Heiße Erotik. Naja… beinahe

Eine Nacht wie geschaffen für den Höhepunkt des romantischen Wochenendtrips. Ich stehe auf dem Balkon unseres wunderbaren Hotelzimmers und genieße den Blick auf die historische Häuserreihe am Nyhavn. Der Vollmond und Millionen funkelnder Sterne spiegeln sich im Wasser des historischen Kopenhagener Hafens. Mein Mann tritt hinter mich und drückt mir sanft einen Kuss in den Nacken…

„Ein bisschen trocken, die Luft hier“, flüstert er sachte.

Ich nicke verstehend und drehe mich zu dem kleinen Tisch neben mir. Ich greife nach der Champagnerflasche. Vergeblich suche ich nach dem Anfang dieses kleinen roten Fadens, mit dem man die Folie um den Korken entfernen kann.

„Gedulde dich noch einen Moment“, hauche ich und verschwinde im Zimmer. Wo ist bloß meine Lesebrille abgeblieben? Ohne dieses Ding geht wirklich gar nichts mehr. Vorhin beim Essen im Restaurant am Langeliniekaj musste ich mir sogar das Tofuschnitzel von meinem Mann schneiden lassen, weil ich das verdammte Guckeisen im Hotel vergessen hatte und völlig aufgeschmissen war. Vorhin hatte ich sie doch noch, als ich mir die Zähne geputzt… Ah! Im Bad! Richtig, da ist sie ja. Jetzt wieder schnell raus.

„Da bin ich wieder“, flöte ich, als ich wieder auf den Balkon trete.

„Ich habe dich schon vermisst“, raunt mein Mann.

Ist das nicht herrlich? All diese Jahre zusammen und immer noch verliebt wie am ersten Tag. Ich will meinen Mann jetzt unbedingt küssen. Er ist anderthalb Köpfe größer als ich, also muss ich auf den Deckchair steigen, um an ihn heranzukommen.

Oder besser doch nicht. Vor einer Woche wollte ich zuhause etwas von einem Schrank herunterholen, und die Bergsteigerei auf einen Küchenstuhl hat mir einen ausgewachsenen Hexenschuss beschert.

Also mache ich es mir einfach und ziehe ihn zu mir herunter.

Böser Fehler. Es knackt, mein Mann schreit auf. Der Halswirbel, damit hat er schon seit Monaten Last. Verschleiß, hat der Doktor gesagt.

Kurze Unterbrechung zwecks Einreiben mit Schmerzsalbe. Ein leicht alkoholischer Odeur schwebt durch den Raum, aber der ist längst nicht so angenehm wie das Bouquet des Champagners, den wir hoffentlich heute irgendwann noch genießen können!

Zurück auf den Balkon. Nach weiteren fünf Minuten habe ich endlich die Folie abgefriemelt und Level zwei freigeschaltet: Ich drehe an diesem Draht, der den Korken hält. Es ist eine ziemliche Fummelei und dauert ewig, die Finger sind nicht mehr so geschickt wie einst. Mann, sind meineFingerknöchel heute wieder geschwollen.

Na, toll! Jetzt ist der Draht gebrochen und ich habe mir zu allem Überfluss eine Spitze davon tief in den Daumen gebohrt. Pflaster her!

Mein Mann macht inzwischen kurzen Prozess. Er nimmt das Schwert, das eigentlich nur Zierde ist, von der Wand über unserem Bett und schlägt den Flaschenhals ab – wie ein Künstler im Zirkus. Das kann er gut.

Mit einem Fingerkuppenverband kehre ich aus dem Bad zurück und schalte im Vorbeigehen die Stereoanlage ein. Sanfte Musik erfüllt die Nacht. Mein Mann stellt die gefüllten Champagnergläser wieder ab, nimmt mich in die Arme und wir tanzen. Als er mich in eine besonders schwungvolle Drehung einschwenkt, gerate ich ins Stolpern. Ich kann mich inzwischen nicht mal mehr im Bett umdrehen, ohne dass mir schwindelig wird. Nur ein beherzter Griff meines Mannes hindert mich daran, über die Balkonbrüstung abzugehen und im Hafenbecken zu landen. Die Brille ist mir trotzdem von der Nase geflogen.

Jetzt aber endlich der Champagner. Der will ganz, ganz langsam genossen werden. Denn alles, was den nächsten Schritt verzögert, ist höchst willkommen. Der Auftakt zur erotischen Sinfonie ist nämlich auch nicht mehr das, was er mal war. Wenn man sich das T-Shirt über den Kopf zieht, knackt die Wirbelsäule, vorher dauert es ewig, bis man sich gegenseitig die Hemdknöpfe aufgetüddelt hat, und vom Ausziehen der Stützstrümpfe will ich gar nicht erst anfangen.

Nur nicht dran denken. Her mit dem Schampus!

Wir nehmen die Gläser, prosten uns mit einem schelmisch-verliebten Augenzwinkern zu, heben die Gläser an die Lippen…

Die feinen Sprudelperlen des Champagner steigen uns in die Nüstern. Unsere Nasen kräuseln sich. Wir müssen gleichzeitig niesen. Kopf in den Nacken, „Haaaaatschiiii!“, Kopf nach vorne geschleudert. Wir stoßen mit den Köpfen zusammen, sehen Sterne und liegen gleich darauf benommen auf dem Fußboden. Beim Niesen haben wir uns eingenässt, meines Mannes Halswirbel hat sich endgültig ausgeklinkt und bei mir feiert der Hexenschuss ein furioses Comeback…

An dieser Stelle bin ich gestern Morgen ENDLICH aufgewacht. Schweißgebadet. Zum Glück habe ich das alles nur geträumt – aber ich fürchte, sowas in der Art kommt in der Tat auf meinen Mann und mich zu, wenn wir unser goldenes Jubiläum in der Realität feiern. Dann schreiben wir nämlich das Jahr 2048 und sind schlappe 75 bzw. 78 Jahre alt.

Reizende Aussichten!


Hinweis: Die Titelgraphik dieses Beitrags stammt aus dem Pool frei verwendbarer Bilder von Pixabay und befindet sich unter dem Vermerk CC0 der Creative Commons in der Public Domain.