Erntedank

Erntedank? Im Februar? Falsche Jahreszeit, hm?

Richtig, liebe Leser, genau das dachte ich auch. Doch wie so oft im Leben begann auch die heute zu berichtende Begebenheit damit, dass eigentlich etwas ganz anderes geplant war.

Eigentlich nämlich wollte mein Mann am letzten Wochenende nur ein paar Primeln in unsere Blumenkästen auf dem Balkon pflanzen. Mit unserer Familienchronik vertraute Leser wissen natürlich, dass besagte Balkonkästen eigentlich (da haben wir’s schon wieder) mein Revier sind, während mein Mann jene nach vorn heraus auf den Fensterbänken von Schlaf- und Wohnzimmer für sich requiriert hat.

An diesem Status Quo hat sich auch nichts verändert, doch wenn man in die Jahre kommt – ich zähle ja immerhin auch schon *nuschel*-zig Lenze – erinnert man sich plötzlich wieder an Lehren, bei denen man vor *hust* Jahren in der Schule die tollkühne Prognose gewagt hat: Das brauche ich ohnehin nie wieder!

Stichwort Monokultur. Wenn man immer nur dasselbe aussät, rächt sich das irgendwann mit immer geringeren Blütenfreuden, bis irgendwann gar nichts Gescheites mehr dabei herumkommt. Da ich aber auch im mittlerweile dritten Jahr wieder mein ohne Plan ausgesätes Blumenmeer aus Samen von Bienenfreund, Astern, Wicken, Azaleen und noch einigen Sorten mehr genießen möchte, dürfen sich die Vorbereitungen diesmal nicht nur auf die Entfernung der alten Wurzeln und das Beimischen neuen Mutterbodens beschränken. Also hat mein Göttergatte ein paar Primeln besorgt, die meine Balkonkästen auf den kommenden Sommerschmuck vorbereiten sollen.

Was eigentlich (ich glaube, eine Strichliste könnte sich ab jetzt lohnen) für den vergangenen Montag geplant war, zog er dann aber bereits auf den Sonntag vor. „Dauert ja höchstens ’ne Stunde.“

Ich ließ ihn in dem Glauben.

Also begann er, die letzten Reste der verblühten Blumen vom letzten Jahr rauszurupfen, die vertrockneten Wurzen aus der alten Erde zu klauben und letztere dann mit neuem Mutterboden zu mischen. Nach anderthalb Stunden war der erste Kasten fertig. Halbzeit.

Doch zunächst einmal kam mein Mann zu mir ins Wohnzimmer, wo ich es mir auf dem Sofa mit Kaffee und Buch bequem gemacht hatte. Denn eigentlich (na, mitgezählt?) war ja Sonntag, doch wenn er der Sonntagsruhe nicht frönen wollte – bitte sehr, meinetwegen, aber ohne mich.

Ob ich Lust auf einen Salat mit frischem Wintergemüse zum Abendbrot hätte, wollte er wissen. Auf frischen Salat habe ich immer Hunger, musste aber leider kundtun, dass sein edles Vorhaben an der Leere in unserem Kühlschrank scheiterte. „Sonntag. So von wegen Läden zu, weißte? Aber gerne morgen wieder.“

„Nein, wir können heute Salat essen. Habe gerade frisch geerntet.“

Dunkel war der Rede Sinn, denn wir haben noch nie Obst, Gemüse und sonstwie essbares Grünzeug selber gezüchtet. Obwohl wir einigen Erfolg bei den Balkon- und Zimmerzierpflanzen vorweisen können, reicht unser grüner Daumen nicht für die nahrhafte Seite von Mutter Natur. Bei uns geht ja sogar der erntefertige Basilikumtopf aus dem Supermarkt noch am ersten Tag ein…

Die Einwände wurden hoheitsvoll beiseite gewedelt, gefolgt von der Versicherung ewiger Dankbarkeit, wenn ich das Raspeln der Möhren übernähme.

„Himmelverflixtverdammtnochmal, welche Möhren? Wir haben keine Möhren!“

Nach fast zwanzig Jahren hätte ich das diabolischen Grinsen eigentlich (*kerbeindenschreibtischritz*) richtig deuten müssen. Naja, es soll da sowas wie Betriebsblindheit geben.

Mein Mann hatte nämlich tatsächlich zwei Möhren aus den Blumenkästen geerntet:

Dafür, dass wir in jedem Frühjahr Erdnüsse in den Balkonkästen wiederfinden, haben wir längst eine Erklärung gefunden, doch die Sache mit den Möhren verweigerte sich beharrlich jeder schlüssigen Erklärung. In der durchaus bunten Tierwelt unseres Innenhofkarrees gibt es keinen einzigen Connaisseur der Daucus carota, Subspezies sativus. Wir selber fallen als Urheber aus weiter oben genannten Gründen ebenfalls aus, und soweit wir wissen, kommt auch eine Selbstaussaat per Samenflug mangels Gemüsegärten bei den Nachbarn nicht in Frage.

Wie mochten die beiden putzigen Vertreter ihrer Zunft also zu uns geraten sein?

Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man einen Arbeitskreis macht man erstmal etwas anderes. Auch wenn bloßer Augenschein genügte, um die beiden Möhren nicht gerade als Giganten ihrer Zunft einzustufen, wollten wir es genau wissen.

Apropos Möhrchen… Geht das eigentlich nur mir so, oder treten diese ganzen Fernsehköche wirklich samt und sonders irgendwie im falschen Film auf? Mein Mann hat diese schrecklichen Kochsendungen bisweilen als Hintergrundgedudel laufen, so dass ich automatisch etwas davon mitbekomme. Bisweilen drängt sich da bei mir der Eindruck auf, es ist völlig egal, wen man von diesen Halbgöttern der zweiten Fakultät in Weiß vorgesetzt bekommt. Gefühlt alle von ihnen sind diesem Tick verfallen, alles und jedes über diese bescheuerte Verkleinerung -chen zu verniedlichen: Söß-chen, Kartöffel-chen, Löffel-chen, Teller-chen, Eisbein-chen, halbes Schwein-chen auf Töast-chen… Selbst ein zentnerschweres Bratwerkzeug, bei dem ich nicht der Einbrecher sein möchte, der damit eins über die Rübe gezimmert bekommt, wird im Sprech dieser Gestalten zum Pfänn-chen verkleinert. Ehrlich, das Gerede der Suppenpanscher hört sich doch an, als hielten sie ihre Zuschauerschaft für alles mögliche, aber keinesfalls für Erwachsene von ungetrübtem Verstand. Wenn ich mir das mehr als eine Minute anhöre, komme ich mir regelrecht verarscht vor.

Aber zurück zu unseren beiden ganz besonderen Möhr…en. Eine Vermessung sollte also erfolgen. Es hätte ein Lineal sein können, ein Zollstock/Gliedermaßstab oder so etwas ganz plietsches aus dem Baumarkt mit Laserstrahl und Elektronik. Aber wir griffen zu einem ganz normalen Maßband, weil a.) der Nähkasten einfach am nächsten stand und mir b.) längst die Idee zu diesem Artikel gekommen war. Dieses Maßband hat meiner Mutter selig gehört, und der Abgegriffenheit nach zu urteilen, gehörte es auch zu den Dingen, die vielleicht nicht zu ihrer Aussteuer gehörten, aber zumindest zeitgleich in den frisch mit meinem Vater gegründeten ehelichen Hausstand eingezogen sind:

Eigentlich (zum letzten Mal heute, versprochen) kommt es ganz harmlos daher. Doch in Wahrheit ist es ein ganz raffiniertes kleines Ding, denn in normalem aufgerollten Zustand sieht es genauso harmlos gelb aus wie die Maßbänder, die in den Nähkörben der Mütter meiner Spielkameraden zu Kinderzeiten auffindbar waren. Genau so wie diese ist es in der Lage, Menschen mit einer Körperlänge von bis zu zwei Metern von oben nach unten zu vermessen – oder rundum mit einem Bauchumfang in der selben Meterzahl. Damit man jedoch nie an diesem magischen Ende ankommen musste, gab es auf der Rückseite des Maßbandes etwas ganz ausgefuchstes:

EINE ZWEI METER LANGE DIÄTANLEITUNG!

War das Wirtschaftswunder nicht herrlich subtil in seinen Bemühungen um das Wohlergehen seiner Nutznießer?

Ach ja, ehe ich es vergesse: Die beiden Möhren brachten es auf stattliche Sensationsmaße, wie im letzten Bild für heute höchst anschaulich dargestellt wird:

 

 


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