Was ist der Unterschied zwischen einem Roman von Hedwig Courths-Mahler und dem Werk einer aktuellen Königin der Liebesromanze? Bei Hedwig Courths-Mahler gab es den ersten Kuss vom Helden für die Heldin erst auf der letzten Seite und meist nur schamhaft angedeutet. Heute hingegen sind beide schon auf dem Titelbild halbnackt und wir wissen genau, dass sie sich mit nur einem Kuss bestimmt nicht zufrieden geben werden.
Nicht viel anders läuft und lief es bei uns homosexuell talentierten Männern. Wenn ich als Teenager vor bummelig 26 – 27 Jahren einen nur spärlich bekleideten Mann sehen wollte, aber keine Lust hatte, wegen des versuchten Kaufes einer Zeitschrift mit Jugendverbot achtkantig aus der Bahnhofsbuchhandlung zu fliegen, musste ich ein anderes Verbot riskieren bzw. sogar die komplette elterliche Konfiszierung meines Schwarzweiß-Fernsehers. Nämlich damit, dass ich mittwochs um 21:45 Uhr heimlich Der Denver-Clan schaute und sowohl auf eine Bettszene hoffte als auch darauf, dass mir meine alten Herrschaften nicht auf die Schliche kamen.
Eine andere Möglichkeit war die Bekundung der Notwendigkeit, dringend mal wieder neue Unterhosen kaufen zu müssen. Der mütterliche Rat „Kauf dir doch welche bei Horten“ versprach sicherlich eine schnellere Füllung der entsprechenden Schublade im eigenen Kleiderschrank, beraubte einen aber auch um optische Genüsse.
Ich griff also zum Versandhauskatalog (für die jüngeren Leser: Stellt euch ca. 0,1 ‰ des Komplettangebots von Amazon auf Papier ausgedruckt vor), wobei der Katalog für die Sommersaison von ca. März bis Oktober bei mir und den meisten anderen männlichen Wesen mit einem Faible für das eigene Geschlecht höher im Kurs stand, denn der hatte auch Bademoden im Angebot, und da sah man noch ein bisschen mehr von den hübschen Models als auf den Seiten mit Plünnen in Fein- und Doppelripp weiß.
Davon, dass uns eines Tages an jeder möglichen und unmöglichen Stelle im täglichen Leben hübsche Männer bar jeder Kleidung begegnen würden, konnten wir nur träumen. Die Männer in der Werbung liefen hochgeschlossener herum als eine mittelalterliche Klosterfrau und ließen den einzigen badebehosten Kerl in der Cliff-Duschgelwerbung wie einen Porno daherkommen. Dennoch schienen sie sich wohl in ihrer Haut zu fühlen, denn sie lächelten alle so gewinnend, dass man sich von ihnen sofort einen neuen Kühlschrank hätte andrehen lassen.
Heute tragen sie (manchmal nur einen Hauch von) nichts und stehen bis zur Hüfte im Pool, liegen in der Wüste auf einem Felsen, fläzen sich kaffeetrinkend auf dem Sofa, räkeln sich auf der Sonnenliege, stehen sogar in der Küche (Wer nie sein Schnitzel nackig briet, weiß nicht, wie Fettspritzer wehtun!) und prüfen den Ölstand ihres Autos. Sie haben Tattoos, sie haben keine Tattoos, man sieht sie mit und ohne Vollbart, haarigem oder glatten Brustkasten, allen Haarfarben, die Natur und Kosmetikindustrie hergeben und gehen laut Bildunterschriften allen möglichen Berufen von A-rzthelfer über H-olzfäller und P-reisboxer bis Z-itherspieler nach.
Doch so richtig Spaß macht das Angucken dieser Kerls nicht. Kaum einer macht von der schönsten Art Gebrauch, die Zähne zu zeigen, sprich: Sie lächeln nicht. Ganz besonders schlimm ist das scheinbar bei den Fotos, die gezielt für ein schwules Publikum gemacht werden. Sie stehen-sitzen-liegen da und haben soviel Power in ihre ganzen anderen Muskeln und deren Training gepumpt, dass nix für die beiden übrig geblieben ist, die man braucht, um die Mundwinkel nach oben zu ziehen. Manche versuchen es, scheitern aber kläglich – man sieht ihnen an, dass es mechanisch und auf Kommando geschieht, das bisschen Lächeln spiegelt sich nicht in ihren Augen wider. Wenn sie nicht völlig lebensfreudebefreit wirken, dann zumindest als hätten sie gerade den neuesten Auftrag als Berufskiller bekommen. Wie in einem schlechten Ost-gegen-West-Thriller der 80er: „Ich muss dich ver-nich-ten.“ (Alle ch wie in Ach gesprochen).
Und das sind nur die Profimodels! Die privaten Fotos bei Facebook und Instagram sind oft nicht besser. Da sieht man die Jungs auf der Butterfly-Bank sitzen. Okay – Sport ist anstrengend, und wenn man sich auf seine Übungen konzentrieren muss, ist das mit einem charmanten Lächeln durchaus schwierig. Aber wenn ihr im Gym mit dem Smartphone in der Hand vor dem Spiegel steht und die einzige Muskelbewegung, die ihr machen müsst, der Druck auf den Kamerauslöser ist… Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass da nach zwei Sets Butterfly, zwei Sets Bench Pressing und 50 km Spinning nicht trotzdem das itsy-bitsy-teenie-weenie bisschen Kraft übrig ist, um den Mund zu einem charmanten Lächeln zu verziehen. Notfalls versucht es halt mit einem breiten „Cheeeeeeeeeeeese!“
Es heißt ja immer, sportliche Ertüchtigung macht nicht nur den Körper fit, sondern auch den Kopf freier und das Gemüt entspannter. Junge-Junge-Junge, da muss bei dem Mannsvolk auf diesen Fotos gehörig was schiefgelaufen sein…
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