Tempus fugit, oder? Heute ist tatsächlich schon der letzte Donnerstag vor Weihnachten und damit die Zeit für den letzten Throwback Thursday mit Jahresrückblicken. Es kann nicht anders sein, denn die diversen Kalender in meiner Wohnung sind sich unzweifelhaft einig darin.
Zu den persönlichen Ereignissen, die mich in diesem Jahr am meisten beschäftigt haben, gehört natürlich die Veröffentlichung meines zuletzt erschienenen Buches Rummelpott. Es war eine spannende Erfahrung, wie sich ein nur als Übung vorgesehener Kurztext nach und nach in ein ganzes Buch verwandelte und mir zudem ein neues Genre erschloss, das ich bisher nur als Leser genossen hatte.
Das alles beherrschende Ereignis war aber mein Sportunfall Ende Mai. Ganz sicherlich hat mir diese Malaise eine Steilvorlage geliefert, mich in diversen Artikeln darüber nach Strich und Faden lustig zu machen – siehe z. B. -> hier oder -> hier – dennoch hat mich das Ganze auch ziemlich nachdenklich gemacht – nicht nur wegen des Chaos, das diese längerwierige Verletzung zuhause angerichtet hat (darüber wird morgen hier in diesem Theater zu reden sein), sondern auch ganz allgemein:
Solange man sich nämlich einer guten Gesundheit erfreut, ist man als entsprechend empathischer Mensch ohne Frage schwer dafür, dass Dinge wie barrierefreie Zugänge zu Gebäuden etc. Normalität werden. Doch erst, wenn es einen selbst erwischt hat und man zumindest eine begrenzte Zeit gehbehindert ist, gewinnt man wirklich einen Einblick in die alltäglichen Probleme, die mobilitätseingeschränkte Menschen ihr Leben lang täglich meistern müssen. Das fängt schon im eigenen Haus an: Normalerweise benutze ich eine Treppe 1. Stufe: rechter Fuß – 2. Stufe: linker Fuß – 3. Stufe: rechter Fuß und so weiter. Mit verletztem Sprunggelenk wurde daraus 1. Stufe: linker Fuß, rechter nachgezogen – 2. Stufe: linker Fuß, rechter nachgezogen – 3. Stufe: linker Fuß, rechter nachgezogen…
Die erste Zeit nach dem Unfall verbrachte ich rekonvaleszierend und allmählich einen Lagerkoller entwickelnd in der Wohnung, darum wurden mir die Schwierigkeiten in der Öffentlichkeit erst gut acht Wochen nach dem Unfall richtig bewusst. Bis dahin war die Verletzung gut genug abgeklungen, um meinen Heimatbesuch in Hamburg nicht ausfallen lassen zu müssen, aber ganz der Alte war ich noch lange nicht wieder. So leid es mir tat, aber im Nachhinein war es die richtige Entscheidung, mich bei einigen Freunden nicht zum Besuch angemeldet zu haben – ich wollte sie nicht enttäuschen. Zu viele Unternehmungen habe ich kurzfristig doch wieder streichen müssen – denn das, was sehr wohl gelaufen ist, dauerte doppelt so lange wie üblich.
So hatte ich mir in den Stationen der Hamburger Hochbahn bisher nie weitere Gedanken gemacht, wie ich sie verlasse. Ich hatte einfach den Ausgang genommen, der meinem Ziel am nächsten lag. Stau an der Rolltreppe? Egal, dann eben leichtfüßig die normale Treppe rauf. Doch nun musste ich überlegen: Welcher Ausgang ist mit Rolltreppen ausgestattet? Welcher hat zwei davon in beide Richtungen – welcher hat nur eine, die dann auch prompt in die falsche Richtung läuft?
Oft genug steuerte ich den falschen an, musste umdrehen und den kompletten Bahnsteig entlang zum nächsten Ausgang schleichen. Oder ich nahm den Aufzug, obwohl ich Aufzüge mit gläserner Kabine hasse. Aber gerade bei Stationen wie Messehallen, wo zwischen Untergrund und Straße Treppen von schlappen dreißig Metern zu überwinden sind, lernt man, seinen Stolz und kleine Marotten runterzuschlucken. Und die Stationen ganz ohne Hilfsmittel nach Möglichkeit gar nicht erst anzusteuern.
Auch die Benutzung der Züge an sich gestaltete sich schwieriger. Viele Bahnsteige haben nämlich nicht durchgängig niveaugleiche Ein-/Ausstiege, sondern nur in der Bahnsteigmitte einen sanft ansteigenden Hügel, wodurch man zumindest zwei bis vier Türen der Züge benutzen kann, ohne eine Stufe zu überwinden. Die ersten Male habe ich nicht dran gedacht, mich für den falschen Waggon entschieden und dafür schmerzhaft bezahlt.
So vieles, das für mich nie eine Überlegung wert gewesen war, mutierte zur Herausforderung. Die gewölbten Gangways der Hafenfähren wurden genauso zu einem Problem wie die Rampen der Landungsbrücken bei Ebbe, weil diese da einen viel größeren Neigungswinkel haben als bei Flut. Freitreppen ohne Geländer erwiesen sich als eine sehr wackelige Angelegenheit, Kopfsteinpflaster wurde tunlichst gemieden. Der lange Spaziergang an der Elbe oder rund um die Alster in der Abenddämmerung fiel aus – spätestens um sieben ging es zurück ins Hotel, den Fuß in der Dusche mit kaltem Wasser kühlen und anschließend neu tapen…
Inzwischen liegt der Unfall fast sieben Monate zurück, alles ist vollkommen abgeheilt und ich laufe wieder beschwerdefrei durchs Leben. Ich gehe genau so wieder zum Lauftraining wie vorher, habe Schwimmen in mein Repertoire aufgenommen und denke über Radfahren im nächsten Sommer nach, um eventuell meinen ganz privaten Triathlon ohne Wettbewerbsambitionen zusammenzustellen.
Dass dies möglich ist, weiß ich zutiefst zu schätzen – und sehe es nach den Erfahrungen dieses Jahres beileibe nicht mehr als selbstverständlich an.