O-haue-ha!

Die gute alte Fernsehzeitung ist dank Internet mehr oder weniger aus der Mode geraten. Aber es gab Zeiten, in denen dieses Druckwerk unverzichtbar war. Besonders zu der Zeit, als ich Jugendlicher war. Jeden Donnerstag gegen fünfzehn Uhr begann das bange Warten. Denn dann tauchte jener ältere Herr auf, der sich ein Zubrot damit verdiente, mit seinem moosgrünen Fiat 131 anzurollen und aus seinem prallvollen Kofferraum heraus die Nachbarschaft mit den abonnierten Zeitschriften zu versorgen – bi uns op’n Dörp gab es nämlich keinen Zeitschriftenladen.

Bei meinen Großeltern lieferte er seit Jahr und Tag die Funk Uhr ab. Ein passender Titel, denn das Fernsehprogramm darin entschied jede Woche aufs Neue, ob ich pünktlich zur geplanten Uhr-Zeit mit meinen Freunden ins sonnabendliche Nachtleben starten konnte. Damals war man noch deutlich spontaner, was die Ausrichtung geselliger Abende am Grill oder Kamin betraf, und so entschied sich bei meinem Großeltern auch immer erst sehr spät am Sonnabendnachmittag, wie die  Zeitgestaltung nach der Tagesschau aussehen würde.

Meistens war ich donnerstags kurz nach Ablieferung der Fernsehzeitung (von Oma übrigens beharrlich Radiozeitung genannt, obwohl weder sie noch Opa jemals Radio hörten) bei meinen Großeltern, um rasch das Programm zu checken, vor allem das für den Sonnabend. Bot das ZDF mal wieder den Wunschfilm und die ARD Einer wird gewinnen mit Hans-Joachim Kulenkampff, stand einem pünktlichen Beginn der eigenen Abendunterhaltung nichts im Wege. Viel mehr Auswahl gab es nicht, denn das Privatfernsehen war da noch nicht Seniorenkompatibel und mein Großvater hatte weder ein Interesse an Spielfilmen noch konnte er Kulenkampff ausstehen. Um der Wahrheit ins Auge zu sehen: Was man nicht versteht, mag man  meist genau deswegen nicht, und mein Opa konnte mit der intelligenten Eloquenz von „Kuli“ einfach nicht mithalten.

Brachte das Fernsehen jedoch eine Veranstaltung wie Musikantenstadl oder gar den Grand Prix der Volksmusik wusste ich: „Vor Sonnabend 18 Uhr kannst du deinen Freunden keine verbindliche Zusage machen, wann’s losgeht.“ Aber die hatten dasselbe Problem, insofern war geteiltes Leid halbes Leid.

Eher stand nämlich nicht fest, ob unsere Großeltern die Sendung live schauen oder aufzeichnen wollten. Aufgrund ihrer aktiven Teilnahme am Wirtschaftswunder waren unsere Großeltern meist vermögender als unsere Eltern und hatten daher auch als erste Dinge wie Videorecorder. Nur war die Technik viel zu hoch für sie, und es war die Aufgabe von uns Youngstern, ihnen den Zugang dazu zu ermöglichen. Nie in unserem Leben würden wir jemals wieder grandioser scheitern…

Denn egal, wie wir es anstellten – Punkt-für-Punkt-Anleitungen schreiben, Zeichnungen anfertigen oder gar mit der vom Vater geliehenen Videokamera ein Tutorial drehen (den Umgang mit der Play-Taste beherrschten sie ja durchaus): Sie kapierten es einfach nicht. Und wir verzweifelten irgendwann. Wenn dann der Anruf kam, dass etwas aufzuzeichnen war, gingen wir zu den Großeltern hinüber und programmierten das Scheißding den Videorecorder selber. Das ging schneller und war nervenschonender.

Heute ist mein Vater so alt, wie meine Großeltern damals waren – und er hat diese Woche sein erstes Smartphone bekommen. Noch nie war ich so froh darüber wie jetzt, dass zwischen meinem Wohnsitz und dem meiner Eltern eine Reisedistanz von fast zwei Stunden liegt, was ein „Kannste mal eben ’ne Viertelstunde rüberkommen“ nahezu ausschließt.

Ansonsten wäre mein beunruhigendes Gefühl von déjà vu wahrscheinlich noch größer, als es ohnehin schon ist…