Ich hab‘ mich so an dich gewöhnt

Irgend jemand muss ziemlich füünsch auf mich und meinen Mann gewesen sein. Das heißt, als die ganze Sache begann, war mein Mann noch mein Verlobter. Aber nicht mehr lange. Der Hochzeitstermin stand fest, es sollte allerdings keine Feier geben. Wir waren beide oft genug Gast auf Hochzeiten gewesen um gesehen zu haben, dass man als Paar am allerwenigsten von diesem Almauftrieb hat:

In einem furchtbaren Anzug, in dem du dich nicht wohlfühlst, aber trotzdem trägst, weil „man“ das so macht, tust du nix anderes als Leute begrüßen, auch solche, die du eigentlich gar nicht dabei haben wolltest, aber „gute Sitten und Gebrauchsanweisungen“ (danke, Henry Vahl) verlangen nun mal, dass du sie trotzdem eingeladen hast. Darüber hinaus bist du damit beschäftigt, das Buffet nachfüllen zu lassen, Getränke anzubieten und darauf aufzupassen, dass sich die verfeindeten Zweige der Verwandtschaft nicht zu nahe kommen und du am Ende vielleicht noch eine zünftige Keilerei auflösen musst.

Wenn du dann abends eigentlich längst im Bett sein und… nein, nicht die Ehe vollziehen, sondern einfach nur schlafen möchtest, weil dir von deinen viel zu engen Schuhen die Füße weh tun, musst du aber immer noch keep smiling machen, die Torte anschneiden (von der du selber aber nichts isst, weil du Buttercrème oder Marzipandecke hasst und Marmorkuchen nicht als comme il faut gilt) und später die Mitternachtssuppe ankündigen. Zwischendurch musst du auch noch so tun, als würden dir diese an Dämlichkeit nicht zu überbietenden Hochzeitsspielchen Spaß machen. Nein, danke – ohne uns!

Also waren wir nur mit meinen Eltern und meiner Oma sowie meiner Schwester mit Mann und Kindern auf dem Standesamt. Nach der Trauung fuhr dann mein mir nunmehr frisch gebackener Ehemann mit meinen Eltern in deren Auto zu uns nach Hause – während ich mit unserem Neffen und unserer Nichte die Straßenbahn nahm. Die kennen sowas bi uns op’n Dörp nicht und sollten auch was vom Tag haben. Zu Hause gab’s dann Würstchen und Kartoffelsalat, Kaffee im Keramikbecher (die normal großen Tassen werden bei uns immer als „Fingerhüte“ verlacht) und tatsächlich ein Stück Marmorkuchen.

Das war eine Hochzeit wie sie zu uns passte: Chaotisch, unkonventionell, etwas durchgeknallt – alles andere wären einfach nicht wir gewesen. Und gerade an diesem Tag soll man sich doch wirklich wie verrückt und aus tiefstem Herzen wohlfühlen.

Trotz nicht stattgefundener Feier kamen in den Tagen vorher und nachher einige Gaben an, mit denen liebe Freunde und Verwandte uns Glück für das Eheleben wünschten. Es waren tolle Dinge, die wir bis heute in Ehren halten.

Aber es gibt eben auch immer dieses eine wirklich scheußliche Geschenk, bei dem man sich unwillkürlich fragt: „Was wollte uns der Künstler damit sagen?“

Die Vermutung lag nahe, dass jemand uns mehr oder weniger verschlüsselt seinen Unmut darüber signalisieren wollte, in welchem Rahmen wir das wichtigste „Ja“ unseres Lebens ausgesprochen hatten. Leider haben wir nie herausbekommen, wer es war, denn das Paket mit der Absenderanschrift landete im Müllcontainer – und die Glückwunschkarte lag wohl versehentlich noch drin, anders konnten wir uns das Verschwinden nicht erklären.

Nun standen wir da mit einer ziemlich scheußlichen Vase, von der wir auch nie wirklich wussten, was ihre im wahrsten Sinne des Wortes unbeschreibliche Form eigentlich darstellen sollte. Aber wir stellten sie halt hin – es war schließlich möglich, dass der Spender mal bei uns zu Gast sein und ein eventuelles Fehlen reklamieren würde.

Über die Jahre hinweg diente das Ding mal als Staubfänger, mal als Spardose für den Urlaubsgroschen, und manchmal haben sogar wirklich Blumen darin gestanden. Bis sie vor ein paar Tagen beim Staubwedeln vom Tisch gefegt wurde und ihr Leben als Scherbenhaufen endete.

Für einen Moment waren wir wirklich geknickt. Das Ding war immer scheußlich gewesen, aber man hatte sich über die Jahre dran gewöhnt und irgendwie doch noch liebgewonnen. Ganz überraschend stellt man dann plötzlich fest, es nun zu vermissen.

Einziger Vorteil: Wenn jetzt irgendwann mal von einem Besucher die Frage kommt „Wo ist eigentlich die Vase geblieben, die ich euch zur Hochzeit geschenkt habe?“ finden wir vielleicht endlich heraus, wem wir sie überhaupt zu verdanken haben!