Zukunftspläne

Angefangen hat es mit einer Verzweiflungstat. Gestern Vormittag hatte ich noch auf dem Balkon gesessen – lesend, kaffeeschlürfend und wieder mal die Wetterfrösche verlachend, weil das Wetter wie fast immer viel besser war, als man uns zugestehen wollte. Aber auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn, deshalb behielten sie mit der Prognose für den Nachmittag leider reicht.

Ebenso schnell wie die Sonne verzog sich auch meine Laune, denn wenn es Mutter Naturs Plan gewesen wäre, dass ich mich bei Regen wohlfühle, hätte sich mich als Niederschlagsmesser zur Welt kommen lassen. Es musste dringend eine Beschäftigung her, um schlechtwetterbefeuerte Schwermut gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Keine Ahnung, wer mir diesen Floh ins Ohr gesetzt hat (mein Mann bestreitet hartnäckig jede Verantwortung, und er hat wohl recht, weil er geschlafen hat) und ich weiß auch nicht, wie ich dort oben hingekommen bin, aber plötzlich fand ich mich gut zwei Meter zwanzig über n. F. (normaler Fußbodenhöhe) auf unserem Hängeboden wieder.

Vor allem die Berliner unter den Lesern werden diese Einrichtung sicherlich kennen, allen Unkundigen sei es kurz erklärt: Bei einem Hängeboden handelt es sich um eine eingezogene Zwischendecke ( = einen „hängenden Boden“), in Altbauten mit hohen Decken meist über einer eher unwichtigen Tür wie der zur Speisekammer oder dem Badezimmer angebracht. Im 19. Jahrhundert durchaus auch als Schlafgemach für Personal wie das Stubenmädchen genutzt, veränderte sich Nutzung über die Jahrzehnte hinweg immer mehr zu einem Stauraum. Eine hängende Rumpelkammer sozusagen.

Zu einem solchen Gelass ist der Zugang deutlich schwieriger als zur normalen Rumpelkammer, denn er erfordert mindestens einen Stuhl, besser noch eine Leiter, und darum ist es auch um einiges schwerer, den Hängeboden in Ordnung zu halten. Dementsprechend stößt man auf ein wahres Wunderland, wenn man dann doch einmal diesen Mount Everest erklimmt. Eine wahre Reizüberflutung wartet auf einen, und man muss sehr sorgfältig überlegen, welchen Karton genau man sich vornimmt, um diesen einmal richtig auszumisten.

Es kann sein, dass man eine wahre Büchse der Pandora öffnet. Da findet man plötzlich den Schuhkarton mit den Fotos von der eigenen Konfirmation – eigentlich hatte man diese Scheußlichkeiten in Agfacolor (oder eines anderen Herstellers, das lässt sich wegen der verblichenen Schrift auf der Rückseite nicht mehr ermitteln) heimlich aus dem Elternhaus mitgehen lassen, um die Zeugnisse, wie geschmacklos Frisur, Mode, Musik und die eigene Einstellung dazu in den 80ern gewesen sind, ein für allemal verschwinden zu lassen – aber man hat es schlicht vergessen. Nun wird man nicht nur daran erinnert, sondern auch an das schlechte Gewissen ob seiner Missetat, das man seit eben selbiger erfolgreich verdrängt hatte.

Vielleicht findet man auch mindestens sieben Jahrgänge einer x-beliebigen Einrichtungszeitschrift, die man unbedingt aufheben musste, um einige Ideen daraus irgendwann einmal umzusetzen.. Inzwischen hat man aber einen ganz anderen Geschmack und könnte diese Druckerzeugnisse problemlos zum Altpapier bringen, aber auf’m Sonntag….?

Oder man hebt den Deckel der Kiste mit dem Konfetti, das man einmal aus allen Lochern in Freundes- und Verwandtenkreis, derer man habhaft werden konnte, zusammengesammelt hat. Damit wollte man nämlich ein Scherzgeschenk für die Hochzeit von Thomas und Max basteln. Nur: Die Hochzeit von Thomas und Max war nicht nur schon vor sechs Jahren, die beiden sind auch schon zwei Jahre wieder geschieden, und für das Scherzgeschenk ist die Wahl damals doch noch auf irgendetwas anderes gefallen. Das fällt einem aber erst wieder ein, wenn man besagten Karton geöffnet hat und noch Wochen später in allen Ecken der Wohnung Konfetti auftaucht, obwohl man den Deckel sofort bei Entdeckung schreckensbleich wieder verschlossen hat.

Zugegeben, so schlimm war es gestern nicht, aber dennoch anders als geplant. Irgendwann ist mein Mann nämlich wieder wach geworden und mich erstmal in der ganzen Wohnung suchen musste, weil ich sein Rufen nicht gehört habe. Ich war nämlich gleich in das erste Buch versunken, das mir in die Hände gefallen war. Eine ebenfalls auf dem Hängeboden eingelagerte alte Wolldecke hat das Ganz zur recht kommodigen Angelegenheit gemacht. Aber von meiner Idee, den Hängeboden bei nächster Gelegenheit gemeinsam aufzuräumen und ihn zum Lesesalon für den nächsten Winter umzubauen, sage ich meinem Gemahl aus gutem Grund wohl lieber nichts…