Eins, zwei, drei, vier – DRACULA!

fünf, sechs, sieben, acht – DRACULA!

Wie der alte Kinderreim weitergeht, weiß ich nicht mehr, da sind nur noch vage Erinnerungen an klappernde Gebisse und Gummitwist. Jedenfalls habe ich mich in der Vergangenheit oft gefragt, ob Bram Stoker bei den Recherchen für seinen großen Roman nicht einiges durcheinander gebracht hat. Ich war nämlich fest davon überzeugt, dass eine der Gestalten, die sein berühmter transsilvanischer Adeliger mit den steilen Zähnen annehmen kann, nicht die der Fledermaus, sondern eines ganz anderen Tieres ist.

Viele Tiere haben sich über die Jahrhunderte sehr an unsere Lebensräume angepasst. In unserem Innenstadtquartier sieht man vor allem Eichhörnchen recht häufig und mit bemerkenswert wenig Scheu umherflitzen. Auch ihre Kletterkünste beschränken sich längst nicht mehr nur auf Bäume und Hecken – man kann sie auch beim Erklimmen von Hauswänden beobachten. Es war eine ziemliche Überraschung im letzten Sommer, als ich auf dem Balkon saß und plötzlich ein Eichhörnchen neben meiner Kaffeetasse sitzen hatte.

Keine Ahnung, wer sich mehr erschrocken hat, jedenfalls sah der erdbeerblonde Bewohner unseres Gartens zu, dass er fortkam. Fast kopfüber krabbelte er die Hauswand neben unserem Balkon hinunter, so dass ich gar nicht anders konnte, als an jene Szene auf Draculas Schloss zu denken, in welcher der gefangene Jonathan Harker voller Entsetzen mit ansehen muss, wie sein unheimlicher Gastgeber auf genau diese Art zu einem Mitternachtssnack aufbricht.

Meine charmante Gesellschaft konnte es nicht gesucht haben, sonst wäre es nicht so schnell getürmt. Auch um Nahrung konnte es nicht gegangen sein, denn ich lasse grundsätzlich nichts Essbares offen auf dem Balkon stehen, seit mir mal von der Wäscheleine aus eine Taube auf den Teller mit den letzten drei finnischen Minzpralinen geschissen hat. Die Absicht für diesen Besuch blieb also im Dunkel verborgen.

Am vergangenen Wochenende wurde das Wetter ja für einen Tag so, wie man es schon nicht mehr zu träumen gewagt hatte. Es wäre Sünde gewesen, das nicht auszunutzen. Nach zehn Kilometern auf der Laufpiste und der ersten Tasse Kaffee auf dem Balkon nur mit T-Shirt statt dickem Pulli bin ich meinen Blumenkästen zuleibe gerückt. Das im letzten Jahr praktizierte Modell des wahllos ausgetreuten bunten Samenkörnermixes wollte ich in diesem Jahr wiederholen (für etwaig interessierte Leser, die dieses Thema schon länger verfolgen: Mein Mann hatte in diesem Jahr keine Lust und hat mir großzügig beide Kästen überlassen). Aber damit das was werden kann, mussten die Reste vom Vorjahr dennoch beseitigt werden, die alte Erde mit neuer Erde gemixt und aufgefrischt werden und so weiter.

Ich wusste noch ziemlich genau, was ich im letzten Jahr ausgesät hatte. Darum war es arg verwunderlich, dass ich aus beiden Blumenkästen eine ansehnliche Anzahl von Erdnüssen fischte, denn die haben garantiert nicht auf der Liste gestanden. Dann sah ich etwas Rötliches über das Dach der Gartenhütte huschen, rekapitulierte Brehms Tierleben und kam zu dem Schluss, dass unsere Freunde mit dem buschigen Schweif die Balkonkästen über den Winter als Speisekammer benutzt haben mussten. Dass die Vorräte noch nicht wieder abgeholt worden waren, konnte man gewiss der diesen Tieren attestierten Tüddeligkeit zuschreiben.

Im Nachhinein sehe ich meinen Irrtum ein. Bram Stoker hat beim Schreiben wohl doch alles richtig gemacht, denn Dracula hat seine Damen meines Wissens nach immer gleich an Ort und Stelle zur Ader gelassen. Von irgendwo Einbuddeln und obendrein noch zu vergessen wo ist nie die Rede gewesen. Frei nach Shakespeare: Es war die Fledermaus, nicht das Eichhorn!