Badetag

Tusch! Fanfare!

So beginnt eine der köstlichsten Szenen aus der Verfilmung von Agatha Christies Evil Under The Sun mit Peter Ustinov, und die musikalische Untermalung lässt ahnen, dass jetzt nur etwas ganz Großartiges kommen kann. In der Tat: Hercule Poirot nimmt den Weg vom Luxushotel zum hauseigenen Strand – und wie! Unbeeindruckt wie ein riesiges Schlachtschiff, für das Windstärke 10 nur ’n büschen pustig ist, geht, nein, schreitet er die Treppen hinab und trägt dabei den scheußlichsten Bademantel der Filmgeschichte so majestätisch wie die englische Königin ihr Krönungscape.

Da soll noch einer sagen, manche Dinge gibt’s nur im Kintopp. Stimmt gar nicht. Solche Szenen kann man tagtäglich in ganz normalen Schwimmbädern beobachten. Ein regelrechter Einmarsch der Gladiatoren, und er zeigt eine Vielfältigkeit bei der Bademantelmode, die ich nie für möglich gehalten habe. Von simplem Uni bis zum Wirtschaftwunder-Streifenmuster (und dabei einer Sträflingskluft aus einer Stummfilmposse nicht unähnlich) ist alles dabei.

Ähnliches bei den Klamotten darunter, wobei hier die Herren nur bedingt Wert auf Mode legen. Da lässt die eine oder andere Badehose durchaus vermuten, sie wäre mit den ersten vierzig Mark nach der Währungsreform 1948 gekauft worden. Was fatal enden kann – ich habe inzwischen zweimal gesehen, wie jemand aus dem Pool gestiegen ist, nachdem ihm die stärkste der verschiedenen Whirlpooldüsen den vor langer Zeit gewiss recht robusten Hosenstoff regelrecht geschreddert hat.

Man könnte sich leicht über all das so richtig lustig machen, aber irgendwie gefallen mir diese Menschen im Rentenalter, wie sie so unerschütterlich pünktlich zum morgendlichen Schwimmen erscheinen. Das hat mehr Würde und Selbstvertrauen als diese animierten Besenstiele, die sich im Lobotomie-TV durch die Modelshows hungern.

Wenn die Herrschaften dann erscheinen, bin ich meistens schon eine Dreiviertelstunde im Wasser. Mindestens einmal pro Woche gehe ich schwimmen – eine kleine Ich-Zeit, eine Pause von meinen Pflegeaufgaben, und eine Ergänzung zum Lauftraining, um auch mal andere Muskelpartien zu beanspruchen.

Weil ich bekanntermaßen vormittags nicht der Gesprächigsten einer bin, mache ich mich immer so auf den Weg, dass ich nicht nur der erste an der Kasse bin, sondern auch der erste im Becken. Während der ersten Viertelstunde habe ich das Wasser für mich alleine, danach trudeln zwei, drei, höchstens vier andere Frühaufsteher ein und schwimmen ebenfalls ihre Meter. In einer unausgesprochenen Übereinkunft hat jeder „sein“ Areal, und wenn sich doch mal die Wege ungeplant kreuzen, nickt man einander lächelnd zu, der Langsamere lässt den Schnelleren vorbei und alles ist gut.

Bahnen zählen ist unmöglich, da es sich nicht um das handelsübliche rechteckige Becken mit einer Länge von fünfundzwanzig oder fünfzig Metern handelt, sondern um ein mehrfach geschwungenes, in dessen „Buchten“ sich Massagedüsen und Ruhebänke finden. Also setze ich mir einfach eine Mindestzeit, die ich im Wasser aktiv bin. Nach dieser geht es auf eine der Sonnenliegen, die rings um den Pool aufgestellt sind. Hier geht es ähnlich freundschaftlich zu wie im Wasser. „Ach, könnten Sie wohl bitte kurz auf meine Tasche aufpassen? Ich hab‘ was im Spind vergessen.“

Klar doch, kein Problem. Ich bleibe jetzt sowie so erstmal eine Weile hier. Ein bisschen ausruhen, ein bisschen lesen, was trinken – und warten, dass der Pool wieder leerer wird. Denn dort versammeln sich jetzt erst einmal. die Freunde der Aquagymnastik. Es sieht schon drollig aus, wie sie da im Wasser warten und ihrem Meister harren. So hat es auch immer bei meiner Oma im Fischteich ausgesehen, wenn Freitag war und die Goldfische wussten, dass ich bald erscheinen und ihnen als 1x-pro-Woche Schmankerl einen alten Zwieback ins Wasser werfen würde.

Und da kommt er auch schon – der Guru der feuchten Körperertüchtigung. Sofort nehmen die Goldfi… äh, Wassersportler ihre Plätze ein und sind neugierig, womit heute gearbeitet wird – Schwimmbretter, Bälle oder gar die Schwimmnudeln? Als Zuschauer erwartet man eigentlich nur noch das erwartungsvolle Giggeln, das man noch aus der Kinderstunde im Fernsehen mit Flipper in den Ohren hat.

Jeder altgediente Aquajünger hat natürlich seinen festen Platz im Becken, und WEHE, ein Neuer sichert sich eine Ecke, die ihm nicht zusteht – da wird der Goldfisch zum Piranha.

Zum eigentlichen Gymnastikkurs verkneife ich mir jede Ironie. Wassersport ist echt anstrengend, und ich habe vor jedem Respekt, der sich daran wagt, besonders, wenn Alter und/oder Krankheit es ihm erschweren. Da sind so einige bei, die sich trotz aller Malaisen richtig toll schlagen. Chapeau!

Nach einer halben Stunde gibt es noch einen zweiten Kurs, aber das schaue ich mir nicht mehr an. Für diese Zeit gehe ich in das beheizte Außenbecken, wo man dann doch wirklich Bahnen ziehen kann. Danach schwimme ich noch einige Bahnen im zweiten Innenbecken, bevor es abschließend noch einmal in das wohltemperierte Becken geht, um die ach so sportiven Muskeln zu entspannen, bevor es nach Hause geht.

Eine halbe Stunde noch, dann ist richtiges Schwimmen ohnehin nicht mehr möglich. Es macht dann auch nicht wirklich mehr so rechten Spaß. Denn jetzt kommen richtig viele von jenen Ruhrpöttlern, die es mit Rücksichtnahme und Hilfsbereitschaft nicht so wirklich drauf haben. Und davon gibt es sehr viele. Das sind jene, die zwar sagen „Wir gehen heute schwimmen“, aber in Wirklichkeit stehen sie nur grüppchenweise im Wasser rumstehen und allen anderen schön den Weg versperren. Besonders dem jungen Schwimmlehrer (der dermaßen attraktiv ist, dass ich es für mich arg bedauerlich finde, schwimmen zu können), der schon genug Mühe hat, einer jungen Frau die Angst vor dem Wasser zu nehmen. Jene bekommt natürlich auch den ein oder anderen Knuff in die Seite, wenn wieder mal jemand in dem dafür nun viel zu vollen Becken völlig ungerührt Rückenschwimmen praktiziert.

In den Grüppchen wird unterdessen gelabert und gelabert und gelabert. Für eine Weile ist es zugegebenermaßen ganz amüsant, Fetzen der ungeniert geführten Gespräche mitzubekommen, die so herrlich an Hanns Dieter Hüsch und seinen Monolog über Ditz Atrops erinnern. Die Freunde des literarischen Kabaretts werden sich gewiss auf jene Gestalt besinnen können, die jahrelang studiert hat und alles, wirklich alles hätte werden können, sogar Papst, weil er ja so hochintelligent war. Aber nix draus geworden. War ja ständig besoffen.

Regelrecht unangenehm ist es hingegen, wenn die Gespräche politisch werden und vor allem bei den Herren Rentnern einen sehr vorvorgestrigen Beigeschmack bekommen, was in letzter Zeit leider immer häufiger vorkommt. Gelegentlich lasse ich mich hinreißen, mein Maul zu öffnen, dann wird es sehr unfreundlich auf beiden Seiten und die erschwommene Gelassenheit ist ein bisschen eingebrochen. Aber das ist immer noch besser als zu der das Böse fütternden schweigenden Mehrheit zu gehören. Und es ist schön zu sehen, dass noch mehr Leute außer mir sich diesen horrenden Schwachsinn nicht anhören wollen. Die pfiffige Klein aber oho-Omi hat diesem unangenehmen männlichen Vertreter ihrer Generation jedenfalls neulich gehörig die Meinung gepfiffen. Das war filmreif!

So oder so, irgendwann ist meine „gebuchte“ Zeit dann ohnehin vorüber. Schnell raus, bevor ich nachzahlen muss… Auf dem Weg nach Hause bin ich dann auch wirklich schön entspannt – und für die weiteren Herausforderungen des Alltags gerüstet. Volle Kraft voraus!