Pimp my Gulasch

Alle paar Monate kommt es mal vor: Man verspürt einen unbezwingbaren Heißhunger auf etwas und steht plötzlich vor der schweren Wahl zwischen zwei Übeln.

  1. Man hält es aus, weil einem sämtliche Zutaten im Hause fehlen, es aber Sonntag ist und die Mitarbeiter bei den Stammdealern für Lebensmittel der verdienten Ruhe pflegen, sprich: Sämtliche Läden in der Nachbarschaft sind dichter als die Schotten eines U-Bootes.
  2. Man pfeift auf den Anspruch, nur komplett selbst Zubereitetes zu essen, geht zur nächsten Tanke oder zum Hauptbahnhof und zahlt die horrenden Preise dort für das Gericht der Wahl, das man dann in Dosenform nach Hause trägt und nur noch erwärmen muss.

Es gibt die haarsträubendsten Geschichte über Frauen in der Schwangerschaft und die gar fürchterlichen Dinge, zu denen sie fähig sind, wenn sie nicht das in die Finger oder besser zwischen die Zähne bekommen, was ihnen ihr Achterbahn fahrender Hormonhaushalt gerade suggeriert, unbedingt essen zu müssen.

Mein Mann toppt sie alle.

Zumindest, wenn er gerade mal wieder in einer Umstellung seiner Medikamente ist, die er gegen eine chronische Erkrankung nehmen muss. Er schreit dann zwar nicht nach so ausgefallenen Leckereien wie Gewürzgurken im Schokocreme-Mantel, aber er kann eben ziemlich unleidlich werden, wenn seine lukullischen Lüste nicht gestillt werden können.

Foglich war zur Wahrung des sonntäglichen Familienfriedens besonnenes Handeln angesagt, als er gestern verkündete, einen absoluten Heißhunger auf Gulaschsuppe zu haben. Ein schnelles Überfliegen der Vorräte brachte das Ergebnis, es mit den zwei erwähnten Übeln zu tun zu haben.

Zum Glück wollte ich sowieso noch zum Bahnhof, um mir etwas zu lesen zu kaufen, wodurch es kein Problem war, auch noch eben den Schlenker über den kleinen Supermarkt dort zu machen und Dosenfutter mitzubringen.

Als ich wieder zuhause ankam, schlief mein Mann. Müde machen seine Pillen nämlich obendrein. Also kümmerte ich mich höchstselbst um die Zubereitung, wenn man das überhaupt so nennen kann: Dose auf, Inhalt in einen Kochpott, aufs Feuer damit, warten.

„Nicht mehr aufkochen!“ stand als Warnung auf der Dose. Zu dumm – das Blubbern im Topf verrät einem immer so schön, wann das Essen fertig ist. Na gut, dann eben die Methode mit der Kostprobe.

Es schmeckte… interessant. Dabei ist allgemein bekannt, dass dies kein gutes Urteil ist. Selbst ein rustikales „das schmeckt Sch****“ gilt als eine der Vokabel „interessant“ unbedingt vorzuziehende Antwort!

Nun könnte der treue Leser einwerfen, dass ich vielleicht gar nicht mehr weiß, wie Gulaschsuppe zu schmecken hat, da ich doch seit inzwischen fünf Jahren Vegetarier bin.

Einspruch. Es stimmt, dass ich dem Fleisch abgeschworen habe, aber ich habe ebenfalls erklärt, kein militanter Vertreter der Fleischverweigerer zu sein. Die sind mir nämlich selber suspekt.

Mein Mann ist jedenfalls dem Fleisch treu geblieben, und die Dinge, die er selber nicht so gut hinbekommt, koche ich ihm natürlich auch weiterhin. Gulasch kann er zwar bestens, aber ich eben auch, und ich habe durchaus nicht vergessen, wie ein gutes Gulasch zu schmecken hat!

Womit wir wieder beim Dosenfutter vom Hauptbahnhof wären. Das Zeug schmeckte nämlich überhaupt nicht wie Gulasch. Es schmeckte nicht mal wie Ochsenschwanzsuppe, so dass auch die Möglichkeit einer Falschetikettierung ausgeschlossen werden konnte. Es schmeckte jedenfalls nach irgendwas, aber es wurde nicht deutlich, wonach denn eigentlich genau.

Was nu‘? Nach fast zwanzig gemeinsamen Jahren kenne ich meinen Mann gut genug um zu wissen, dass ich ihm mit diesem Fraß gar nicht erst um die Ecke kommen brauchte.

Also den kompletten Inhalt des Gewürzregals auf dem Küchentisch ausgebreitet, die Küchenkräuter vom Fensterbrett dazugestellt und nach Verwertbarem durchforstet.

Basilikum? Nein, nicht wirklich eine für Gulaschsuppe gebräuchliche Ingredienz. Aber Salz fehlte dem Zeug auf jeden Fall, dazu Paprika rosenscharf und edelsüß, etwas gerebeltes Bohnenkraut und Piment…

Bei der nächsten Geschmacksprobe schmeckte das Ganze schon besser, aber nicht viel. Da half auch die Tatsache nichts, dass in diesem Markenprodukt der gepflegten Dosenernährung tatsächlich sichtbare Fleischstücke in bemerkenswerter Menge schwammen und die Bezeichnung als Gulaschsuppe zumindest optisch rechtfertigten. Aber geschmacklich war da partout nichts mehr rauszuholen. Das Zeug blieb „interessant“. Und dann gibt es wirklich Leute, die sowas regelmäßig essen???

Aus dem Wohnzimmer ertönte das Quietschen von Sofafedern, gefolgt von einem tiefen Seufzen und neu beginnendem Schnarchen. Alles klar, mein Mann hatte sich nochmal etwas tiefer ins Traumland verabschiedet.

Das gab mir Zeit. Ich schüttete die Gulaschsuppe durch ein Sieb, so dass mir wenigstens das Fleisch erhalten blieb. Die Flüssigkeit bewahrte ich gar nicht erst auf. Dann briet ich das Fleisch scharf an und streute etwas braunen Zucker darüber, auf dass dieser karamellisierte und das Ganze etwas cross werden ließ. Bis ich dieses ungarische Puzzle dann mit gestern auf dem Markt gekauften Champignons, Paprika, Tomaten, Zwiebeln und etwas Knoblauch (eigentlich war das Zeug für den Salat zum Abendessen vorgesehen!), diverser Gewürze, einem kräftigen Schuss Rotwein und einer Mehlschwitze zum Andicken in einem weiteren Topf zu einem Ganzen zusammengebracht hatte, war dann auch Dornrö… mein Mann wieder wach.

Ich servierte und hoffte inständig, der quasi neu entstandenen Speise das Adjektiv interessant genommen zu haben.

Mein Mann war dann auch voll des Lobes: „Für Dosenfutter ist das aber echt total lecker. Die Sorte müssen wir uns merken.“

Ich hatte schon den nächstbesten Gegenstand in die Hand genommen, als mein Mann doch noch die Kurve kriegte: „Das hast du großartig gepimpt!“

Der Fernbedienung blieb eine zweite Karriere als Veilchen verursachendes Wurfgeschoss erspart und das glückliche Ehepaar beschloss, mal wieder etwas mehr auf Vorrat zu kochen und den Gefrierschrank zurück zu alten Glanzleistungen zu bringen.