Durch den Beitrag von letzten Montag ist bekannt, dass ich wohlbehalten aus Hamburg zurückgekehrt bin. Selbstverständlich ist das allerdings nicht. Beinahe wäre ich nämlich auf die Hörner genommen worden. In Eppendorf. Als ich an einer Kreuzung mehrerer kleiner Nebenstraßen die Straße überqueren wollte. Es war weder dunkel noch schien der Mond helle, es waren auch keine Gestalten schweigend ins Gespräch vertieft, doch das mit dem Auto, dass blitzeschnelle gerade um die Ecke bog, stimmt. Ich konnte es nicht sehen und noch weniger hören, denn es war so ein f*cking (pardon, aber das musste sein) Elektroauto, das da plötzlich unter Missachtung der Vorfahrtsregeln, aber vor allem nahezu lautlos um die Ecke geschossen kam und versuchte, mich als Kühlerfigur zu adoptieren. Vornehmheit und Zurückhaltung zählen bekanntlich zu den hanseatischen Tugenden, doch nach diesem Schreck pfiff ich auf sämtliche solche und ließ mich zu einigen vollkommen unhanseatischen Schimpfworten hinreißen.
„Aber dennoch hat sich Bolle…“ Ach, nee, dieses Lied gehört ja nach Berlin. Egal. Schön war’s an de Alster, an de Elbe, an de Bill‘ (Richard Germer war nun wirklich Hamburger Sänger!), und davon soll hier ein bisschen erzählt werden.
Überraschende Entdeckung
Die Stammleser hier wissen’s: Ich kann eine ganz schöne Sabbeltüte sein. Darum wird es sie genauso verwundern wie mich, dass der größte Genuss in Hamburg für mich diesmal war, vier Tage zu schweigen. Außer dem Selbstverständlichen und Unverzichtbaren, wenn ich etwas gekauft habe (Guten Tag, bitte, vielen Dank etc.), sowie einem zwanzig Minuten langen Spontanschnack auf der Hafenfähre habe ich während der ganzen Zeit kein einziges Wort mit irgendjemandem gewechselt. Ich habe es so genossen, nicht kommunizieren zu müssen – auf diese Art hätte nicht vier Tage, sondern gerne vier Wochen in Hamburg verbringen können.
Denn es ist doch so: Wir werden so mit Input zugeballert, dass wir manchmal völlig vergessen, wie wichtig es ist, einfach mal den Sabbel zu halten. Mit einer Pflegeaufgabe ist man sowieso ständig gezwungen zu kommunizieren – mit Behörden, mit Unternehmen, mit Ärzten, dem zu Pflegenden selber. Wobei ich das nicht als wirklich etwas Besonderes ansehe. Es hat in großen Teilen einfach den Stellenwert an Kommunikation übernommen, den ich in meinem früheren Leben im Personalbereich und später als „Vorzimmerdrachen“ des Standortleiters eines großen Telekommunikationsunternehmens hatte.
Aber auch im Privatleben kommunizieren wir uns bisweilen regelrecht zu Tode: Wir telefonieren, wir chatten, wir whatsappen, wir skypen – und kommen kaum vernünftig zu Ruhe.
Durch all das und auch die ganzen Dinge, die im Rahmen der Veröffentlichung meines neuen Buches abzumachen waren, bin ich in den letzten Wochen vor Hamburg so kommunikationsmüde geworden, dass selbst mein Facebook-Account schon Staub ansetzte und ich mit dem festen Vorsatz nach Hamburg gekommen bin, mich so wenig wie möglich zu verbal auszutauschen. Es hat geklappt.
Schnepfendialoge
Je weniger ich gesprochen habe, desto offener war ich dafür, einfach zuzuhören. Und es gab einiges, das sich aufzuschnappen lohnte!
„Si fa, ma non si dice (Man tut es, aber man spricht nicht darüber).“ Obwohl Hamburg von Anglophilie geprägt ist und die hauptsächliche Verbindung zu Italien darin besteht, dass die Hansestadt mehr Brücken hat als Venedig, passt dieser Spruch ganz gut an die Elbe. Der Bezug entsteht dabei vor allem im Hinblick auf das Geld, besonders wenn man mehr davon hat als der sogenannte Otto Normalverbraucher. Zurückhaltung wird hier an den Tag gelegt, weshalb man seinen Reichtum zwar durchaus auslebt, etwa mit einem teuren Auto oder einem Haus in Othmarschen, ihn aber nicht zum Gegenstand seiner Gespräche macht.
Dennoch gibt es auch in Hamburg Damen, bei denen die vorhandene Geldmenge dazu geführt hat, dass man sie zu jenen Menschen zählen kann, die gerne spöttelnd als „Schnepfen“ bezeichnet werden. Doch eben weil man nicht über Geld spricht, müssen die Betroffenen ihre Schnepfigkeit anders kanalisieren.
Eine Begegnung mit solchen Schnepfen gab es am Isebekkanal. Ich saß auf einer Bank und gönnte mir eine kleine Pause. Der Weg wurde vor allem von Joggern rege benutzt, was auch zwei Schnepfen auffiel, die in ihrer landestypischen Tracht aus perfekt sitzender Betonfrisur (Königin a. D. Beatrix der Niederlande wäre neidisch gewesen) und „Kledaasch“ (Kleidung) so teuer, dass normal begüterte Familien sich davon ein Wochenende an der Ostsee hätten leisten können, des Weges kamen:
„Hach, diese vielen Jogger. Was halten Sie eigentlich davon?“ – „Wissen Sie, mir tun diese Menschen leid. Es ist schon ein arger Schicksalsschlag, wenn man einen so schlechten Stoffwechsel hat, dass man seine Figur nur mit so etwas gewöhnlichem wie Laufsport in Form halten kann.“
Ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, ob ich das witzig, merkwürdig, unverschämt oder alles zusammen finden soll.
Ein beliebter und überraschend häufig auftauchender Gesprächsgegenstand der Schnepfen war auch eine bestimmte Politikerin. Obwohl sie keine Hamburgerin ist, scheint ein ziemlicher Konsens in der Hamburger Society zu bestehen, sie ausgesprochen gut zu finden. Auch die Männerwelt hatte zu diesem Thema etwas zu sagen, doch sie bekundeten ihre Befürwortung nicht nur über die Amtsausübung besagter Politikerin, sie wussten auch ihre optischen Vorzüge sehr zu schätzen. Die Schnepfen waren bei letzterem Punkt allerdings ganz anderer Meinung: „Dieser Frisur würde ich gerne mal mit der Heckenschere zuleibe rücken“ und „Sie kann doch gar nicht so schlecht verdienen – warum sieht nimmt sie dann so eine billige Heimtönung vom Drogerie-Discounter?“ waren nur zwei von zahlreichen Highlights, die sich hier aus Platzgründen nicht komplett wiedergeben lassen.
Sportstadt Hamburg
Während meiner langen Streifzüge durch die Stadt habe ich mich oft gefragt, warum man in Hamburg nach dem Aus für die Olympiabewerbung so um den Status als Sportstadt bangt. Denn kaum etwas anderes ist in Hamburg so sichtbar wie der Sport: Kanus, Kajaks, schnöde Schlauchboote und Stand up-Paddler auf der Alster, Radfahrer am Elbufer, Reiter draußen in Billwerder, Slackliner im Schanzenpark, Schwimmer im Kaifu Bad, Fußballer auf einem Bolzplatz in Farmsen, Yogi am Mühlenteich in Wandsbek – und Jogger. Überall Jogger, selbst in der immer noch hauptsächlich von Geschäftsleben geprägten HafenCity. In vier Tagen Hamburg habe ich mehr Sportler gesehen als in Dortmund in vier Wochen. Mich beschleicht der Verdacht, dass es bei dem Geheule um die Sportstadt hauptsächlich um Funktionärsbegehrlichkeiten und saftige Finanzspritzen für ego-gepowerte Prestigeprojekte wie eben Olympia geht.
Was macht was, Wasser macht nass, Elbwasser macht nasser
Diesen Eindruck bestätigte auch meine bereits erwähnte Zufallsbekanntschaft. Doch bevor wir in Schnack kamen, musste erst etwas anderes passieren.
Ich war auf dem Weg nach Finkenwerder, um mir das Geburtshaus meines plattdeutschen Lieblingsautoren Rudolf Kinau (1887 – 1975) anzuschauen. Es war am späten Nachmittag, auf der Hafenfähre war trotz Feierabendverkehr nur wenig los, was wohl auch damit zu tun hatte, dass wegen der EM und noch nicht überall begonnener Sommerferien kaum Touristen in Hamburg waren. Dadurch konnte man auch tatsächlich auf vorn auf dem Oberdeck einen Sitzplatz bekommen.
Zwischen den Landungsbrücken und Finkenwerder steuern die Schiffe der Linie 62 vier Zwischenhalte an. Schon beim zweiten am Dockland konnte man sehen, dass sich von der Nordsee kommend ein ziemlich dicker Pott dem Hamburger Hafen näherte. Am vierten Anleger Bubendey-Ufer war endgültig klar, dass sich dieses Fotomotiv wirklich lohnen würde. Am Ende war es tröstlich, dass die Einheimischen den selben Fehler machten wie auch die Touristen und Teilzeit-Hamburger an Bord. In unserer Fotobesoffenheit ignorierten wir alle, dass so ein riesiges Schiff mit Platz für bummelig 19.000 Container ein ziemliches Kielwasser hinter sich herzieht. Wenn so eine Nussschale von Hafenfähre durch diese Wellen pflügt und diese dann mit ihrem Bug sozusagen hochhebt, um sie nach hinten zu schmeißen, wird es für die Leute auf dem vorderen Teil des Oberdecks nass. Sehr nass…
Nun ist das Elbwasser längst nicht mehr so gammelig wie noch vor zwanzig Jahren. Trotzdem war es ratsamer, den Besuch auf Finkenwerder zu vertagen, um ins Logis zurückzukehren, zu duschen und sich neue Klamotten anzuziehen. Zum Glück hatte ich nichts Weißes an, das durch das Wasser durchsichtig geworden wäre. Das hat dem attraktiven Dänen links von mir (Smørrebrød macht ordentliche Muckis!) ohnehin viel besser gestanden als mir…
Das soll’s erstmal gewesen sein mit Hamburg-Eindrücken. Es kommt noch mehr, doch zuvor muss die hochdeutsche Übersetzung des plattdeutschen Blogeintrags vom letzten Montag vorbereitet werden.