Drei Zwiebeln für die Märchenbraut

Woran merkt man dass sich das Jahr dem Ende zuneigt? Da hat wahrscheinlich jeder von uns seine eigene Wahrnehmung. Doch es gibt zwei Dinge, die wohl mehr Leute zusammenbringen als das Wir-Gefühl bei der Fußball-WM 2006.

Zum Altjahrsabend etwa wird in jedem Bundesland das Öffnen der ersten Buddel Sekt individuell den Ausstrahlungsterminen von Dinner for One angepasst.

Bereits in den fünf Wochen zuvor hängt das pünktliche Erscheinen vieler Kinder und inzwischen auch ihrer Eltern und Großeltern bei (vor)weihnachtlichen Zusammenkünften davon ab, wann der Märchenfilm Drei Haselnüsse für Aschenbrödel gesendet wird. Derzeit werden in den Social Networks wieder fleißig die nach und nach bekanntgegebenen Sendetermine geteilt. „Aaaaaw, endlich wieder“ – „Immer wieder schön“ – „Kann’s kaum erwarten“ oder sehr ähnlich werden diese Postings dann mit Kommentaren verziert. Inzwischen gibt es sogar spätabendliche Ausstrahlungen für Erwachsene!

Ganz unter uns – ich habe die Begeisterung für diesen Film noch nie begriffen. In meinen Kindheitserinnerungen und auch aus meinem heutigen Empfinden heraus steht Drei Haselnüsse für Aschenbrödel neben den ganzen Karl May-Filmen für das Langweiligste, mit dem sich die Weihnachtszeit länger und zäher als ein ausgelutschter Kaugummi ziehen lässt. Das gleiche gilt für Arabella, Die Märchenbraut. Deren Hauptdarstellerin Jana Nagyová habe ich erst vor drei oder vier Jahren zum ersten Mal richtig zu schätzen gelernt – als großartige Sprecherin der todbringenden Vampirin Lodoiska in dem gleichnamigen Hörspiel nach einer Novelle von Theodor Hildebrand (1794 – 1859).

Warum ich den Film schon als Kind nicht leiden konnte, weiß ich gar nicht mehr so genau. Ich fand ihn halt strunzöde. Darüber hinaus kann ich nur vermuten, dass es die müden Farben und die schrecklichen Plünnen waren – zum Beispiel dieses hellblaue Outfit des Prinzen, das irgendwie aussah, als wäre es ein paar Mal zu oft gewaschen worden, das letzte Mal obendrein mit Chlorbleiche. Dazu die blassen Teints der Schauspieler – eine Ansammlung von Wasserleichen. Wahrscheinlich war ich durch disneysche Opulenz verwöhnt, darum hatte ein Märchenfilm für mich ein einziger Farbenrausch zu sein, den die tschechischen Märchenfilme einfach nicht aufbieten konnten.

Heute hingegen weiß ich genau, warum sich mir bei Drei Haselnüsse für Aschenbrödel sämtliche Nackenhaare aufstellen: Es ist die Überpräsenz. Einmal im Jahr wäre durchaus okay, doch muss ein Film wirklich bis zu zehn, fünfzehn Mal innerhalb von vier Wochen gezeigt werden?

Dabei sind Wiederholungen an sich gar nichts Schlechtes, schlagen sie doch gerade an Weihnachten oft Brücken zwischen den Generationen: Die Älteren sind an Weihnachten sowieso ein bisschen auf nostalgisch gebügelt, und die Jüngeren lernen ein ganz neues Zauberland kennen.

Eine meiner schönsten Weihnachtserinnerungen besteht tatsächlich aus anderthalb Stunden zwischen Kaffeetrinken und Abendessen am ersten Weihnachtsfeiertag, in denen wir vor dem Fernseher sitzend einen Ausflug auf den berühmtesten Ponyhof in der Holsteinischen Schweiz gemacht haben. Dabei: Meine Großmutter, meine Eltern, mein Mann und ich, meine Schwester, ihr Mann und vor allem die lütten Buttscher der beiden. Vier Generationen zusammen, und neunzig Minuten lang waren alle Sorgen ganz weit weg. So etwas ist unbezahlbar.

Trotzdem kann ich die Immenhof-Filme inzwischen nicht mehr sehen. Sie sind einfach zu oft wiederholt worden, wobei die Drei Haselnüsse für Aschenbrödel gemeinsam mit Sissi und Der kleine Lord natürlich den Vogel abschießen. Man könnte den Eindruck gewinnen, die einzige Möglichkeit, jene fünfundzwanzig bis dreißig Tage zwischen Erstem Advent und dem Zweiten Weihnachtsfeiertag filmisch zu gestalten, ist eine Dauerschleife der zehn, zwölf immer gleichen Filme. Aschenbrödel – Immenhof – Sissi – Lord – Winnetou – Aschenbrödel – Immenhof – Sissi – Lord – Winnetou – Aschenbrödel… Dreißig Sender und die Auswahl ist geringer als vor dreißig Jahren.

Natürlich ließe sich jetzt einwenden: „Dann schmeiß doch einfach ’ne DVD in den Player, wenn du unbedingt was anderes sehen willst – obendrein kannst du selber bestimmen wann’s läuft.“ Klar, könnte man. Aber ich fürchte, dafür bin ich bereits ein bisschen zu sehr ein alter Sack. Die Älteren sind an Weihnachten sowieso ein bisschen auf nostalgisch gebügelt… (siehe oben), und ich kann mich noch zu gut an die durch den Überraschungseffekt ausgelöste Vorfreude beim Durchblättern der Radiozeitung erinnern, die gleichzeitig auch ein bisschen den Ablauf der Festivitäten bestimmte.

Bliebe noch die Sache mit den Zwiebeln aus der Überschrift zu klären. Mein Lieblingsweihnachtsfilm zu Kinderzeiten war auch eine Produktion aus der ehemaligen ČSSR: Sechs Bären mit Zwiebel. Ein Clown namens Zwiebel verliert seinen Job im Zirkus und die Tanzbären werden auch arbeitslos. Zwiebel nimmt die Bären mit und landet mit ihnen in einer Schule, wo er sie zwar vor dem übrigen Personal verstecken kann, aber nicht vor den Kindern. Damit das Chaos nicht auffliegt, muss sich Zwiebel dreiteilen. Je nach Bedarf verkleidet er sich als Hausmeister, Schulkrankenschwester und Putzfrau, welche die Böden damit reinigt, dass sie sich Bürsten unter die Schuhe schnallt und damit „Schlittschuh“ fährt. Dann gibt es noch eine chaotische Schaumschlacht und natürlich das Happy End.

Gerade wegen der Sache mit den Tanzbären und anderen Zirkustieren dürfte dieser Film heute bei vielen Eltern wohl nicht ganz zu unrecht durchfallen. Ich bin mir selbst nicht sicher, ob ich diesen Film meinem Neffen und meiner Nichte gezeigt hätte.

Doch selbst, wenn’s dieser Streifen partout nicht sein darf – es gibt so viele andere uralte liebenswerte, amüsante, zuckerig-kitschige und deshalb gerade an Weihnachten so herzerwärmende Streifen mit Happy End, die seit Ewigkeiten nicht mehr gelaufen sind. Dreizehn kleine Esel und der Sonnenhof mit Hans Albers und Marianne Hoppe, Die unteren Zehntausend mit Bette Davis, Kohlhiesls Töchter mit Lilo Pulver, das Weihnachtspecial aus Ich heirate eine Familie

Wäre mir schnurzegal, worauf die Wahl fiele. Hauptsache, einer der Sendeplätze für die ollen Haselnüsse würde mal wieder frei. Es würde ja schon reichen, wenn wenigstens die Spätausstrahlung für Erwachsene an Heiligabend durch einen kultigen, richtig schlechten Gruseltrash-Klassiker à la Die Nacht der reitenden Leichen ersetzt würde – quasi als Äquivalent zur Weihnachtsschlemmerei. Da freut man sich irgendwann nämlich auch darauf, mal wieder in ein richtig schönes Stück Junk Food zu beißen!

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