An manchen Tagen gleicht das Leben einem Theaterstück. Nicht wegen der Dramen oder der Komödien, die sich darin abspielen, sondern wegen der vielen Kostümwechsel. Was die Plünnen bei öffentlichen Auftritten betrifft, bin ich nämlich ziemlich krüsch.
Gut, die Penibilität, bestimmte Dresscodes längst vergangener Tage zu beachten (keine marineblaue Kledaasche vor Ostern tragen, einige Farben gezielt nur für den-und-den Berufsstand etc.) ginge dann doch etwas zu weit, aber ich achte schon auf gewisse Dinge. Obwohl die Bäckerei genau auf meiner Route liegt, käme es z. B. für mich nicht in Frage, mein Lauftraining hundert Meter vor zuhause abzubrechen und in meinem Sportzeugs in die Bäckerei zu gehen. Nach Hause, duschen, frische Klamotten an und erst dann zur Bäckerei. So und nicht anders.
Genauso tabu ist es für mich zuhause, in meinem wochenendlichen Schlabberentspannungslook in die Waschküche zu gehen oder den Müll raus zu tragen. Keine Ahnung, von wem ich das geerbt habe – eigentlich sind alle in meiner Familie der Typ casual dresser. Doch bei mir läuft es so: Ins Schlafzimmer, Schlabberzeugs ausgezogen, in Jeans und anständiges T-Shirt geschlüpft, ordentliche Schuhe an die Füße (Pantoffeln gibt’s bei mir nicht – die halte ich nämlich wiederum für den Gipfel der Spießigkeit. Frei nach Lady Violet Grantham: I’m a gay and I can be as contrary as I choose), und dann erst raus.
Es heißt ja, mit zunehmendem Alter sieht man vieles lockerer, weil man dank gesteigerter Lebenserfahrung hier und da eine Is doch alln’s schietegol-Einstellung entwickelt hat. Am Wochenende habe ich die Probe aufs Exempel gemacht:
Gemütliches Frühstück in den Kuschelklamotten. Mist. Keine Milch für das Schokomüsli mehr oben, trocken staubt’s aber so beim Kauen. Kellergang also obligatorisch. Umziehen? Och, nö – ist grad so kommodig. Also: Reiß dich gefälligst zusammen alter Knabe. Du bist im Pott, wo’s eh kaum jemanden kümmert, wie er rumläuft, und außerdem hast du auch schon in Eimsbüttel Leute im Schlabberlook den Müll runterbringen sehen…
Auf zur großen Expedition! Erstmal das Ohr an die Wohnungstür gelegt und gehört, ob sich im Treppenhaus was tut. Scheinbar reine Luft. Also ganz vorsichtig die Tür geöffnet und nochmal gelauscht. Kloar Kimming! Dann in der Kuschelkledaasche und auf Socken in den Keller gesprintet. Milch aus dem großen Vorratskühlschrank geholt. Nochmal gelauscht. Alles in Ordnung. Also wieder nach oben gehechtet.
Konfuzius sagt: „Wollsocken auf Flurfliesen sind glatt!“ Genau deswegen bin ich auch zwei Meter vor der Wohnungstür ausgerutscht und habe mich unsanft auf mein Antlitz gelegt statt auf den Hintern zu fallen, was – wie wir seit Laurel und Hardy wissen – viel witziger für das Publikum ist.
Die Milchbuddel ist zum Glück heilgeblieben, aber ausgerechnet in diesem Moment kam natürlich doch ein Nachbar durchs Treppenhaus gestiefelt. Ich erwog kurzfristig, beide Arme auszustrecken und Somnambulismus zu markieren, aber das hätte mir an einem Sonntagmorgen um Viertel nach elf eh keiner abgenommen, und am Boden liegend sieht diese Geste ganz besonders dämlich aus.
Außerdem stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass es mir pottegal war, wie die Szenerie auf den interessierten Betrachter gewirkt hat. Es stimmt also wirklich!
Am Nachmittag habe ich dann sogar auch den Müll im relaxed look runtergebracht. Lediglich Schuhe hatte ich mir zusätzlich über die Socken gezogen – aber nur, weil es draußen geregnet hat!