Für immer und ewig

Hier in Deutschland war es bereits Oktober, als plötzlich niemand mehr an heißen südlichen Rhythmen vorbeikam, die sich mit Oldieklassikern mischten. Der Herbst dieses speziellen Jahres gestaltete sich so leidenschaftlich schwül wie der Sommer, in welchem die Filmstory angesiedelt war. Überall wurden Hebefiguren geübt, die Verkäufer von Tanzschuhen meldeten Umsatzrekorde, die Tanzschulen selbiges bei ihren Anmeldezahlen.

Aber vor allem: Was haben wir nicht geschmachtet, geseufzt und geträumt! Je nach persönlicher Disposition wollte man so cool sein wie der Held oder man träumte sich in seine Arme, nämlich an Stelle der Heldin. Heldin und Held des Films hießen übrigens Baby und Johnny.

Baby und Johnny werden dieses Jahr dreißig. Das heißt, ihre Geschichte wird dreißig. Doch was ist eigentlich in den Jahren danach passiert? Hat Baby studiert und die Praxis ihre Vaters übernommen? Hat sie gemeinsam mit Johnny eine Tanzschule aufgemacht? Oder ist sie nur Hausfrau? Sind Baby und Johnny überhaupt noch zusammen?

Diese Fragen wird sich wohl kaum jemand ernsthaft gestellt haben. Wir, die wir 100 Minuten lang mit unseren Heldenpaar geliebt und gehofft haben, wollen so etwas doch gar nicht wissen. Wer eine Wassermelone getragen hat, den kann und will man sich einfach nicht beim Wechseln schietiger Windeln oder beim Fensterputzen vorstellen!

Dirty Dancing hat ein schönes modernes Märchen erzählt. Boy meets Girl – sie verlieben sich, kämpfen für ihr Glück, eine Weile scheint alles verloren, bis sie (und wir!) schließlich doch mit dem Happy End belohnt werden. Danach kommt nichts mehr. Ende, aus, Nikolaus. Für ein Märchen gibt es keine Fortsetzung, nicht einmal eine hypothetische. Dadurch sind Baby und Johnny nicht nur in dem inzwischen gefühlte tausend Mal gesehenen Film um keinen einzigen Tag welker geworden. Dasselbe gilt für unsere Erinnerungen. In beiden wird der Sommer 1963 nie enden.

Es gibt Stories, die kommen so rund daher, dass sie gleich beim ersten Mal perfekt auserzählt sind. Das muss nicht mal ein Happy End beinhalten. Für Rick und Ilsa hat es schließlich auch keins gegeben. Trotzdem hat sich bisher nie jemand an ein 20 Jahre später-Werk gemacht. Wohl auch aus dem gleichen Grund hat es nie eine Neuverfilmung gegeben. Remakes geraten ohnehin in den meisten Fällen so daneben, dass es nicht einmal für ein „Man möchte weggucken, kann es aber nicht, eben weil es so schrecklich ist“ reicht – was man dann an den Einspielergebnissen sieht, die oft nicht einmal die Produktionskosten decken.

Rick und Ilsa werden deswegen auf ewig Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann bleiben. Vivien Leigh und Clark Gable sind für alle Zeiten als Scarlett und Rhett unantastbar. Audrey Hepburn bleibt gleich zweimal unvergessen: Als Holly Golightly und als Eliza Doolittle.

Und jetzt – ausgerechnet im Jubiläumsjahr! – kommen Abigail Breslin und Colt Prattes im wahrsten Sinne des Wortes angetanzt. Keine Ahnung, wer diese beiden Gestalten sind, aber ehrlich gesagt, möchte ich das auch nicht intensiver eruieren. Interessant finde ich nur folgendes: Das Remake von Dirty Dancing war bereits für 2011 geplant, hat also bummelig sechs Jahre für die Fertigstellung gebraucht. Außerdem ist die Kinoveröffentlichung gestrichen worden, das Filmchen läuft gleich im Fernsehen, natürlich von zig Werbeblöcken unterbrochen.

Honi soit qui mal y pense – oder: Baby und Johnny sind eben nicht Abigail und Colt, sondern Jennifer Grey und Patrick Swayze. Für immer und ewig. Basta.

 

 

 


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