Herbst

Seit dem letzten Wochenende lässt es sich nicht mehr leugnen: Es ist Herbst geworden. Der Sommer ist nun wirklich vorbei, die Blätter an den Bäumen werden nun allmählich gelb, gold und braun, bis sie ganz abfallen.

Um diese Zeit im Jahr hat mein Vater führer immer den Koks für den Winter kommen lassen.

Nein, mein Vater ist kein Junkie gewesen, ich meine wirklich den Koks, der aus Kohle gemacht wir. Ich weiß gr nicht so recht, warum mir das ausgerechnet dieser Tage einfällt, ich habe das nämlich nur selber erlebt, bis ich fünf oder sechs Jahre alt gewesen bin, danach hat unsere Vermieterin eine Zentralheizung einbauen lassen. Dennoch kann ich mich auf die Sache mit dem Koks noch ganz gut besinnen. Von O bis O, also von Oktober bis Ostern, ist nämlich nicht bloß eine Faustregel für die Winterreifen beim Auto, früher ist das auch die Zeit gewesen, zu der bei uns auf’m Dorf geheizt wurde. Wenn dir an den letzten drei vier Tagen im September oder sogar mal im August kalt gewesen ist, weil das von Herrn Köpcke versprochene Azorenhoch nicht gekommen ist – tja, Pech! Zieh dir ’ne Extralage warme Klamotten oder mach dir ’ne schöne Tasse Pfefferminztee.

Erst vom ersten Oktober an ist der Kohle- oder Koksofen angeschmissen worden. Aber zuerst ist der Koks erstmal geliefert worden: Der große LKW vom Kohlenhändler gekommen und das bestellte Kontingent ist auf den Bürgersteig gekippt worden. Dann hat mein Vater den Koks eine um die ndere Ladung auf eine Schubkarre geschaufelt, zum Fenster unseres Kokskellers kutschiert und dann auf die Schüttrutsche gekippt.  „Schschschschakkkk“ oder so ähnlich hat sich das immer angehört. Manchmal habe ich ihm mit meiner kleinen Spielzeugschubkarre sogar „geholfen“.

Und dann ist er am ersten Oktobertag mit der großen Kokskanne aus Blech runter in den Keller, hat den Koks für die erste Ladung nach oben geholt, und dann ist der große Ofen mit den Keramikkacheln angeheizt worden. Zwanzig Minuten ist es dann muckelig warm in der Bude gewesen…

Für meinen Vater ist das natürlich ein Berg Arbeit gewesen, aber ich habe mich darauf gefreut wie auf ein romantisches Ritual.

Heute kennt das fast keiner mehr. Du  musst bloß noch einen Knopf an der Steuereinheit drücken und –  zack! – wird ds warm in deiner Butze. Nix mehr mit Ritual. Wenn man ein Ritual haben will, damit sich der Herbst etwas kommodiger anfühlt, muss man sich was anderes einfallen lassen.

Bei mir ist das ganz einfach:

Statt einer Morgenlatte (Macchiato natürlich, ihr Ferkel, die jetzt an was Genierliches denken) gibt es bei mir jetzt  Fencheltee.

Statt nach englischen Krimis mit Mord und Totschlag greife ich jetzt zu den Komödien in meinem Bücherregal.

Statt der Sommerplaylist auf meinem mp3-Player höre ich nun Jazz von Ella Fitzgerald, Curtis Stigers, Greetje Kauffeld und so weiter. 

Zum Mittagessen gibt es keinen  Gurkensalat mehr – wir kochen nun so etwas wie Kälberzähne, wie wir auf’m Land zu Graupensuppe sagen.

Alles so klitzekleine Details, die mir sagen: „Es ist Herbst – nicht wirklich die Lieblingsjahreszeit für so eine Sommerkind wie dich das bin. Aber das ist kein Grund, das nicht so einer feinen, kommodigen Zeit zu machen.“

Aber wisst ihr, was mir wirklich sagt, dass nun Herbst ist? Das Gebölke von meinem Mann, wenn wir abends zu Bett gehen und noch ein bisschen kuscheln: „Hau bloß ab mit deinen kalten Füßen!“

Dabei sind die gar nicht kalt – höchstens vielleicht ’n bisschen frisch.

Und selbst wenn… Ich sage ihm immer, dass er aus dieser Nummer nicht mehr rauskommt. Bei unserem Ja-Wort hat die Standesbeamtin doch gesagt: „… in guten wie in schlechten Zeiten, mit warmen wie mit kalten Füßen!“

Aber er glaubt mir das nicht!