Allmählich stellt sich in meinen Vierzigern so etwas wie ein Leitmotiv ein. Nämlich die Erkenntnis darüber, dass die Lebensweisheiten der Altvorderen, über die man sich als Teen und Twen schier kaputtlachen wollte, sehr wohl wahr sind.
In den Social Networks, diesen Poesialbumspruchdrittverwertungsstellen, geht derzeit folgendes um: „Ich bin jetzt in dem Alter, in dem mir mein Körper am nächsten Tag charmant ins Ohr raunt: ‚Tu… so… etwas… nie… hörst du… nie… wieder.'“
Ist zwar nur die 2010er Variante von „Komm du erstmal in mein Alter“ (verbunden mit der unausgesprochenen Warnung, dass man dann nicht mehr alles so mit einem Fingerschnipp erledigt) das macht es aber nicht weniger war.
Ich bin heute ziemlich durch den Wolf gedreht, und ich fürchte, das hält mindestens noch bis morgen an. Am WE war nämlich wieder mal großes Familienfest bi uns op’n Dörp. Zwei Tage kochen, putzen, spülen, aufräumen, bewirten – was halt so dazugehört. Landkinder wissen, was ich meine: Nämlich alles in DIY.
Vor zwei Jahren noch bei der Konfirmation meines Neffen war das alles noch ein Klacks. Das Fest hätte von mir aus eine ganze Woche dauern können. Doch nun, im April 2016 bei der Konfirmation meiner Nichte, stelle ich fest, dass mein Körper mir wirklich charmant ins Ohr raunt: „Tu… so… etwas… nie… hörst du… nie… wieder.“
Schon während der Rückfahrt gestern hat mein Kreislauf mir ziemlich vor den Koffer geschissen eine deutliche Warnung ausgesprochen und ich war froh über die Notration in meiner Tasche (viele Bräuche mögen ausgestorben sein, aber die Rolle Traubenzucker als Werbegeschenke der Apotheke des Vertrauens gibt’s zum Glück immer noch). Anderenfalls hätte man mich vielleicht noch vom Fußboden aufkratzen müssen, aber so hübsch war der Zugbeleiter dann auch wieder nicht, als dass dies erstrebenswert gewesen wäre.
Die Nacht war ein furchtbares Kuddelmuddel aus Restadrenalin und kurzen Tiefschlafphasen, und heute Morgen zu meiner üblichen Sportzeit um sieben Uhr haben meine Sportplünnen von mir nur ein barsches „Leckt mich“ zu hören bekommen. Ich bin nämlich nicht aus dem Bett gekommen. Um genau zu sein, ich liege immer noch drin. Die letzten acht Monate waren ohnehin ein Powermarathon, und ich habe beschlossen, mal einen Tag komplett auszusetzen.
Also liege ich hier rum, drömel vor mich hin, lese oder klicke mich durch diverse Mediatheken. Unter anderem habe ich eine alte TV-Sendung wiedergefunden.
Abendbrot im Pyjama vor dem Fernseher, Kakao und Gummibärchen noch nach 20 Uhr, zu vorgerückter Stunde noch die Ziehung der Lottozahlen schauen dürfen – so und in unzähligen Varianten dürften für viele Kinder der Generation Bonanzarad jene Sonnabende ausgesehen haben, wenn die Eltern mal wieder ausgehen wollten und man mit Übernachtungsköfferchen und Teddybär bei Oma und Opa abgeliefert wurde.
Insgesamt war man über diese Abwechslung generell froh, trotzdem hatte man auch als so lütter Buttscher bereits feste Fernsehpräferenzen. Zum Blauen Bock war ein bisschen zu volkstümlich geraten, und zum gepflegt parlierenden Hans-Joachim Kulenkampff mit Einer wird gewinnen hatte man noch nicht so wirklich den Draht. Das große Los hatte man eigentlich gezogen, wenn Peter Frankenfeld mit Musik ist Trumpf an der Reihe war. Die Musik war da natürlich auch schon von gestern, aber sie wurde wenigstens von internationalen Stars präsentiert – die obendrein bis zum „großen Finale“ geblieben sind, um zum Abschied noch einmal mit allen Beteiligten auf der Bühne zu stehen. Caterina Valente, Olivia Molina, Bill Ramsey, Angèle Durand, Nana Mouskouri – Präsenz bis zum Schluss gehörte für alle zum guten Ton.
Es war nur passend, dass in dieser Sendung das letzte Lied vor dem großen Finale Das gibt’s nur einmal mit Ilse Werner war. Nein, es folgt kein sentimentales „Früher war alles besser“-Gesülze. To everything there is a season – die Lektion hat man mit über vierzig nun wirklich gelernt.
Zudem wäre eine solche Sendung heute gar nicht mehr möglich. Nicht weil fast alle von damals tot sind. Auch nicht, weil das Konzept nicht mehr zünden würde. Nur wage ich zu vermuten, dass die Gesamtkosten für eine ganze Sendung Musik ist Trumpf mit Peter Frankenfeld heute gerade mal die Gage eines einzelnen reichen würde. Doch das Staraufgebot von damals würde auf heute übertragen bedeuten, ein Line up mit Stars vom Kaliber wie George Ezra, Revolverheld, Depeche Mode und The Common Linnets in einer Show zu vereinen. Jeder zu einer Gage für die vollen neunzig Minuten.
Das ist doch unbezahlbar. Die Tatsache, dass ich heute einfach mal der Welt außerhalb meiner 2 x 2 Meter Holz, Blech, Baumwolle und Daunen den Mittelfinger zeige, übrigens auch. Heißt aber zeitgleich, dass ich mich in keiner Weise verpflichtet sehe, auf das „Tu… so… etwas… nie… hörst du… nie… wieder“ zu hören. Im Leben nicht. Dafür macht’s viel zu viel Spaß.