Das gibt’s nur auf der Verbindungsbahn bei Nacht

Ein einziger Tag reicht für eine Städtereise nicht. Nicht wirklich etwas, das man seinen Zeitgenossen als sensationelle neue Erkenntnis verkaufen könnte. Ganze Generationen von Bus- und Individualreisenden können ein Lied davon singen, viel gesehen zu haben und doch mit dem Gefühl nach Hause gefahren zu sein, etwas verpasst zu haben. Doch selbst wenn man sich in einer Stadt gut auskennt, die Zeiten für die einzelnen Ziele und die Wege zwischen ihnen passgenau planen kann, sitzt man auf der Rückfahrt irgendwie mit dem selben Gefühl im Zug.

Es wäre mir im Traum nicht eingefallen, dass fünfundvierzig Minuten so viel ausmachen können. Bedingt durch Bauarbeiten fuhr mein Stammzug nicht nur zwanzig Minuten später als üblich, als ich am vergangenen Mittwoch zu meinem Tagesausflug aufbrach, durch eine Umleitung war er auch noch fünfundzwanzig Minuten länger unterwegs. Obwohl ich das eingeplant und meine Ziele entsprechend ausgerichtet hatte, schien mir diese Dreiviertelstunde am Ende immer zu fehlen.

Über einen Mangel an Entschädigung dafür kann ich mich allerdings nicht beklagen: Die Sonne verwöhnte Hamburg regelrecht. Kaum ein Wölkchen am Himmel. Der Wind typisch für den Frühling im Norden: In Eimsbüttel, Eilbek und Ohlsdorf still genug, um meine gesteppte Jacke als viel zu warm erscheinen zu lassen, am Hafen pustig genug, um vorsichtshalber einen Schal zu tragen.

Ansonsten gibt es gar nicht so viel zu erzählen. Es war kein Tag für den Blog, es war kein Tag für die Recherchen zum aktuellen Manuskript, es war ein Tag nur für mich. Spazieren, gemütlich Kaffee trinken, ’n büschen shoppen. Keine besonderen Vorkommnisse.

Bis zur Vorbereitung für die Rückreise.

Entgegen meiner anderslautenden Pläne hatte ich diese doch wieder von Altona ausgehend gebucht, nicht ab Hauptbahnhof. Das Einsteigen ist einfach so viel entspannter. Also beendete ich zur gegebenen Zeit meine Einkäufe auf der Mönckebergstraße und ging zur S-Bahn. Die Bahn scheint derzeit wirklich überall zu buddeln, schrauben und sonstwie zu handwerken, deswegen ist auch derzeit der S-Bahn-Tunnel vom Hauptbahnhof via Jungfernstieg, Stadthausbrücke und Landungsbrücken nicht durchgängig benutzbar. Also fuhr ich über die oberirdische Verbindungsbahn via Dammtor und Sternschanze. Viel gab es nicht mehr zu sehen, weil Hamburg längst von der beginnenden Nacht zugedeckt worden war, aber zu hören: Irgendwo schien eine Veranstaltung zu sein, die ziemlich viele Iren in die Stadt gelockt hatte, aus den meisten Gesprächen in der S11 klang die typische irische Sprachmelodie heraus.

Plötzlich übertönte eine andere Melodie den bunten Schnack in der S11. Ein ziemlich lautes Smartphone spielte das Intro zu einer irischen TV-Serie, die ich zufällig auch sehr gerne schaue. Schon da konnte ich mir ein breites Grinsen kaum verkneifen. Doch der Höhepunkt sollte noch kommen: Als die Melodie nach zehn, fünfzehn Sekunden beendet war, brüllte vom anderen Ende des Zuges jemand den Auftakt zu jeder Episode „LADIES AND GENTLEMEN – WELCOME TO MRS BROWN’S BOYS!!!“, gefolgt vom Jubel sämtlicher Iren im Waggon.

Manche Dinge erlebt man einfach nur in Hamburg. Andere wiederum nur auf Zugreisen. Über die Ansagen an Bord der Fernzüge sind ganze Bücher geschrieben worden, und das wird wohl auch so lange weitergehen, bis die Mitarbeiter endlich vernünftig geschult werden.

Selber in einer bahnaffinen Familie aufgewachsen (mein Großvater war lange Jahre im aktiven Fahrdienst tätig) konnte ich gar nicht anders, als jedes Mal heftig zusammenzuzucken. Die Ansage an Bord des IC zurück in die Stadt an der Emscher war nämlich der Albtraum jedes altgedienten Bundesbahners, und auch eventuelle Schweizer an Bord dürften einen leidgeprüften Blick gen Himmel gesandt haben, wenn es nach jedem Halt im schönsten _______________ (Hier sollte eigentlich ein Dialekt genannt sein, aber es war beim besten Willen keiner auszumachen, Hochdeutsch war’s aber auch nicht) über die Sprechanlage kam:

„… an Bord des IC nach Basel, Schweizerischer Bahnhof…“

Es heißt nämlich Basel, Schweizer Bahnhof.

Damit sich die Qual für uns, die wir nicht entfliehen konnten, wenn wir unser Ziel an diesem Tag noch erreichen wollten, auch richtig lohnte, durfte eine Wiederholung des ganzen Zisslaweng im englischen Idiom natürlich nicht fehlen:

„Läydiehsanschintelmänn, welkommebord ze Ei-Ssie tu Basel TZWITSCH Stehschn…“

Das war nicht der einzige Fehler, aber bei weitem der schrecklichste.

Immerhin versuchte der gute Mann am Mikrofon mangelnde sprachliche Finessen durch ein besonders sonniges Gemüt wett zu machen, denn sämtliche Passagiere wurden stets nicht nur herzlich an Bord begrüßt, sondern herzlichst.

Wie dem auch sei, schön war’s in jedem Fall und eine willkommene Auszeit, die ich dringend gebraucht habe. Nach sechzehn Stunden war ich wieder zuhause und sank selig in meine Buntkarierten. Aber ich werde wohl langsam zu alt für solche Marathontage. Düwel ook, was haben am Donnerstag die Knochen geknirscht und die Muskeln gegen jede Bewegung protestiert.

Ob ich’s trotzdem wieder tun würde?

Blöde Frage.