„Was bringen wir eigentlich zu Weihnachten auf den Tisch?“
Och, nee – büdde nich‘!
Da verschonen uns zumindest die lokalen Lebensmittelmärkte derzeit noch mit der saisonfremden Dealerei von Pfeffernüssen, Lebkuchenherzen und ähnlichem (was ich sehr begrüße, denn der Geruch von Lebkuchengewürz, Anis und Kardamom hat auf mich fast die gleiche Wirkung wie eine der Leibspeisen meines Mannes), prompt schallt im Gegenzug gleich von mehreren familieninternen Seiten die Frage auf mich ein, was zum Fest der Familienzerwürfnisse serviert werden soll. Kinners, es ist September! Über sowas mache ich mir doch frühestens vierzehn Tage vor dem Tag X Gedanken.
Generell bin ich mit allem einverstanden, solange es keine Pute gibt. Das hat nichts mit meinem liberalen Vegetarierdasein zu tun – schon während der letzten Jahre, als ich noch Fleisch gegessen habe, verspürte ich eine gewisse Abneigung gegen Pute. Dafür gab es einen konkreten Anlass.
Es war kurz vor dem ersten gemeinsamen Weihnachtsfest mit meinem heutigen mir Angetrauten, ist also inzwischen bummelig zwanzig Jahre her. Mein Mann hatte um jeden Preis gefüllte Pute auf die Festtafel bringen wollen und zu diesem Zwecke bei einem Arbeitskollegen, der irgendetwas mit einer Geflügelfarm zu tun hatte, ein solches Tier geordert; bereits geköpft, gerupft und ausgenommen versteht sich. Mein Mann hätte es auch in seinem Urzustand mit Kopf und allem Drum und Dran bekommen können, doch er wusste genau, dass ich mich dann geweigert hätte, an der Festtafel Platz zu nehmen. Ich habe noch nie ein Tier gegessen, das mich zuvor noch angeschaut hat und mir somit persönlich bekannt war.
Eines Tages – das Fest der rieselnden Tannennadeln war quasi nur noch Stunden entfernt – war mein Mann nach vollbrachtem Tagewerk heimgekehrt und hatte wie immer seinen Rucksack umgeschnallt, der an jenem Tag besonders prall gefüllt war, so dass er zu platzen drohte.
„Och nööö, nicht schon wieder Arbeitsanzüge!“, moserte ich. „Ich hab‘ doch vorgestern erst die Klementine vom Dienst gespielt.“
„Von wegen Arbeitsanzüge“, knurrte er grimmig. „Das ist unsere Pute.“
???
„Jawohl“, bekräftigte er. Mit einem lauten Knall stellte er den Rucksack auf dem Küchentisch ab. Unter Zuhilfenahme einer Schere knipste er den Kabelbinder auf, der die beiden Schieber des Reißverschlusses zusammenhielt, worauf der Rucksack sich wie von Geisterhand selbst öffnete.
Eine zielstrebige Plastiktüte drängte ins Rampenlicht unserer Wohnküche. In dieser Tüte steckte ein riesiger rosa Fleischberg. Für einen Moment erwog ich, in meinem Mann einen Nachkommen von Jack the Ripper zu vermuten. Doch diesen wenig karitativen Gedanken verwarf ich recht schnell zugunsten der vagen Erinnerung an seine mehrmalige glaubwürdige Versicherung, die Pute stamme von einer Ökofarm, sei somit gesund und munter (?) verblichen, und mit den richtigen Zutaten und Beilagen (alles bio und so) würde das ein Festmahl ergeben, von dem wir unseren Enkeln (wie soll das denn gehen?!) noch berichten würden – ach ja, und sie sei zudem ein wenig größer und schwerer als man es allgemein gewohnt sei.
Die Erfahrung hatte gezeigt, dass die handelsübliche Pute etwa drei bis vier Kilo wiegt, ergo hatten wir für den Superlativ des Adjektivs schwer ein Gewicht von etwa sechs bis sieben Kilo veranschlagt, aber das, was uns wirklich erwartete, übertraf selbst die abenteuerlichsten unserer Erwartungen um Längen!
Das Vieh war so gut genährt, dass unsere Küchenwaage sich von unserem Ansinnen einer präzisen Gewichtsermittlung gänzlich überfordert zeigte und unter Hinterlassung eines defekten Wiegemechanismus ihren Dienst bei uns kündigte. Erst die Messung auf der Personenwaage ergab ein Gewicht von achtzehn Kilogramm.
Und nochmal, weil’s so schön war:
Achtzehn Kilo.
Für eine Pute.
Gefüllte Pute fiel also aus, denn ihr preisverdächtiges Gewicht wirkte sich auch auf ihren Umfang aus – so von wegen Länge mal Breite mal Höhe. Ein tollkühner Versuch zeigte dann auch prompt, dass unser Backofen viel zu klein war, die Klappe ließ sich nicht mal zur Hälfte schließen.
„Soll ich Oma mal fragen, ob die diesen Wendemotor oder wie das heißt für den Holzkohlegrill noch hat – Spießpute?“
Ich bin ja so hilfsbereit!
„Unterlass gefälligst die dämlichen Witze!“
Puh, da hatte jetzt aber einer schlechte Laune – ICH hatte dieses Mordsvieh doch nicht geordert?!
Zum Glück sagt mir mein Hinterkopf ja doch manchmal, wann es besser ist, den Mund zu halten, folglich nahm ich Abstand von dem Vorhaben, meinen Mann über diesen Sachverhalt zu informieren.
Trotzdem hatten wir ein Problem: Was macht man mit mindestens zweiunddreißig Pfund Pute zuviel? An Heiligabend würden wir mit unserem Nachbarn David als Gast nur zu dritt bei Tisch sein, und über rund sechs Kilo Fleisch pro Nase brauchte man gar nicht erst anfangen zu diskutieren.
Es führte kein Weg an dieser Erkenntnis vorbei: Dieser Brocken ließ sich nur etappenweise genießen. Doch dazu musste das Tier erst einmal in seine Einzelteile zerlegt werden.
„Schatz? Wir haben noch ein Problem.“
„Nein, welche Überraschung“, parierte ich. „Wo doch gerade alles so wunderbar glatt lief. Welches denn?“
„Ich weiß nicht, wie man das Ding korrekt auseinandernimmt.“
Nicht verzagen, Mutter fragen! Meine Schwiegermutter verfügte als staatlich approbierte Hauswirtschafterin über einschlägige Kenntnisse, und das sogar amtlich beurkundet. Her mit dem Telefon!
Was nun folgte, war wie eine Szene aus einem schlechteren Louis de Funès-Film: Mein Mann stand am Küchentisch, hielt mit der einen Hand das Tier fest und schwang mit der anderen das Tranchiermesser. Ich assistierte derweil beim Festhalten, während ich mit der anderen Hand das Funktelefon, aus dem meine Schwiegermutter wie eine Admiralin der Kochtopfflotte die Kommandos gab, an meines Mannes Ohr presste. Fehlte nur noch im Hintegrund noch dieses Spaßlied von den Gebrüdern Blattschuss: Noch ’n Toast, noch ’n Ei, noch ’n Kaffee, noch ’n Brei und darin die Stelle mit dem Yoga im Radio: „Und morgen verrate ich Ihnen die Auflösung des Knotens!“
Wie immer in solchen Situationen war niemand da, der diesen Anblick fotografisch hätte festhalten können! Aber wir schafften es, die olle Pute zu zerlegen, und an Heiligabend zeigte sich, dass schon eine ihrer beiden Brüste vollkommen reichte, um die Teller von mindestens fünf Leuten eindrucksvoll bestücken zu können, inklusive Nachschlag. Die Qualität der Pute sprach nämlich für sich: Das Ding war beim Zubereiten um nicht einen einzigen Millimeter geschrumpft, etwas, dass wir zu unserer Schande sogar ein bisschen bedauerten.
Die restlichen Teile wurden eingefroren und nur nach und nach dem Verzehr zugeführt. Gebraten, gegrillt, gekocht, zu Ragout verarbeitet, im strunzteuren Küchengerät zu pikantem Brotaufstrich verarbeitet und was weiß ich alles – es dauerte über zwei Jahre, bis wir auch den wirklich allerletzten Fetzen Haut für einen Geflügelfond ausgekocht hatten.
Das war genug Pute für ein ganzes Leben – seitdem kann ich das Zeug nicht mehr sehen!
Hinweis: Die Titelgraphik dieses Beitrags stammt aus dem Pool frei verwendbarer Bilder von Pixabay und befindet sich unter dem Vermerk CC0 der Creative Commons in der Public Domain.