Der garantierte Weg zum Glück

Es ist eine richtige Epidemie – diese ganzen Angebote von Lebensratgebern, die mehr Glücklichsein versprechen, wenn man ihren Ratschlägen folgt. Ganze Armeen von „Teachern“, „Mastern“, „Coaches“ und „Speakern“ (allein schon diese überflüssigen Anglizismen treiben eher meinen Blutdruck in die Höhe als meinen Ausstoß an Glückshormonen) und was weiß ich nicht alles für Gestalten wollen uns mit Büchern, YouTube-Clips und Bühnenshows verklickern: Macht das nach, was wir euch erzählen, und dann werdet ihr glücklich. Aber so richtig. In echt. Boah, voll.

Und auch Otto Normalhansimglück tut gut daran, sich schwer glücklich zu zeigen, denn wenn man selbst als Privatuser mal kein Video mit einem belanglosen Schlager der Saison, keine Katzenbildchen oder keinen albernen Cartoon teilt, sondern ein Foto des eigenen verschneiten Hinterhofs postet und dabei anmerkt, dass man Schnee nicht mag, weil man dabei unwillkürlich an ein alles Lebendige, Heitere, Bunte fressendes Leichentuch erinnert wird, geht im Kommentarthread darunter sofort ein Sturm der Entrüstung los, dass man das Foto binnen fünf Minuten wieder löscht.

Man sehe sich nur mal die Prospekte für Alten- und Krankenpflegeeinrichtungen genauer an. Statt Menschen zu zeigen, die wirklich solche Hilfe benötigen, sieht man auf den bunten Bildchen (Terrasse des Altenheims von viel Grün umgeben, gedeckter Kaffeetisch, gemütliche Rattanmöbel, drei alte Damen mit schneeweißen Zuckerwattefrisuren herzhaft bei Buttercrèmetorte, ein gepflegter älterer Herr als Hahn im Korb) Menschen, denen man ohne weiteres zutrauen würde, nach dem Kaffee nach Hause zu gehen und den eigenen Garten von der Größe eines halben Tennisplatzes umzugraben statt sich später von Nachtschwester Hannelotte die Windeln wechseln zu lassen.

Es ist nicht gestattet, auch nur einen einzigen verzweifelten Moment zuzulassen oder ihn bei anderen wahrzunehmen. Wir wollen das nicht sehen und nur zu gerne lassen wir uns einreden, dass man das besser auch nicht zeigen sollte.

Also möchten wir unser Glück am besten komplett durchplanen, obwohl wir genau wissen: Das geht gar nicht. Im Rückblick müssen wir uns doch eigentlich eingestehen, dass die glücklichsten Momente unseres Lebens immer aus Spontaneitäten entstanden sind. Das heißt natürlich nicht, dass wichtige geplante Ereignisse wie etwa unsere Hochzeiten nicht auch Glücksmomente gewesen sind, aber rangieren sie in unserer ganz persönlichen Hitparade nicht irgendwie doch noch hinter dem ersten deutlich gesprochenen Wort unserer Kinder oder sogar trivialeren, aber aus einem magischen Moment heraus entstandenen Dingen wie der Mehlschlacht beim ersten gemeinsamen Kochen, durch die man gemerkt hat: Wir bleiben zusammen?

Und wie war das mit dem Strandspaziergang, als man nach einem guten Essen eigentlich auf dem Weg zurück in die Ferienwohnung war, dann aber plötzlich im warmen Sommersand saß und bis zum Morgengrauen auf das Meer hinausblickte und gemeinsam redete – und auch gemeinsam schwieg? Ein Endorphinrausch war es, und das rasche Leben in der Maßlosigkeit unserer Zeit vermittelt, dass wir genau diese Räusche permanent haben sollen.

Doch wie groß kann Glück noch sein, wenn wir uns davon so abhängig machen? Die Dosis macht das Gift, und auch Glück kann irgendwann Gift sein.

Denn auch die schwarzen Tage im Leben sind so verdammt wichtig – wenn man sich von aller Welt unverstanden fühlt. Wenn der ebenfalls schreibende Kollege sein neues Romanmanuskript so passend beim Verlag abgeliefert hat, dass es zu einem echten Buch aufbereitet in Frankfurt auf der Buchmesse als Neuveröffentlichung beworben kann, während man selber eben diesen Plan nicht erfüllt hat. Wenn die Spülmaschine genau Morgen des großen Tags der Familienfeier mit vierzig Gästen kaputtgeht. Wenn das eigene Kind nach einem unbeschwerten Frühstück aus dem Haus geht und man es erst auf der Unfallstation des Krankenhauses das nächste Mal wiedersieht. Man fühlt sich dann so richtig elend, möchte heulen, möchte was vor Wut an die Wand werfen und so weiter.

Doch sind das eben nicht genau die Tage, die einen viel mehr schätzen lassen, wenn etwas richtig gut oder vielleicht auch nur weniger katastrophal als befürchtet läuft?

Es ist, als würden wir uns selbst zum Glück regelrecht verdammen. Glück um jeden Preis, Unglück hat Hausverbot. Dabei brauche ich doch das eine, um das andere überstehen zu können, und ich brauche das andere, um das eine wirklich schätzen zu können.

Marlene Dietrich hat viele Lieder gesungen, aber keines ist im Refrain so wahr wie Wenn ich mir was wünschen dürfte