Die geschätzte Kollegin Anna Schmidt vom Blog Bunt und farbenfroh aus Berlin hat wieder einmal einen großartigen Artikel geschrieben. So großartig, dass mir zuviel dazu eingefallen ist, um es dort in einem Kommentar unterzubringen. Darum erlaube ich mir, aus meinen Gedanken dazu den heutigen Blogeintrag hier zu machen.
„Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“ soll der Überlieferung nach einer der ersten Sätze gewesen sein, die Kommunikationspionier Philipp Reis in den von ihm gebauten Apparat, den er Telephon nannte, hineingesprochen hat. In Anna Schmidts Artikel Wer braucht noch den Telefonhörer geht es um die Evolution unserer Kommunikation vom altmodischen Analogtelefon bis zum heutigen Austausch von Nachrichten per Internet und all seinen Hilfsmitteln wie Smartphone-Apps, Skype, Blogs, Fotoplattformen und so weiter.
Mit dem Telefon von einst und vor allem der Telefonzelle sind natürlich auch bei mir so manche Erinnerungen verbunden, bin ja nun auch inzwischen der Herbstzeitlosen näher als der Frühlingsprimel. Der Urlaub an der Ostsee, zum Beispiel: Tagsüber waren die sieben oder acht Telefonzellen im Dorf komplett verwaist, aber ab 18 Uhr, wenn Ferngespräche billiger wurden („Flatrate“ war ja nicht mal als Wort bekannt, geschweige denn als Dienstleistung), musste man fix sein. Wenn man da nicht unter den ersten zehn in der Warteschlange war, konnte man gleich wieder zur Ferienwohnung zurückgehen und bis nach der Tagesschau warten – eher kam man eh nicht an die Reihe. Das hieß aber auch: Oma zuhause hatte zwei Stunden umsonst an ihrem kabelgebundenen Telefon gewartet, und dann war Schluss mit lustig!
Zur Kommunikation von heute – folgender Satz aus dem Berliner Artikel fiel mir sofort ins Auge: „Das Telefonieren hat seinen hohen Stellenwert eingebüßt…“
Ich glaube, in Bezug auf die Quantität stimmt das nicht. Eben weil das Telefonieren früher deutlich teurer war – selbst nach Einführung von Herrn Bundespostminister Gscheidles Mondscheintarif (Wer erinnert sich noch?) haben wir uns da doch deutlich mehr überlegt, welches Telefonat wirklich nötig war. Mal eben bei Freunden oder Verwandten in einer anderen Stadt anzurufen und ein dreistündiges Dauergespräch zu führen war nicht drin. Geburtstag, Weihnachten, großer Anlass wie eine Hochzeit – das war’s. Und selbst dann hat man nach spätestens zehn Minuten Schluss gemacht. „Ich darf gar nicht an meine nächste Telefonrechnung denken“ gehörte zu unserem Standardrepertoire häufig geäußerter Sätze.
Betrachte ich das ganze unter dem Gesichtspunkt der Qualität, bin ich geneigt, Anna Schmidt zuzustimmen und greife dabei gleich ihren nächsten Satz „Immerhin – sprechen tun wir noch miteinander“ auf. Ganz klar, wenn ich zuhause sitze und drei Stunden mit einem guten Freund oder meiner Schwester telefoniere, dann albern wir natürlich auch ein wenig sinnlos rum oder tratschen belanglos. Oft ergeben sich aber auch wunderschöne tiefgehende Diskussionen per Telefon oder es werden Lösungen für schwierige Problemstellungen erarbeitet.
Doch draußen „in freier Wildbahn“ – was bekommen wir da in Bus und Bahn als unfreiwillige Zuhörer nicht oft genug an wirklich saublödem Tünkram mit. In punkto Qualität hat das Telefonieren in der Tat deutlich an Stellenwert verloren. Man mag tatsächlich noch per Telefon miteinander sprechen. Aber wie oft reden wir nur, ohne wirklich etwas zu sagen?
Der technische Fortschritt und das Ende der einzeln abgerechneten Gebühreneinheiten haben meiner bescheidenen Ansicht nach dazu geführt, das wir uns selbst mit Kommunikation überversorgen und überversorgen lassen. Jede Nichtigkeit ist plötzlich der Rede wert, was sich von unserem Telefonverhalten aus über andere Kommunikationswege bis in die Welt der Information durch Nachrichten ausgebreitet hat – oder umgekehrt, ganz wie man es betrachten möchte.
Nun ist beispielsweise ein Verkehrsunfall, bei dem ein Autofahrer eine Rentnerin mit Rollator erfasst und getötet hat, wahrhaftig keine Nichtigkeit, schon gar nicht für die Betroffenen. Aber warum müssen wir in einer Nachrichtensendung darüber informiert werden, wenn so etwas in einem Vorort von Adelaide geschieht, also am anderen Ende der Welt, wo es im Polizeibericht auch „nur“ ein trauriger Routineeintrag ist? Wenn sie uns nicht persönlich bekannt sind, haben wir ja nicht einmal eine Beziehung zu den Beteiligten eines solchen Unfalls am anderen Ende unserer eigenen Stadt.
Der Artikel über die Vorstandswahlen des lokalen Kaninchenzuchtvereins Karotten her oder ich hopple in St. Irgendwo auf der Heide dürfte auch nur die unmittelbar Betroffenen interessieren und wäre in den Stadtteilberichten der Lokalzeitung bestens aufgehoben – aber nein: Inzwischen wird in Regionalsendungen, die mehrere Städte oder sogar ganze Bundesländer versorgen, eine so aufwändige Berichterstattung mit Liveübertragung und Interviews betrieben, dass man meint, in die nächste Bundestagswahl geraten zu sein. Und eine regelrechte Filmchenschwemme lässt uns vergessen, dass es auch arbeitslose Katzen oder Kakadus gibt, die einfach nur in Ruhe vor sich hinleben möchten statt ihren eigenen YouTube-Kanal zu betreiben.
Wir packen uns so sehr mit einem Übermaß an Input zu, dass wir den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen, was jene auch von Anna Schmidt erwähnten Gefahren des Internet als Frustabladestation und Brutstätte für die eine Menge Unheil anrichtenden Gerüchte, Unwahrheiten und aufstachelnden Latrinenparolen nur noch befeuert. Man sieht es doch gerade jetzt nach den Ereignissen von Köln in der Nacht von Altjahrsabend zu Neujahr. Und irgendwie ist doch jeder von uns schon mal irgendeinem Unfug aufgesessen, bei dem man froh sein konnte, wenn es eine Kleinigkeit war, die glimpflich geendet hat.
Zudem berauben wir uns einer ganzen Menge spannender Momente im Leben. Uns ist doch noch nie ein halbes Jahr so folternd lang vorgekommen wie jene Sommerpause, in der wir uns mit der Frage beschäftigt haben, wer auf J. R. Ewing aus Dallas (für die jüngeren Leser: Das war das Game Of Thrones der frühen 1980er – zumindest waren die Klamotten genau so geschmacklos) geschossen hatte. Selbst die sonst so geschwätzige Yellow Press war über dieses halbe Jahr ungewohnt schweigsam, obwohl man in den USA schon längst wieder sendete und das Schlitzohr mit der Waffe kannte. Heute genügt es, ein paar Suchbegriffe in den Rechner zu hacken und Sekunden später weiß man Bescheid. Richtig Spaß macht es dann aber nicht mehr, die Folge zu schauen, in der es die Aufklärung gibt.
Ganz gewiss ist es auch schön, nun so leicht mit Freunden aus Übersee in Kontakt bleiben zu können. Trotzdem habe ich mich irgendwie mehr darüber gefreut, wenn alle zwei Monate der ersehnte Umschlag mit dem Airmail signalisierenden rot-blauen Rand im Briefkasten steckte, als alle paar Stunden einen Facebook-Eintrag zu finden. Durch diese Seltenheit wusste man die Freundschaft über zwei Kontinente hinweg irgendwie noch mehr als etwas Besonderes zu schätzen.
Wie schön es ist, mit reduzierter oder sorgfältig ausgewählter Kommunikation zu leben, merkt man erst, wenn es einem aufgedrängt wird, ohne dass man etwas dagegen tun kann. Über Weihnachten war ich durch eine Störung beim Provider mehrere Tage ohne Telefon und teilweise sogar ohne Internet.
In den ersten Stunden ging es mir wie wohl vielen von uns – ich war ganz hiddelig. Alle Naselang bin ich zu den diversen Geräten gestiefelt um zu prüfen, ob sämtliche Lämpchen wieder vorschriftsmäßig blinken. Dabei hatte man mir gesagt, dass das vor dem Montag nach Weihnachten nichts werden würde.
Aber dann fing ich doch recht rasch an, die ungewohnte Stille zu genießen. Ich konnte in einem Buch wieder drei, vier, fünf Kapitel am Stück lesen, ohne immer wieder mal auf die Geschehnisse im Internet zu schielen oder durch ein klingelndes düdelüendes Telefon gestört zu werden. Ich ärgerte mich höchstens ganz kurz, dass es mit den mehrmals im Jahr selbstauferlegten (und schneller als ein Neujahrsvorsatz wieder gebrochenen) Auszeiten nie klappte, es mich aber kaum störte, wenn mir die Entscheidung von unbeeinflussbarer dritter Seite veordnet wurde.
Die für diese Zeit notwendige Kommunikation per Handy war auf die wirklich relevanten Sachen reduziert, wenn ich es nicht sogar ausgeschaltet hatte, um weiter in Ruhe lesen zu können, Schallplatten zu hören oder den Weihnachtsbaum für den Heimatbesuch meines Mannes zu schmücken. Oder um Gurkensalat zu machen. Im Gegensatz zum Pferd habe ich den sogar gegessen.