Die Imponderabilien der cleveren Fische

Neulich habe ich eine sehr liebe Mail von einem Leser bekommen. Da war viel Lob drin, aber auch eine kleine konstruktive Kritik: Während der letzten zwei Wochen hätte mein Fokus hier im Blog zu sehr auf Oldies und Nostalgie gelegen.

Das mag durchaus stimmen, aber das geschieht nicht absichtlich. Ich suche die Nostalgie, die Beschäftigung mit dem Gestern nicht. Sie findet mich ganz ohne mein Zutun. Das Leben besteht aus Phasen, und ebenso wie beim Wetter lässt sich nie voraussagen, worauf ihr Schwerpunkt liegt, und erst recht nicht, wie lange sie dauern. Genau diese „Imponderabilien“, wie bei Lotti Huber so schön zu lesen ist, haben halt zu einer Phase geführt, in der ich mir verstärkt Gedanken um Fragen wie Schallplatte vs. mp3 mache.

Nach Voltaire ist Zufall ein Wort ohne Sinn, es kann nichts ohne Ursache geschehen. Eben. In der vor-vorletzten Nacht ist zum Beispiel ein Nachbar aus meinem Elternhaus verstorben. Ich könnte nicht behaupten, dass ich ihm jemals wirklich nahe gewesen bin, einfach weil er aufgrund seiner Generation viel mehr mit meinen alten Herrschaften zu tun hatte. Doch für rund fünfunddreißig Jahre meines Lebens gehörte er zu eben diesem – zuerst direkt als Mitbewohner im selben Haus, später aus der Ferne, wenn ich am Telefon mit meinen Eltern oder auch meiner Schwester über die neuesten Ereignisse bi uns op’n Dörp schnackte.

Als Kind/Jugendlicher war man sauer auf ihn, wenn er einem den ganz normalen (aber aus eigener Sicht natürlich völlig ungerechtfertigten) nachbarschaftlichen Rüffel gegeben hat, wenn man mal wieder mit dem Fahrrad über den gerade geharkten Splitt auf dem Hinterhof gefahren war und dann auch noch eine schöne Vollbremsung hingelegt hat.

Er war aber auch ein Mensch, mit dem man später als Erwachsener ein Bier zusammen getrunken hat, wenn man zu Besuch bei den alten Herrschaften war. Der die gleichen Namen kannte. Der Ereignisse genauso datierte, wie man es selber als Jung vun’t Dörp macht.

Er war eben eine Konstante. Eine Konstante, die jetzt fort ist – und der Eindruck, den das bei mir hinterlässt, ist größer, als ich mir je vorgestellt habe. Denn er war ja „nur“ jemand aus der Generation meiner Eltern. Doch allzu lange wird es nicht mehr dauern, bis die erste Zeitungsannonce erscheint, in der neben dem der Name eines alten Klassen- oder Kindergartenkumpels stehen wird.

Das ist mir in 2016 recht oft aufgedrückt worden. Gleich im Januar, das neue Jahr war noch keine vierzehn Tage alt, ist meine beste Freundin gestorben – so plötzlich und unerwartet, dass ich keine Chance hatte, rechtzeitig alles für eine Reise in ihre Heimatstadt Panama City/Florida zum „paying my final respects“ in die Wege zu leiten.

Im April brach dann plötzlich der Kontakt zu einer Bekannten ab – sie erschien nicht zu einem gemeinsamen Frühstück und verschwand förmlich von der Bildfläche. Es war nichts rauszubekommen. Erst vor drei Wochen erfuhren wir, dass sie genau an dem Tag, an dem sie zu uns kommen wollte, gestorben war.

Die Bekannte hatte so gut wie keinen Kontakt zu ihren drei Kindern. Irgendwelche alten Geschichten. Aber deswegen wohl auch keine Kenntnis bei eben diesen, welche Freunde zu benachrichtigen waren. Eine gemeinsame Bekannte von uns und eben der Verstorbenen tappte über Monate genauso im Dunkeln wie mein Mann und ich. Und wieder kein Zufall, sondern eine konkrete Ursache, auch für gewisse Gedanken: Da waren direkte Nachkommen, die zwar verkracht waren, aber sich eben doch für dieses letzte Mal zusammengetan hatten. Aber bei meinem  Mann und mir eines Tages? Wir haben keine Kinder – wie auch? Wie wird das wohl sein, wer wird uns durch die Dämmerzeit unseres Lebens und schließlich wohin auch immer bringen? Wenn einem das Thema so aufgedrängt wird, kann man gar nicht anders, als sich erweiterte Gedanken zu machen. Verdrängen, Negieren, Ignorieren – hat alles noch nie geholfen.

Es ist nur wichtig, darüber nicht zum düsteren Brüter zu werden. Da kann ich Entwarnung geben. Trotz aktueller Ereignisse hatte ich heute Vormittag riesigen Spaß, die hochdeutsche Übersetzung für den humorvollen plattdeutschen Artikel vom letzten Mittwoch zu schreiben (das wird dann in der nächsten Woche zu lesen sein). Über eine Pointe für mein neues Buchmanuskript habe ich neulich so lachen müssen, dass ich dabei meinen Kaffee umgeworfen habe (natürlich auf eine weiße Tischdecke – olle Schweinerei!). Ich freue mich auf sechs lustige Montagabende mit der neuen Staffel von Just A Minute!, die nach diesem Wochenende beginnt. Mein Mann und ich waren heute Abend mit ein paar Freunden auf dem Straßenfest bei uns im Quartier. Hat bannig Spaß gemacht Und ich habe ihn heute Mittag mit folgendem Rätsel erfreut:

„Schatz, wie nennt man den ganz schlauen Teil eines Fischskeletts?“

„Keine Ahnung.“

„Gräte Weiser.“

Ich weiß immer noch nicht, warum er danach seinen Kopf immer wieder auf die Tischplatte gehauen hat, aber ich habe sehr gelacht.

Das Leben halt – alles voll normal, ey.

 

 

 

 


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