Stadtbuch und Dorfbuch

Die große Stadt ist mein natürliches Habitat. Auch wenn ich immer wieder mal anmerke, ein Junge vun’t Dörp und mit dieser Herkunft durchaus zufrieden zu sein, fühle ich mich in einer großen Stadt am wohlsten. Und mit „große Stadt“ meine ich eine RICHTIG große Stadt, allen voran natürlich Hamburg, aber auch Köln, Frankfurt/Main, Berlin, München.

Echte Metropolen eben, in denen es einem an jeder Ecke entgegebenbrüllt: Hier wohnen Millionen von Menschen, ergänzt durch Millionen von Gästen aus aller Welt. Sie haben Stadtteile so groß, dass sie fast als eigenständige Städte gelten und mit ihrem individuellen Charakter dennoch Teil des Ganzen sind. Barmbek ist Barmbek – und ist doch Hamburg. Grunewald ist Grunewald – und ist doch Berlin.

Metropolen haben eine nahezu unüberschaubare Kulturszene – von rummeligen kleinen Kellerbars mit Lesungen oder handgemachter Musik bis zu Arenen, in denen Acts wie Adele oder Coldplay gastieren und nicht die dritte Garde des Musikantenstadl. Es gibt ein riesiges Einkaufsangebot sowohl für den Bedarf als auch just for fun. Am Bahnhof, am Airport und im Centrum hört man babylonisches Sprachgewirr. Durch fast alle Straßen klingt „die Großstadtmelodie bis in den frühen Morgen„, wie Petula Clark einst so schön sang. Das liebe ich, hier blühe ich auf.

Trotzdem mag ich es, auch in Dörfern und kleineren Städten zu sein. In Orten, die kaum die Zahl von acht-, neuntausend Einwohnern überschreiten. Alte Ortskerne, frei von architektonischen Unfällen. Stille Gassen, nur am Marktag wird es etwas lauter. Drumherum Felder – im Mai duftet der Raps, im Somer der Weizen. Die Obstblüte als magischste Zeit im Jahr.

Diese krassen Gegensätze müssen es für mich sein, ein Dazwischen, ein Weder-Fisch-noch-Fleisch bereitet mir Unbehagen. Deswegen mag ich auch Dortmund nicht. Ich wohne nun eine ganze Weile hier, es ist okay, aber unterm Strich eben kein Angekommensein, sondern wirklich nur das gerade eben mögliche Aushalten einer mir unsympathischen Stadt bis es gen Norden geht. Aber das nur nebenbei.

Zurück zu den kleineren Marktflecken. Während ich in der Metropole die Veränderung liebe, schätze ich es hier, dass sich manchmal über Jahre hinweg gar nichts ändert, teilweise nicht mal in den Warenregalen der Geschäfte. Natürlich sind damit nicht die frischen Lebensmittel gemeint. Aber gerade in den kleinen Orten, die vom Fremdenverkehr leben, scheint manchmal die Zeit stillzustehen. Das kleine Wasserglas mit dem Motiv des Dorfteiches steht über Jahrzehnte immer auf dem dritten Regalbord ganz links, immer vier Stück hintereinander. Sobald ein Tourist eins davon wegnimmt, wird sofort so unauffällig wieder aufgefüllt, was aussieht, als wäre das Regal seit Ewigkeiten unberührt.

Doch selbst mehr oder weniger einmalig vorrätige Artikel halten manchmal lange durch. Während eines Urlaubs in einem kleinen Dorf an der Ostsee stolperte ich am letzten Tag und buchstäblich in letzter Minute in einem kleinen Gemischtwarenladen über ein Sachbuch, das mich sehr interessierte. Leider hatte ich nicht mehr genug Geld dabei, es zu kaufen – Essen und Getränke für die Fahrt waren wichtiger. Die Zeit reichte auch nicht mehr, um noch schnell zum Geldautomaten zu gehen – der Sitzplatz im Zug war fest gebucht, und Züge warten für gewöhnlich nicht auf Reisende im letzten Urlaubseinkaufsrausch. Also ließ ich das Buch bedauernd stehen. Kaum zuhause angekommen, vergaß ich es mehr oder weniger. Als ich es ein paar Monate später in der Buchhandlung meines Vertrauens bestellen wollte, konnte ich mich nicht mal mehr auf den Autor besinnen.

Etwas mehr als ein Jahr später war es Zeit für die nächste Sommerfrische. Im Dorf an der Ostsee angekommen, Kurtaxe bezahlt, auf Shoppingtour gegangen – Lesestoff für die gemütlichen Abende auf der Terrasse besorgen. Und was stand da im Regal (immer noch druckfrisch natürlich, nicht wie auf dem Beitragsfoto nach Jahren des wiederholten Lesens und Hin-und-Herräumens) , zweites Fach von oben, ganz recht genauso wie im Sommer zuvor…?

Sowas erlebt man dann wirklich nur op’n Dörp