Einmal noch nach Bombay

Reisetagebuch Hamburg, Juli 2017 – Teil 7 (Finale)

 

Am Kehraus-Tag geht es dann auch endlich zu Hamburgs neuester Sehenswürdigkeit für den ersten Live-&-vor-Ort-Eindruck…

 

Freitag, 14. Juli 2017

Ich werde davon wach, dass mir ein Gullydeckel auf den Kopf fällt.

Okay, normalerweise schläft man von so einer handfesten Begegnung für immer ein. Es mischen sich ja auch nur Traum und Wirklichkeit. Im Traum habe ich mich mit Enid Blytons Fünf Freunden zusammengetan und wir wollen nach der Erforschung eines Geheimganges wieder in die mondbeschienene Oberwelt zurück. Julian schiebt gerade besagten Gullydeckel beiseite. Ich höre nur noch „Passt auf!“ und dann rummst es auch schon.

Die Wirklichkeit spielt sich ganz prosaisch hier im Hotel ab, und schon seit vorgestern bin ich von dem fasziniert, was sich da über mir tut. Seit über sieben Jahren bin ich nun schon Stammgast in diesem Haus. Ich habe hier Schulklassen auf Abschlussfahrt erlebt, ausgelassene Damen- und Herrengruppen auf der großen Abschiedssause vor dem Eintritt in den Ehestand, trinkfeste Fußballfans aus England. Aber alle zusammen waren sie nicht so laut wie die Person in dem Zimmer über mir (ich weiß, dass es ebenfalls ein Einzelzimmer ist, denn dort war ich auch schon mal einquartiert).

Das Hotel hat wirklich eine gute Schallisolation mit erstklassigem Fußbodenbelag, der jeden Schritt dämpft. Aber der/die über mir muss sich auf irgendeiner Auktion diese metallverstärkten Schuhe gekauft haben, die Fred Gwynne für seine Frankenstein-Figur in The Munsters tragen musste. Und damit tanzt er jetzt Polka.

Rrrrrrrums!

Nein, es ist nicht dieser ganz besonders laute Aufstampfer, der mich jetzt endgültig aus dem Schlaf holt, sondern die Vorstellung von Herman Munster beim Polkatanz, die mich unkontrolliert kichern lässt. Also raus aus den Federn, auch wenn es erst halb sechs ist. Da kann ich mich in aller Ruhe fertig machen, frühstücken gehen und dann meinen letzten Vormittag nutzen.

Es scheint, als würde Hamburgs Wetter sich für sein schlechtes Benehmen der letzten Tag entschuldigen wollen: Zum Abschluss das beste Wetter, das man sich vorstellen kann. Folglich beginne ich den Tag so, wie ich es eigentlich immer mache: Mit einem langen Spaziergang an der Wasserkante.

Der beginnt an der Ericusspitze in der Hafencity. Hier haben sich vor allem ein Wochenmagazin und die zweite große Fernsehsendeanstalt mit ihren Büros und Studios ausgebreitet. Weiter dahinter beginnt der Teil, der unter anderem das Maritime Museum und das Museum für Prototypen aus dem Autobau zu bieten hat.

Beim Maritimen Museum…

… am Brooktorhafen…

… und am Störtebeker-Ufer.

Die Hafencity wird immer lebendiger, je näher sie ihrem Endzustand kommt, auch wenn in der Gegend um die Hafencity-Universität und vor allem den Versmannkai mit der künftigen U4-Endhaltestelle Elbbrücken noch viel zu tun ist. Trotzdem zeigt sich, dass sie derzeit noch vorrangig ein Geschäfts- und kein Wohnviertel ist. Zu den Zeitrahmen für Beginn und Ende der Gleitzeit, also zwischen sechs und neun Uhr bzw. fünfzehn und neunzehn Uhr, herrscht hier Betrieb in einem Ameisenhaufen, danach wird es deutlich ruhiger.

Auch da, wo die Wohnbebauung überwiegt, ist morgens um 8:30 Uhr kaum etwas los, selbst rund um die KiTa St. Annen tut sich so gut wie gar nichts.

Spontan denke ich an den vergangenen Sonntag zurück, der wettermäßig der schönste Tag war, und mir fällt das fröhliche Getümmel auf dem Wasserspielplatz im Grasbrookpark am Kreuzfahrtterminal Chicagokai ein. Da war vielleicht was los – nicht nur die lütten Buttscher tobten auf den Spielgeräten und spritzten sich mit den Wasserpumpen voll, auch die Eltern und sonstige erwachsene Begleitungen ließen so richtig das Kind in sich raus. Gewiss, einige werden sicherlich aus anderen Stadtteilen zu Besuch gekommen sein, trotzdem ist der Kontrast zwischen dem diesen Beobachtungen und der heutigen Ruhe erstaunlich. Nicht mal eine Mutter mit Kinderwagen begegnet mir.

Und auf einmal stehe ich vor ihr:

Die Elbphilharmonie erhebt sich in imposanter Erscheinung vor mir. Es ist kurz vor neun, gleich erst öffnen die Pforten für interessierte Besucher. Der Spaß ist kostenlos, man muss sich aber trotzdem an einem Schalter von einer freundlichen Dame ein Ticket geben lassen. So werden bei großem Andrang die Besucherströme kontrolliert und geregelt. Von Strömen kann allerdings jetzt noch keine Rede sein – nur ein älterer Herr nebst Gattin sowie meine Wenigkeit begehren zu so früher Stunde als Einzige  die Auffahrt zur Besucherplaza.

Das Fazit dieses Besuches gleich vorweg: Die Elbphilharmonie und ich werden in diesem Leben gewiss nicht die allerbesten Freunde.

An dieser Stelle bitte die Schnappatmung einstellen und erstmal in Ruhe weiterlesen!

Es ist nämlich nicht so, dass ich die Elbphilharmonie nicht gelungen fände. Im Gegenteil. Die Architektur und die Ausführung des Ganzen sind atemberaubend. Obwohl sie viel später hinzugekommen ist als alle bisherigen Gebäude, ist sie nicht der Nachzügler, sondern der Taktgeber für die Gestaltung dieses neuen Stadtteils als gelungenen Mix aus altem und neuem Hamburg. Nur gibt es für jemanden, der ständig in Begleitung dieses kleinen Schlingels namens Akrophobie* unterwegs ist, halt ein paar Genusseinschränkungen.

Die geschwungene Rolltreppe zu Anfang geht ja noch. Sie ist auch wirklich absolut eindrucksvoll mit ihrer Regenbogenform und dem herrlich ausgestalteten weißen… ja, wie soll man das eigentlich nennen? „Treppenhaus“ ist viel zu profan – „Treppenkathedrale“ könnte es eher treffen. Ich bin wirklich beeindruckt.

Durch diese hohle geschwungene Gasse muss er kommen, um die Somewhere over the rainbow-Treppe zu fahren. Hinter dem, was oben von der Treppe zu sehen ist, geht es übrigens noch ein ganzes Stück weiter!

Aber kaum auf halber Höhe angekommen, steht man vor einem riesigen Fenster, das in sprichwörtlich glasklarem Zustand den Eindruck erweckt, jetzt ohne Geländer und/oder sonstigen Schutz nur noch einen Schritt vom ungesicherten Sturz in den Abgrund entfernt zu sein. Lediglich die Flecken durch die ein oder andere in vollem Flug dagegen geklatschte und als Opfer für die schönen Künste krepierte Insektenleiche geben mir eine leicht makabre, aber nicht unwillkommene Beruhigung. Trotzdem habe ich mich nicht getraut, ganz nah ran zu gehen. Ich bin auch wirklich dankbar, nicht in einer dicken Traube von Touristen zu stecken, die einen in ihrem Streben nach oben ganz nah an dieses Fenster heranschieben könnte.

Fast oben…

Der restliche Weg zur Plaza genannten Aussichtsplattform führt über ganz normale Treppen, die dank ihrer langgezogenen Stufen recht flach ansteigen und sehr gut zu laufen sind.

Oben angekommen, fallen mir die wellenförmig geschwungenen Glasdrehtüren auf, die hochelegant sind, deren Mechanismus in Verbindung mit ihrer ausgefallenen Form mir als absolutem Technikdummy jedoch absolute Rätsel aufgibt. Wie soll das funktionieren, dass die trotz der Schrägen in der Decke immer bündig schließen? Ich kann nicht mal recht erklären, was ich da sehe, und dummerweise vergesse ich Fotos zu machen.

Auf der eigentlichen Plaza angekommen, verstehe ich, warum es unten Zugangssperren gibt, die den Zufluss von Menschen regulieren sollen. Sie ist durchaus großzügig angelegt, erscheint mir aber dennoch kleiner, als es im Fernsehen wirkt.

Was aber alle Erwartungen übertrifft, ist der Ausblick. Schlichtweg genial! Die Plaza befindet sich ja quasi auf dem Dach des ehemaligen Kaispeichers A, und der beeindruckende neue Glasbau erhebt sich noch darüber, wodurch die Plaza einen geschützten Loggiacharakter hat, dabei dennoch ungeheuer luftig und frei daherkommt. Selbst mein kleiner Begleiter (siehe oben) ist so „geflashed“, so sagt man ja wohl heute dazu, dass er eine Weile Ruhe gibt und mich nach einigem vorsichtigen Vorantasten sogar recht nah am Geländer Fotos machen lässt.

Was für ein Ausblick!

Weil’s so schön war: Gleich noch eins!

Er meldet sich erst wieder, als es die lange Rolltreppe wieder nach unten geht. Und da so richtig! Durch die Regenbogenform kann man nämlich während drei Vierteln der Fahrt nach unten nicht einsehen, wie tief es wirklich hinuntergeht und wo das sichere Ende ist. Ich gebe ganz offen zu, dass ich beinahe vor lauter Panik regelrecht ausgetickt wäre! Sämtliche erlernten Entspannungs- und Ablenkungstechniken, die mich inzwischen das ein oder andere Höhenhindernis recht problemlos überwinden lassen, versagen hier.

Im Resümee finde ich die Elbphilharmonie absolut gelungen, die Lobeshymnen auf sie sind gerechtfertigt und verdient. Bevor ich mich allerdings nochmal auf diesen Olymp wage, werde ich erst recherchieren müssen, ob das auch mit einem Aufzug geht, der dann allerdings auch keine gläserne Kabine mit Blick auf das Innere des Kaispeichers A haben dürfte!

Ich fühle mich dann auch mehr tot als lebendig, als ich endlich wieder unten auf dem festen Beton des Kaiserkais stehe.

Ich brauche definitiv jetzt erstmal eine schöne Latte. Honi soit qui mal y pense – ich meine natürlich die mit dem Nachnamen Macchiato. Meinen tatsächlich gekauften wiederverwendbaren Kaffeebecher habe ich natürlich im Hotel vergessen, aber das ist mir nach dieser Mutprobe nun wirklich scheißegal.

Zeigt sich zum Abschied vor schönster Kulisse: St. Michaelis

Nach einem kleinen Umweg via Michel und Portugiesenviertel (der direkte Weg zu den Landungsbrücken über die Hafenpromenade ist wegen umfangreicher Bauarbeiten seit Jahren gesperrt und der Pfad unter dem Viadukt der U3 hindurch ist nicht wirklich als schön zu bezeichnen) sitze ich mit dem verpönten Pappbecher, heute sogar mal Größe XL, auf meiner geliebten Landungsbrücke 3 und nehme langsam Abschied.

Hamburg, mon amour– wir hatten es dieses Jahr wirklich nicht leicht miteinander, und das hat nicht nur am Wetter gelegen. Ich stand einfach noch zu sehr unter dem Eindruck des nicht wirklich rund gelaufenen Jahres 2016, das viel zu früh eine der größten Veränderungen mitgebracht hat, die jeder Mensch in seinem Leben durchmachen muss. Erst allmählich hat sich dieser Knoten gelöst – aber er hat sich gelöst, und das ist die Hauptsache.

Von meinem Latte Macchiato ist irgendwann nur noch ein letzter Schluck übrig. Verstohlen hebe ich den Pappbecher zu einem kleinen Toast in Richtung Elbe und gehe dann. Ein paar Sachen gibt es vor dem Ausschecken aus dem Hotel nämlich noch zu tun!

Ich gratuliere mir zu meiner eigenen Entscheidung, nicht immer so geizig zu mir selbst zu sein – bei der Hotelbuchung habe ich nämlich fünfzehn Euro Aufschlag investiert und brauche daher erst um vierzehn Uhr auszuchecken und nicht bereits um elf Uhr. Warum ich mir das nicht schon in der Vergangenheit gegönnt habe, ist mir selbst ein Rätsel. Die drei Stunden mehr machen nicht nur was aus, sondern die ganze Sache viel entspannter!

Reiseproviant muss her, der ist schnell besorgt. Viel schwieriger ist die Frage zu beantworten, was ich während der drei Stunden im Zug lese. Dank eines Anfalls von Schusseligkeit ist mein eigentlich vorgesehenes Buch bereits seit gestern auf dem Weg nach Dortmund und bereits ausgeliefert worden, wodurch mein Gemahl meine getragenen T-Shirt eher in Empfang nehmen kann als mich selbst.

Das gehört nämlich zu meinen kleinen Reisetricks: Um dank der gesammelten Urlaubseinkäufe beim Kehraus nicht vor dem Problem von zu wenig Koffer für zu viel Gepäck zu stehen, schicke ich am Tag vor der Abreise immer einen Karton mit den getragenen T-Shirts und Hosen, neu gekauften Plünnen und Souvenirs sowie Kleinkram wie ausgelesenen und für späteren Genuss auf dem Balkon vorgesehenen Büchern per Paketsendung nach Hause zu schicken. Wenn man das geschickt anstellt, ist der Koffer auf der Heimreise sogar leerer als bei der Anreise!

Diesmal war ich nicht so ganz geschickt und habe also auch ein Buch auf die Reise geschickt, das eigentlich mein Begleiter im Zug sein sollte. Also nochmal in meine Stammbuchhandlung. Das dauert weniger lange als gedacht, denn in der englischen Abteilung finde ich doch tatsächlich den gestern erst erschienenen neuen Band aus der von mir so geschätzten Reihe um Detective Superintendent Alan Banks von Peter Robinson. Damit ist es klar: Sleeping in the Ground wird nachher meine Reiselektüre!

Hurra! Ich muss mich auf der Zugfahrt nicht langweilen!

Und dann ist es auch schon Zeit, um das Zimmer zu räumen. Das wiederum macht auch was aus – nämlich die fünf Stunden, die ich in diesem Jahr eher fahre als sonst.

Den letzten Rest in die Koffer packen (nur halb voll – bis auf die Sache mit dem Buch war ich wirklich gut!), den Umschlag mit der Dankeskarte und dem Trinkgeld für das wirklich tolle Team vom Housekeeping fertig machen, die beiden Tafeln Schokolade daneben legen, letzter Blick, ob ich auch nichts vergessen habe, meine Siebensachen gegriffen und dann raus.

Abschied an der Rezeption. Richtig, den Grundrechnungsbetrag von der Buchung habe ich bereits beim Einchecken beglichen. Nein, ich habe die Flasche Mineralwasser auf dem Zimmer nicht getrunken (Vier Euro für einen halben Liter – ja, bin ich denn mall in’n Kopp?! Die selbe Menge von der selben Marke bekomme ich im Supermarkt für neunundsiebzig Cent!). Genau, dann sind wir glatt mit allem. Dankesbekundungen auf beiden Seiten und dann letztlich: „Tschüß, bis zum nächsten Mal.“

Eigentlich könnte ich jetzt direkt am Hauptbahnhof nebenan in die S-Bahn nach Altona steigen, doch ich „krieg’s inne Birne“, wie man so schön sagt, und will noch einmal direkt an der Alster lang laufen. Wirklich weit ist der Weg nicht, also gehe ich via Glockengießerwall und Ballindamm zu Fuß zum Jungfernstieg und steige dort ein.

Natürlich bin ich wieder mal viel zu früh am Bahnhof Altona, aber aufgrund der möglichen Zugausfälle wegen der Bauarbeiten bei der S-Bahn wollte ich nichts riskieren. Noch fünfundfünzig Minuten bis zur Abfahrt. Aber die gehen auch irgendwie rum.

Gestern war ich noch leicht enttäuscht, dass ich nur noch einen günstigen Preis für die Abfahrt 15:33 und nicht wie sonst um 20:33 bekommen hatte. Heute zeigt sich, dass ich (oder in diesem Fall: der DB-Ticketautomat) den richtigen Riecher hatte! Bei allem Abwägen aller möglichen und unmöglichen Einschränkungen durch G20 hatte ich völlig übersehen, dass dieses Wochenende den alljährlichen Schlagermove mit sich bringt. Je näher meine Abfahrtzeit rückt, desto mehr Teilnehmer dieses Events reiten in die Stadt ein. Überall sieht man Grüppchen in schrillen Kostümen, die im Moment vor allem auf eins aus sind: Möglichst schnell den Alkoholpegel zu heben, noch bevor die Veranstaltung überhaupt begonnen hat. Die Gruppe Damen (?) mit den Hawaii-Hemden nebenan auf der Terrasse des Intercity-Hotels ist ganz besonders aufgekratzt. Musik gibt es nicht, also singen sie selber. Melodie- und Textunsicherheiten werden durch Lautstärke und hysterisches Gegacker ausgeglichen. Einige schütten sich dabei heimlich mitgebrachten Jägermeister in ihre 0,5-Liter-Biergläser und geben dem Promillepegel so einen weiteren Boost.

Frage: Wenn eine Veranstaltung offenbar so schrecklich ist, dass man sie nur ertragen kann, wenn man von vornherein sturzbesoffen ist – warum tut man sich etwas dann überhaupt an?!

Endlich wird mein Zug bereitgestellt und ich kann einsteigen. Zwanzig Minuten habe ich jetzt Zeit mich einzurichten, mehr als genug. In der Reihe vor mir macht es sich ein älteres Ehepaar bequem. Körperlich sind sie nicht mehr so ganz auf dem Posten, aber ein große Klappe haben die – köstlich! Ihr flapsiger Umgangston läuft in der Quintessenz auf den legendären Dialog zwischen Lady Astor und Winston Churchill hinaus: „Wenn Sie mein Mann wären, würde ich Ihren Tee vergiften“ – „Und wenn Sie meine Frau wären, würde ich ihn trinken.“ Anders als bei der Lady und dem Sir steckt bei den beiden Hamburger Gewächsen allerdings ganz viel Liebe in den Worten. Das erreicht man nur nach ganz, ganz vielen Jahren zusammen.

Draußen ertönt ein Pfiff, die Türen schließen sich piepend, der Zug fährt langsam an. Elf Minuten herrscht angenehme Ruhe im Zug, dann sind wir in Hamburg Hauptbahnhof. Die Wochenend-Völkerwanderung hat eingesetzt. Es wird voll, und zwar so richtig.

An den Automaten der DB kann man leider keine gezielten Sitzplätze reservieren, ergo habe ich diesmal keinen Einzelplatz, sondern muss mir die Sitzreihe mit jemandem Teilen. Es ist weder der gefürchtete Prollo noch die schwatzhafte Witwe. Tatsächlich nimmt ein männliches Gewächs neben mir Platz, das bei meinen Reisen absoluten Seltenheitswert hat: Er ist attraktiv und unheimlich geschmackvoll gekleidet. Er erinnert mich ein bisschen an den britischen Schauspieler Stephen Mangan, bloß mit glatten Haaren statt der Lockenmähne.

Darüber hinaus hat er eine Figur wie Dirk Nowitzki und weiß deshalb nicht, wohin mit seinen elend langen Beinen. Dadurch komme ich zu der interessanten Erfahrung, einen sehr schlanken Menschen neben mir zu haben, der trotzdem Platz für zwei braucht! Außerdem stimmt er insofern mit besagtem Prollo überein, dass er tatsächlich seinen Laptop aufbaut und irgendeine Serie auf Flatnix (oder so ähnlich) schaut. Es muss irgendetwas gruseliges sein oder  zumindest um etwas sehr kriminelles gehen, denn ständig erhasche ich aus dem Augenwinkel, dass wieder mal jemand gemeuchelt am Boden liegt. Oder im Bett oder auch schon mal halb in einem Backofen.

Damit endet die Übereinstimmung aber auch gleich wieder, denn anders als der Prollo (an dieser Stelle müsste eigentlich ein Buzzer wegen Repetition einschreiten!) trinkt mein Sitznachbar nicht Bier, sondern… Soll ich das wirklich schreiben? Das glaubt mir doch keiner… Egal! Also: Er holt eine kleine Warmhalteflasche raus, die beim Öffnen einen gar lieblichen Duft verströmt nach… Malventee. Da fällt mir doch glatt der Mond ins Maurerdekolleté. Das ist wie bei diesen stiernackigen Typen, die für diese 80er Spielfigur He-Man Modell gestanden haben könnten, und sich dann eine E-Zigarette mit Lavendelduft in den Mund schieben…

Nach zehn, fünfzen Minuten habe ich mich an meinen Reisegenossen gewöhnt, dass ich ihn ebenso vergesse wie die vergehende Zeit, denn der neue DCI Banks ist so spannend, dass ich erst wieder den Kopf hebe, als der Zug über die letzten Weichen vor dem Dortmunder Hauptbahnhof rumpelt. Mein Sitznachbar ist verschwunden, ich habe nicht mal mitbekommen, wann und wo er ausgestiegen ist.

Ende der Reise, der Ruhrpott hat mich wieder. Dortmund ist zwar nicht das von sovielen Seeleuten besungene Bombay, Valparaiso oder Shangai, aber auch von hier geht’s doch immer wieder nach Hamburg zurück…

 

 E N D E

 

PS: So ganz zu Ende war diese Reise übrigens erst nicht unerhebliche Zeit später. Durch etwas, das sich bei der Nachforschung bei den zuständigen Stellen als falsche Sortierung in den Logistikzentren entpuppte, war das oben erwähnte Paket nämlich nicht vor, sondern eine geschlagene Woche nach mir in Dortmund!

 

* für alle Nicht-Griechen: Höhenangst!

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