Denn im Wald, da sind die Räuber

Waldspaziergänge gehören zu den Dingen, zu denen man in verschiedenen Phasen seines Lebens ein jeweils anderes Verhältnis hat.

Als lütter Buttscher im Kindergarten- und frühen Schulalter ist der Waldspaziergang mit den Altvorderen ein spannendes Unterfangen, bei dem es Abenteuer zu bestehen gibt oder man es mit wilden Tieren zu tun hat. Nach einem Waldspaziergang mit meiner Großmutter nahe der Steilküste von Dahme war ich als ungefähr Fünfjähriger jedenfalls fest davon überzeugt, dass das Rascheln im Laub ein paar Meter abseits des Weges von einer Schlange gekommen sein musste – mindestens eine Kreuzotter! Wahrscheinlich war es allenfalls eine Blindschleiche oder sogar nur ein Frosch, aber davon hätte es sich bei der Rückkehr in die Ferienwohnung dem gespannt lauschenden Auditorium aus Eltern, Großvater und Hausverwalterin längst nicht so atemlos-aufgeregt berichten lassen.

In den Teenagerjahren kommt die Aussicht auf einen Waldspaziergang mit den gleichen Personen wie o. g. einer Drohung gleich. Hat man doch viel besseres zu tun, z. B. ins Kino gehen oder auf irgendeinem Spielplatz abhängen und klug daherschnacken, wie rückständig die alte Generation doch ist und man es als selbst Erwachsener doch viel besser machen werde (träumt weiter, Kinners). Am wichtigsten sind jedoch die Heldentaten, derer man sich rühmt. In Zeiten, in denen Drachen und Raubritter durch Abwesenheit glänzen, beschränkt sich das hauptsächlich auf Prahlereien, welche Gruselschocker man sich völlig unbeeindruckt „reingezogen“ hat, ohne dabei auch nur mit der Wimper zu zucken. Freddy Kruger und Jason Vorhees sollen ruhig kommen. Pennywise… was soll schon an einem Clown gruselig sein?!

Später dann kommt l’amour, l’amour ins Spiel und ein Spaziergang durch la forêt, Hand in Hand ganz à deux mit der/dem (Nichtzutreffendes bitte streichen) Angebeteten, ist der Gipfel der Romantik und hoffentlich das prélude zum Austausch weitergehender Zärtlichkeiten nach der Rückkehr.

Die nächste Phase ist wie die erste, wobei man sie diesmal als Eltern oder Onkel/Tante erlebt. Nun ist man selber derjenige, der die spannenden Geschichten zu spinnen weiß, von denen die Lütten bei der Heimkehr atemlos erzählen werden.

Mit der fünften Phase hat man das so genannte „gesetzte Alter“ erreicht: Der Waldspaziergang als Mußeübung, um Körper und Gehirn mal ein bisschen zu lüften. Man schreitet langsam über die markierten Wege, grüßt freundlich jeden, der einem begegnet. Die Ruhe in einem ist eins mit der Ruhe des Waldes, in dem kein Lüftchen weht und selbst seine Bewohner sich einer ausgiebigen Siesta hinzugeben scheinen. Bis diese Musik erklingt. Erst ganz leise, kaum wahrnehmbar. Dann kommt sie immer näher. Drehorgelmusik mit Kindermelodien. Sie kommt dahergeflogen, eine Quelle dafür ist nicht auszumachen. Denn im Wald da sind die Räuber? Am Arsch! Hinterm nächsten Baum wartet Pennywise der Clown. Ganz bestimmt!

Es ist dann am Ende aber doch nur eine fröhliche Kindergartentruppe, die da durch den Wald zieht und einen tragbaren CD-Player mit Musik dabei hat. Und man geht heiteren Schrittes weiter.

Trotzdem war mir gestern auf meinem Waldspaziergang für einen Moment lang irgendwie mulmig.

 

 


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