Rick im Cutaway. Ilsa im weißen Brautkleid. Er lässig wie eh und je mit Zigarette im Mundwinkel, aber trotzdem irgendwie berührt. Sie mit diesem besonderen Glitzern in den Augen, das schon mal das in gut zehn Monaten zu belegende Kinderzimmer einrichtet. Daneben Victor László als Trauzeuge.
So in etwa stelle ich mir die Schlussszene vor, sollte Casablanca jemals den Weg auf deutsche Bühnen finden. Als Musical, versteht sich – mit dem üblichen kategorischen Imperativ des guten Ausgangs und dem ersatzlosen Streichen der Trennung von Rick und Ilsa, sonst goutiert der Musicalgänger das ihm dargebotene Singspiel nicht.
(Achtung: Ab hier Spoileralarm…. Weiterlesen auf eigene Gefahr!)
Wohl deswegen sind auch Titanic (Das Schiff sinkt ja wirklich!) und Rebecca (Wie? Das schöne Manderley geht in Flammen auf?!) nicht so wirklich gut angekommen. Oder Sunset Boulevard: Der Held hinterücks abgeknallt, und die Heldin landet in der Moulin du Klaps, weil sie nicht alle auf der Schleuder hat. Frechheit!
Bei dem immergrünen My Fair Lady gehen die meisten Regisseure daher lieber auf Nummer sicher: Sie inszenieren mit Happy End, was kompletter Irrsinn ist, wenn man bedenkt, wie mühsam Eliza sich von Professor Higgins emanzipiert hat, nachdem sie einsehen musste, dass sie er sie nur als Gegenstand der Wette mit Colonel Pickering missbraucht hat. Und er hat seine Meinung bis zum Schlussvorhang nicht geändert – man muss sich nur mal ganz genau den Text seines Ich bin gewöhnt an ihr Gesicht/I’ve Grown Accustomed To Her Face anschauen. Dieser Mann sieht Eliza nicht als Frau, in die er sich verliebt hat, sondern als Sache, die zum Inventar gehört wie verstaubte Trophäen auf dem Kaminsims. Im Gegensatz zu Eliza wird er sich nie ändern, denn er ist vollkommen lernresistent in seiner Selbstherrlichkeit.
Liebe macht blind, aber so blind dann auch wieder nicht. Das hat George Bernard Shaw bereits bei seiner Vorlage Pygmalion erkannt und Eliza am Schluss endgültig gehen lassen. Schon bei der ersten Filmadaption 1938 und später erst recht bei der Musicaladaption durch Frederick Loewe und Alan Jay Lerner hat er sich aktiv gegen die Verseichtung durch ein Happy End gewehrt. Leider erfolglos. Er musste sich ein La-di-da-Ende abringen lassen: Das Stück endet mit Elizas Rückkehr ins Haus von Higgins nach der großen Konfrontation. Eliza steht in der Tür hinter Higgins, er hört sie nur reinkommen und verlangt dann nach seinen Hausschuhen. Elizas Reaktion danach ist den Regisseuren überlassen.
Das Ende nach Shaws Vorstellungen: Eliza schüttelt den Kopf, dreht sich um und geht – Vorhang. Doch das trauen sich nur wenige Regisseure. Sie lassen Eliza eintreten und sie die Hand auf die Schulter des Profs legen o. ä., womit das Happy End besiegelt ist. Manche greifen zum Kunstgriff, den Vorhang fallen zu lassen, noch bevor Elizas Reaktion zu sehen ist. Aber man kann ohne große Vorstellungskraft erahnen, wohin das in der Phantasie des harmoniebesoffenen Zuschauers führt.
Ich bin froh, My Fair Lady in zwei Inszenierungen von Regisseuren gesehen zu haben, die den Mumm besaßen, Eliza wieder gehen zu lassen – es ist nämlich die einzig logische Konsequenz der vergangenen fast drei Stunden.
Wie bin ich eigentlich heute auf Musicals gekommen? Ach ja – vor ein paar Tagen war aus Hamburg zu hören, dass für Liebe stirbt nie, der Fortsetzung von Das Phantom der Oper, im September nach nur knapp einem Jahr der Vorhang fallen wird.
Ich hab‘ mich immer gewundert, dass es überhaupt eine Fortsetzung gegeben hat, aber dazu später. Erstmal zu der Verwunderung in der Presse und den sozialen Netzwerken. Die fand ich nämlich auch erstaunlich. Denn ein Stück, dessen Broadwayinszenierung noch vor dem ersten Vorhang wieder abgeblasen wurde, weil in London die Besucherzahlen so mau waren, dass es auch da nur für gut ein Jahr gereicht hat – galt das nicht ewig und drei Tage als Flop, bestenfalls als Mittelmaß? Warum sowas dann erst auf die Bühne bringen?
Aber egal. Ein Blick in die Story verrät erstmal, dass sie ein Schlag ins Gesicht von Gaston Leroux ist, dem wir die wunderbare literarische Vorlage zu verdanken haben. Sein Erik (= das Phantom) wäre niemals in eine so rohe Stadt wie New York gegangen. Und dann stirbt Erik am Ende auch noch – was ein Happy End für ihn und Christine natürlich ausschließt (Nachtigall, ick hör dir trapsen).
Aber Moment mal – Erik stirbt? Der ist doch längst tot, weil er beim Sterben zu Tode gekommen ist. Am Ende von Phantom der Oper nämlich, und Christine hat ihn höchstselbst beigesetzt. Ende. Aus. Finis. Nix mit Fortsetzung.
Ach, ja – die Sache mit der Harmonie. In der Musicaladaption werden natürlich alle Pforten offen gelassen und regelrechte Wegweiser aufgestellt: Zum Happy End folgen Sie bitte Ihrer Phantasie… Wie bitter muss dann für das Publikum die Enttäuschung sein, wenn Teil zwei das auch nicht bringt.
Im Grunde habe ich nix gegen Musicals. Es gibt wirklich tolle. Aber ich mag’s nicht, wenn das einzig folgerichtige Ende wider jegliche Logik auf Biegen und Brechen auf dem Altar des Zwangs-Happy End geopfert wird.