Bi uns op’n Dörp liebt man klare Worte. Kein Vorstandsetagensprech, worauf man sich „committen“ will – man nennt die Dinge beim Namen. Ähnlich schnörkellos geht es beim Kaffee zu. Wenn keiner der wirklich eine gut gedeckte Tafel erfordernden Anlässe zwischen Geburt und Beerdigung auf der Tagesordnung steht, kommt auch nix Extravagantes auf den Tisch. Da wird nicht mal ein Marmorkuchen gebacken.
Zumindest unser Lieblingsonkel hatte da seine festen Prinzipien. Uns Kindern war das erstmal egal – wir liebten es, auf dem alten Bauernhof rumzutoben. Landwirtschaft gab’s nicht mehr, nur noch einen Gemüsegarten für den eigenen Bedarf und zur Abgabe an handverlesene Bekannte und Verwandte. Von den Viehställen konnte man nicht mal mehr erahnen, wo sie einst gestanden hatten, und im alten Knechtshaus wohnten ganz normale Mieter, die nichts mit Landwirtschaft am Hut hatten.
Aber die riesigen Felder gab es noch – schon seit einigen Jahrzehnten wuchsen dort nur noch Gräser, die in gemähtem und getrockneten Zustand dann als Heu an die umliegenden Reitställe verkauft wurden, und die ganze Herrlichkeit von gut 15 Hektar gehörte uns allein, wenn wir dort waren. Abwechselnd war es unsere afrikanische Steppe, wo wir mit Daktari verletzte Tiere retteten, das Moor in Yorkshire, über das wir mit den Fünf Freunden zogen, oder unser ganz persönlicher Immenhof. Wir liebten es, unseren Onkel zu besuchen.
Die Erwachsenen, über solche Träume längst erhaben, saßen bei diesen Besuchen in der Küche. Unsere Tante hatte eine frische Decke auf den Küchentisch gelegt und damit die Zeichen von unzähligen Jahren als echtem Bauernhofsküchentisch, an dem nicht nur gegessen, sondern auch Wurst geschnitten oder Brotteig geknetet wurde, kaschiert. Darauf stand das Steingutgeschirr für jeden Tag und in der Mitte eine Tüte Zwieback. Nicht der Gute, unversehrte, sondern der Bruchzwieback. Manchmal war es der industrielle aus dem Supermarkt, meist aber der vom Dorfbäcker, der im Gegenzug dafür Zwiebeln aus des Onkels Gewächshaus bekam, um damit das leckere Speck-Zwiebel-Brot zu backen. Dieses Brot und dazu aus Onkels Keller die Salami mit der Sahne drum… Was es mit dieser merkwürdigen Kombination auf sich hatte – dazu demnächst mal mehr.
So oder so – zur Kaffeestunde kam Bruchzwieback auf den Tisch, das musste bei normalem Besuch reichen. Das behielt unser Onkel auch bei, nachdem er Witwer geworden war. Da er noch ganz rüstig war, gab es auch ein oder zwei Jahre später eine neue Frau in seinem Leben. Eine im Grunde ganz nette Dame, wir Kinder mochten sie auch und nannten sie ebenfalls „Tante“, wie das auf dem Dorf eben so üblich ist. Es gab die echten Tanten und die „Nenn-Tanten“.
Sie hatte nur eine Macke: Sie war ’n büschen etepetete. Sie kam mit so einigen bäuerlichen Gepflogenheiten nicht klar, was sie deutlich kundtat. Wiederholt. Oft. Ad nauseam.Und genau das machte der Sache dann auch nach einigen Jahren den Garaus.
Dass unser Onkel mit weit über siebzig Jahren noch einmal „Schluss machen“ würde, war schon eine Sensation – das machten doch sonst nur junge Menschen. Aber noch viel interessanter waren die Details über den letzten Streit, die uns nach und nach zu Ohren drangen. Wir hatten ja immer gedacht, dass die Unverblümtheit, mit welcher unser Onkel von Dingen wie der Kastration des Bullen Jonny, dem ungenierten Schwarzbrennen von Schnaps in den ersten Nachkriegsjahren oder der genauen Zubereitung von Schwarzsauer erzählte, unserer Nenntante übel aufstieß – das war nun wirklich nichts für eine Beamtenwitwe. Aber dass ausgerechnet die Angewohnheit mit dem Bruchzwieback zu dem Bruch (Wortspiel vollkommen beabsichtigt!) geführt haben sollte…
Das fanden wir dann doch kleinlich.