Hamlet und die Chilischoten

Was ist der Unterschied zwischen einem Leser und dem Schreiberling einer Geschichte? Einer der wichtigsten: Der kaufwillige Leser in der Buchhandlung schaut auf die Inhaltsangabe des Covers und eventuell die ersten zwei, drei Seiten, bis er anhand der versprochenen Handlung entscheidet, ob er das Buch kauft.

Für den Schreiberling steht und fällt bei seiner Vorplanung alles mit den Figuren. Was nützt einem die tollste Idee für eine Handlung, wenn man keine markanten Akteure hat?

Was wäre Ken Keseys Einer flog über das Kuckucksnest ohne McMurphy und Schwester Ratched? Wäre sie nicht so sadistisch und er nicht so rebellisch, gäbe es gar keine Grundlage für die Handlung.

Wie spannend wäre die Ehe der zweiten Mrs. DeWinter mit ihrem Maxim in Rebecca ohne Mrs. Danvers gewesen? Was hätte Astrid Lindgren über Michel aus Lönneberga zu erzählen gehabt, hätte er nur artig herumgesessen und immer auf seine Eltern gehört?

Damit sind wir schon beim nächsten Unterschied zwischen Leser und Schreiberling: Der Leser lernt die Figuren im Laufe der von eben diesen vorangetriebenen Story kennen. Der Schreiberling muss alles schon vor dem Schreiben parat haben. Das fängt mit den ganz normalen „technischen Daten“ an: Wie groß ist die Figur, welche Haarfarbe hat sie, welche Augenfarbe, wie alt ist sie.

Als nächstes kommen die Wesenszüge. Zu den Dingen, die eine Figur zum Charakter machen, gehören Macken. Das muss nichts Spektakuläres sein, aber Dinge wie eine Vorliebe für rote Gummibärchen schärfen das Profil der Figur und machen ihr Verhalten im Roman deutlicher.

Für die Figur Reinhold in meinem neuen Roman Rat mal, wer das Essen kocht habe ich mir ein paar Dinge einfallen lassen, welche einige der Widersprüchlichkeiten seiner Person unterstreichen. Zum einen wirkt er manchmal steif und unnahbar, zum anderen kann er ausgelassen herumtoben. In seinem CD Regal findet sich die Zauberflöte mit der legendären Königin der Nacht von Edda Moser ebenso wie sämtliche Alben von den Red Hot Chili Peppers. Er kann die Funktion eines Querstrahlruders bis zur letzten Schraube erklären, ist aber auch blöd genug, beim Kochen eines Möhreneintopfs den ganzen Pott in die Luft zu jagen, was eine ganze Kette von wichtigen Ereignissen in Gang setzen wird. Das hat sich alles während der Vorbereitungen ergeben, als ich „Reinhold“ einem gründlichen Seelenstriptease unterzogen habe. Wie passend, dass ein Song der Red Hot Chili Peppers Strip My Mind heißt.

Apropos… Heute sind es noch zehn Tage bis zur eBook-Veröffentlichung von Rat mal, wer das Essen kocht – und in der Zeitung habe ich gelesen, dass die Red Hot Chili Peppers ein neues Album herausgebracht haben.

Warum muss ich ausgerechnet jetzt an Hamlet, Horatio und Schulweisheiten denken?