Versprochen ist versprochen…

… und wird nicht gebrochen! Ein alter Reim aus Kindertagen, der auch im Erwachsenenalter immer Gültigkeit haben sollte. Darum gibt es – wie vor einigen Tagen angekündigt – hier nun Teil 2 des Klönschnacks über meine diesjährige Hamburgreise.

Legale Droge

Einer meiner Lieblingsspaziergänge in Hamburg ist der vom Blankeneser Bahnhof aus durch das in meinem neuen Buch eine Rolle spielende Treppenviertel runter zur Elbe und dann über den Uferweg bis nach Övelgönne. Ein gemütlicher Spaziergang mit vielen verschiedenen An- und Aussichten, der deutlich länger ist, als es einem vorkommt. Nach dem ersten Lehrgeld vor einer ganzen Reihe von Jahren (eine Blase, ein riesiger Muskelkater, der selbst in den Fingernägeln zu spüren war, und der Schwur, seinen solch hirnverbrannten Sch**ß nie, nie, nie wieder zu machen), versuche ich nun, diesen Spaziergang jedes Mal in mein Programm einzubauen.

Man sollte allerdings wissen, worauf man sich einlässt. Das fängt mit den mäandernden Wegen durch das Treppenviertel an – man ist viel zu sehr damit beschäftigt, sich die steilen und sehr alten (= ziemlich ausgelatschten) steinernen Treppen hinauf zu wuchten oder auf selbigen beim Abstieg nicht die Balance zu verlieren und aufs Antlitz zu fallen, dass man nicht auch noch abspeichert, welche Distanz man bereits zurückgelegt hat. Ausreichender Proviant in Form von Proteinriegeln und isotonischen Getränken sollte auf jeden Fall dabei sein.

Auch der Weg am Elbufer entlang ist ein tückischer Wanderkamerad: Auch wenn der Strom in den Jahrhunderten immer wieder durch Menschenhand uferlich verändert wurde, ist er weit entfernt davon, schnurgerade wie ein Kanal zu sein. Man läuft auf eine Landspitze zu in der Hoffnung, die nächste Etappe erreicht zu haben – und doch tut sich hinter der Biegung ein weiteres Teilstück auf.

Spätestens in Teufelsbrück steht man dann auch nach gut 7,5 Kilometern vor der Gretchenfrage: Streckt man die Waffen und steigt in Bus oder auf die Elbfähre? Diese Entscheidung will wirklich bestens überlegt sein, denn es sind immerhin noch drei Kilometer bis zum nächten Fähranleger. Bei Kilometer 9 auf Höhe des Alten Schweden (ein über 200 t schwerer Findling am Elbufer) ist man dann entweder der Verzweiflung nahe – oder man hat das erreicht, was auch Läufer oder Radsportler bisweilen erleben: Das High. Es kommt zum Endorphinüberschuss, und man hat das Gefühl man könnte noch ewig weiterlaufen. Ein wundervoller beglückender Rausch, aber eine Garantie gibt es dafür nicht. Weil es sich überhaupt nicht planen oder vorhersagen lässt, ist das Walker’s High eine reine Glücksache, die von vielen Faktoren abhängt. Bei mir ist es in diesem Jahr auch prompt ausgeblieben – trotzdem waren es vier herrliche Stunden.

 

„Ich war nur ein Mädchen vom Hafen“

Im Nachhinein frage ich mich, ob ich nicht vielleicht doch ein Walker’s High hatte – anders kann ich mir den himmelschreienden Blödsinn nicht erklären, der mir auf den letzten Metern vor Övelgönne durch den Kopf schoss. Beim Anblick der Laternen am Wegesrand hatte ich plötzlich Lale Andersens rauchige Stimme im Ohr und ihr Ein Schiff wird kommen gab mir eine Idee. Erinnern wir uns an den Film Sonntags… nie!, für den Manos Hadjidakis dieses Lied geschrieben hat. Die von Melina Mercouri gespielte Illya war ein besonderes Mädchen vom Hafen. Ich überlegte kurzfristig, ob ich wenigstens für einen Abend mein Geld genau so wie sie verdienen sollte, um eine Verlängerung meines Aufenthaltes finanzieren zu können. Ich könnte mich doch bei Anbruch der Dämmerung lasziv an so eine Laterne lehnen und verführerisches hauchen…

Es war wohl doch kein Walker’s High, sondern ein geringfügiger Flüssigkeitsmangel. Ein großer Schluck aus meiner Mineralwasserbuddel bereitete diesem Unfug ein willkommenes Ende. Ich werde jetzt noch ganz schamviolett, wenn ich mich morgens im Spiegel betrachte….

 

Wer friert uns diesen Moment ein?

Bei der Ankunft in Övelgönne taten mir nach dem langen Marsch trotz langstreckengeeigneter Schuhe ziemlich die Füße weh, aber ich kam gar nicht dazu, mir selbstmitleidige Gedanken darüber zu machen. An der Wendeschleife für Autos, die von hier zurück in Richtung Fischmarkt fahren, herrschte große Aufregung. Die Besatzung einer grünen Minna hatte die Sirene eingeschaltet und hupte wie verrückt. Ein Überfall? Ein Unfall und die gefürchteten Gaffer versperrten den Weg für die Retter? Nein, doch zwei Lieferwagen hatten die einzige Zufahrt zu einem Café zugeparkt und damit auch die Polizisten, die dort Pause gemacht hatten, regelrecht eingesperrt. So prosaisch das für den interessierten Betrachter war – die beiden Fahrer der Lieferwagen dürften noch ziemlich lange an der Sache zu knabbern haben. „Das wird bannig teuer“, meinte auch eine Stimme neben mir. „Von der Abmahnung will ich gar nicht erst reden.“

Nun war ich ganz aufgeregt – es war Frau L., meine alte Bekannte vom Blankeneser Bulln. Ein unerwartetes und freudiges Wiedersehen. Leider hatte Frau L. keine Zeit, da sie anderweitig verabredet war, sonst hätte ich mein „Schweigegelübde“ gerne noch einmal gebrochen, doch eine Frage musste ich unbedingt stellen: „Was hat Sie hierher verschlagen? Wieder mal die Latte Macchiato-Muttis in Blankenese?

„Nein“, lachte Frau L., „aber mir wurde das Treppenviertel zu mühsam. Also bin ich hierher gezogen.“ Sie deutete auf das nicht ganz billige Seniorenstift, das in einem zwölfstöckigen ehemaligen Kühlhaus untergebracht ist. „Aufzug, Busse und Taxis halten direkt vor der Tür – ist auf meine alten Tage doch angenehmer als die Treppensteigerei. Und sie kennen ja den dösbaddeligen Spruch, den die He lücht von sich lassen, wenn sie auf der Hafenrundfahrt hier vorbeischippern: Gekühlte Ware hält sich länger.“

 

Hoch hinaus

War es die Elbluft, hatte mir die Sonne nur eine Stunde nach dem Verschwinden der Gewitterwolken der letzten Nacht bereits einen Stich verpasst oder hatte mich einfach nur per se jeglicher gesunder Menschenverstand verlassen? Keine Ahnung. Jedenfalls hatte ich etwas getan, was ein Mensch mit Hypsophobie (der Fachbegriff klingt einfach schicker als das schnöde „Höhenangst“) tunlichst vermeiden sollte: Ich hatte das Dockland im alten Fischereihafen erklommen und stand nun auf der Dachterrasse. Eine herrliche Aussicht. Tolle Perspektiven für Fotos. Ein seelenruhiger yours truly.

Denn das Dockland schwankte nicht. Kann es ja wegen seiner Form auch nicht. Wenn es geschwankt hätte, wäre da vielleicht doch ein klitzekleines Problem gewesen. So wie damals, als ich mich überwunden hatte meinem Mann den Wunsch zu erfüllen, mit ihm den Fernsehturm bei uns in der Stadt hinaufzufahren. Das Ding ist ja nicht dicker im Durchmesser als eine handelsübliche Stricknadel, und mir war ziemlich flau, als wir auf der vorletzten möglichen Höhe aus dem Aufzug stiegen. Mein Mann strebte sofort das Turmcafé an, das auf einer beweglichen Plattform im Kreis fährt. Soweit ging meine Opferbereitschaft dann aber auch nicht. Ich war jetzt schon mehr tot als lebendig. Trotzdem quälte ich mich noch über eine schmale Hühnerleiter hoch zur al fresco-Aussicht. Frische Luft soll ja gut gegen flauen Magen sein. Allerdings schien sie bei mir das Gegenteil zu bewirken: „Schatz, ich hab‘ das Gefühl, der Turm schwankt ein wenig.“ – „Das tut er auch. Das muss er nämlich wegen der Statik.“ – „DANKE – DAS IST DAS WAS ICH GENAU JETZT UND GENAU HIER WISSEN WILL!!!“

Aber heute war niemand dabei, der mir unerwünschten Nachhilfeunterricht im Hochbau geben wollte. Folglich konnte ich den Panoramablick auf den Hafen sogar genießen.

Merke: Das mit den Höhen klappt, solange keine Bewegung drin ist. Also in Zukunft nur noch auf hohe Gebäude, die nicht schwanken können. Oder bei schwankenden Gebäuden meinen Mann unten stehen lassen.

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Das war’s aber nu‘ wirklich mit meiner Hamburg-Sabbelei für dieses Jahr. Über die Rückfahrt von der Elbe in den Pott habe ich ja schon op Platt vertellt, und zu Anfang der neuen Woche kommt dann auch endlich die hochdeutsche Übersetzung dieses Artikels.

Versprochen!


Teil 1 verpasst? Kein Problem – -> hier geht’s lang