um es weniger sachlich auszudrücken: Man muss sie einfach gern haben.

Happy birthday, Dorothy, Rose, Blanche und Sophia – Thank You For Being A Friend!


* Episode Sister of the Bride (Die Schwester der Braut). Diese spezielle Szene von 1:32 Minuten Länge ist bei YouTube unter dem Schlagwort „The Golden Girls & Gay Marriage“ zu finden.

** Episode Ebbtide’s Revenge (Der Fluch der Mitgift)