Kaffee!
In den 70ern und 80ern eines der untrüglichen Anzeichen funktionierender spießbürgerlicher Idylle und trotz bereits erfolgtem Wirtschaftswunder streng rationiert. Morgens zum Frühstück eine, höchstens zwei Tassen, dasselbe nochmal nachmittags zwischen eins und vier, je nachdem, ob der Vater gerade Früh- oder Mittagsschicht hatte. Am Sonntag aus dem Porzellan für gut. Im Job eventuell auch noch eine Tasse während der Pause. Aber dann war aber auch Schluss mit lustig. Wenn man doch mal Lust auf mehr hatte, kamen sofort die Kriegsgeschichten der Ganz-Altvorderen auf den Tisch, die mahnend sagten, dass sie in der schlechten Zeit froh gewesen wären, wenn sie überhaupt mal echten Bohnenkaffee bekommen hätten anstelle des meist mit Zichorie gestreckten Muckefucks oder gar des nur aus Zichorie bestehenden Ersatzkaffees. In diesem Spiel mit dem schlechten Gewissen brachten sie es regelmäßig zu Höchstleistungen.
Jeder Haushalt hatte seine Sorte, und es wurde nur die gekauft, egal ob sie gerade im Sonderangebot war oder nicht. Wenn es überhaupt eine andere Sorte im Schrank gab, dann jene, die nur bei hohem Besuch aufgebrüht wurde. Das war dann der magenschonende oder der entkoffeinierte – kam ganz drauf an, ob Oma und Opa hohen Blutdruck oder ein respektables Magengeschwür im Angebot ihrer während der ersten Stunde ihres Besuches ausführlich geschilderten Malaisen hatten.
Zubereitungsmöglichkeiten gab es nur zwei: Die ganz normale Kaffeemaschine oder die Sache mit dem immer wieder neu aufgekochten Wasser aus dem Kessel, das portionsweise durch den Filterhalter aus Porzellan direkt in die Kanne gegeben wurde, beides im Allgemeinen von Melitta, wobei an den Tagen für gut natürlich auf die Kanne vom Service für selbiges zurückgegriffen wurde, vorzugsweise von Hutschenreuther, Bavaria oder Eschenbach.
Inzwischen sind sämtliche dieser Grenzen gesprengt. Die Kontingentierung ist aufgehoben. Es gibt zig Zubereitungsmöglichkeiten, die Sortenvielfalt ist unüberschaubar, und alles kann beliebig untereinander kombinieren. Die Zubereitung als guter alter Filterkaffee gilt übrigens derzeit als besonders stylish, hip und trendig. Zu diesen drei Adjektiven direkt aus der Hipsterhölle in Verbindung mit dieser Zubereitungsmethode sage ich jetzt mal nix – dazu bin ich einfach zu höflich.
Als nahezu einzige Konstante beim Kaffee ist eigentlich nur noch das Gefäß übrig geblieben, aus dem wir unseren Kaffee zu uns nehmen. Die Frage „Hast du noch alle Tassen im Schrank“ ist nämlich nicht nur ein Euphemismus für die Hinterfragung des Geisteszustandes bei merkwürdig agierenden Zeitgenossen, sie kann durchaus wörtlich genommen werden.
Im Kontor steht unsere ganz eigene Tasse, und dem Kollegen, der sich ungefragt daran vergreift, droht Fürchterliches. Auch zuhause haben wir unsere ganz besondere Tasse, die permanent im Einsatz ist: Frühstück, Kaffeestunde, wenn wir uns nachts für den Serienmarathon wachhalten wollen, wenn spontaner Besuch kommt. Der Sonntag ist mittlerweile in Punkto Kaffee so gewöhnlich geworden, dass das bereits mehrmals erwähnte Geschirr für gut eigentlich nur noch bei den drei großen T auf dem Lebensweg vorkommt: T-aufe, T-raumhochzeit, T-od.
Mit unserer ganz persönlichen Tasse ist meist etwas ganz Persönliches verbunden, und deswegen ist sie unsere Lieblingstasse. Obwohl manche Schränke vor Tassen schier überquellen, weil sich dank Urlaubsandenken, Werbe- und Geburtstagschenken und ähnlichem so viele angesammelt haben, greifen wir doch immer wieder zu der einen.
Meine Lieblingstasse ist eher schlicht. Ein dunklerer Beigeton, oben am Rand ein dunkelblauer Streifen. Nichts Besonderes. Auch nicht wegen der kleinen Robbe, die einen Luftballon in Herzform hält.
Besonders wird die Tasse einfach dadurch, dass mein Name darauf geschrieben steht. Das ist bei weitem nicht selbstverständlich. Bei uns in der Familie haben alle ganz normale Allerweltsvornamen. Genau deswegen bekamen sie immer, wenn Großeltern, Tanten und sonstige ältliche Anverwandten vom Urlaub oder aus der Kur in einem staatlich approbierten Heilbad zurückkehrten, die üblichen Souvenirs mitgebracht, auf denen sich Namen anbringen lasen: Tassen, Frühstücksbrettchen, T-Shirts, Kugelschreiber, Schlüsselanhänger. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt.
Nur ich ging regelmäßig leer aus, weil ich eben mit meinem Namen aus dem Rahmen falle. Nun hatte ich wegen meines nicht ganz alltäglichen Namens ganz andere und gravierendere Probleme zu meistern, wie ich an anderer Stelle hier im Blog schon einmal berichtet habe, trotzdem war ich jedesmal mucksch, wenn ich wieder mal nur so ein olles Motiv-Trinkglas mit schlecht gepinseltem Bild vom Kurpark und Schriftzügen wie Gruß aus Bad Rippoldsau-Schapbach oder Schönes Bad Wildungen bekam. Das hielt lange an, denn mein Vorname war nie so richtig en vogue. Kein Wunder – ist ja nur die niederländische Form von Gerhard, und wer nennt sein Kind heute noch Gerhard?
Ich war schon über dreißig, als meine Großmutter mir von der Ostsee diese besagte Tasse mitbrachte und ich zum ersten Mal endlich genau wie die anderen etwas mit meinem Namen drauf bekam.
Es war aber auch das letzte Souvenir, das Oma mitbrachte, denn das Reisen war ihr zu anstrengend geworden und es zog sie nicht mehr fort. Auch dadurch wurde diese Tasse zu etwas ganz Besonderem. Und das bleibt sie auch.