Keine Routineangelegenheit, Ma’am

Jetzt mache ich diesen Affentanz nun schon zum sechsten Mal mit, und ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt. Wenn man es genau nimmt, ist es sogar schon das achte Mal, wenn man nämlich die beiden eBook-Shorts zu den „richtigen“ Büchern hinzurechnet.

Da ist nämlich wieder dieser Limbo der Leere zwischen dem Rien ne va plus, nachdem ein Buch für den Vertrieb freigegeben wurde, und dem Elan, sich auf das nächste Schreibprojekt zu stürzen. Ein Gefühl, als hätte man einen vollen Eimer mit einer einzigen nonchalanten Geste komplett ausgekippt. Leer. Nix mehr da. Das kommt der gefürchteten Schreibblockade schon sehr nahe. Das Wissen, dass diese Phase auch wieder vorbeigeht, hilft kein bisschen weiter.

Eigentlich kann ich nichts mehr für die beiden Jungs Reinhold und Kristen und ihre Mitstreiter in meinem neuen Buch Rat mal, wer das Essen kocht tun, aber ich habe sie noch nicht genug losgelassen, um innerlich für neue Figuren frei zu sein. Weit über zwei Jahre habe ich nun mit meinem Ensemble gelebt und sie so intensiv kennengelernt, wie man seine realen Gegenüber nur selten kennenlernt. Ich weiß genau, warum Reinhold nicht aus seinem schmucken alten Fischerhaus in Blankenese auszieht, obwohl er eigentlich nichts lieber täte als das, und warum Kristens beste Freundin sich geschworen hat, ihm nie wieder einen Krimi zu schenken („Damit hat der ganze Schlamassel angefangen!“).

Ich hab‘ sie an die Hand genommen, um sie sicher durch diese und andere Stromschnellen der fast dreihundert Manuskriptseiten zu bringen. Und nun fühle ich mich wie ein Mann, dessen Sohn ihm gerade die klassischen Worte „Papa, ich zieh aus!“ um die Ohren geschmettert hat. Eigentlich könnte der stolze Vater seinen wohlgeratenen Sohn nun beruhigt in die Welt hinausziehen lassen und sich all jenen Projekten widmen, die er angehen wollte, sobald das Nest leer ist – Salsa lernen, die Landungsbrücken als Streichholzmodell nachbauen oder noch einmal wie damals als Student mit Rucksack und InterRail-Pass quer durch Europa tingeln. Stattdessen sitzt er im verlassenen Kinderzimmer und zählt die Löcher dort in den Wänden, wo mal Reißzwecken die Poster von Lady Gaga und Game of Thrones gehalten haben.

Das mit den leeren Wänden gehört sogar zum wahren Teil meiner kleinen Analogie: An der Pinnwand über meinem Schreibtisch haben bis vor kurzem die Fotos von meinen Recherchereisen für die Schauplätze gehangen, die Steckbriefe zu meinen Figuren mit Angaben zu Alter, Größe, Haarfarbe, Charakterzügen etc., das Diagramm, auf dem ich den Handlungsverlauf skizziert hatte, und so weiter. Inzwischen habe ich das alles abgenommen und in einem Karton verstaut. Ich brauche es ja nicht mehr. Der Rotstift, mit dem ich nicht nur das ausgedruckte Skript von Rat mal, wer das Essen kocht, sondern auch bereits vom Rummelpott korrigiert habe, ist leer und in den Abfall gewandert.

Ich könnte also Salsa lernen – oder mich eben dem nächsten Projekt widmen. Ich bräuchte damit nicht mal von Null anfangen – erste Vorbereitungen liegen längst in der Schublade. Rauskramen, sortieren, dort aufhängen, wo bis vor kurzem noch die Sachen für die Story um Reinhold und Kristen gehangen haben, und loslegen. Nur – da tut sich einfach nix.

Bliebe die Sache mit den Streichhölzern, aber basteln ist noch nie mein Ding gewesen. Zu meinem zehnten oder elften Geburtstag habe ich von meinem Onkel ein Set bekommen, um ein Einfamilienhaus-Modell zu bauen – richtig mit Tonmischung, um sogar meine Ziegel selber zu gießen. Letztes Jahr, als wir den Dachboden meiner Eltern ausgeräumt haben, ist das Ding dann nach zweiunddreißig Jahren in Originalverpackung im Container gelandet…

Aber das mit dem InterRail-Pass ist keine schlechte Idee. Die beiden Tickets, die auf meinem Nachtschrank liegen sind zwar nur normale Tickets für eine schnöde Hin- und Rückfahrt (okay, so schnöde auch nicht – für die Hinfahrt habe ich mir zur Feier des fertigen Buches die 1. Klasse gegönnt), aber das mit der Eisenbahn stimmt auf jeden Fall. Ersetze ich dann noch „Rucksack“ durch einen stabilen Koffer könnte ich diesen doch schon einmal packen, auch wenn es noch rund drei Wochen sind, bis es wirklich…

Lange Rede, kurzer Sinn: Bis Anfang August ruhen die größeren Projekte. Entspannen, den Kopf frei kriegen, Raum für neue Kreativität schaffen. Mit einem Wort:

Sommerferien.