Winston Churchill wird ein Bonmot zugeschrieben, das die Wichtigkeit von Feinden und sonstigen Gegnern betont – so etwas zeige, dass man sich für etwas in seinem Leben starkgemacht hat.
Das kann ich durchaus unterschreiben.
Ein anderes Sprüchlein wesentlich neueren Datums und aus den USA besagt: „Von den harten Zeiten wird man also stärker? Dann könnte ich inzwischen alleine einen Cadillac in die Höhe wuchten.“
Auch das ist nicht ganz verkehrt.
Gerade als offen lebender Gay ist man immer wieder in der Situation, seinen Platz im Leben zu behaupten. Es härtet einen tatsächlich ab. Irgendwann gelangt man an den Punkt, an dem einen einen scheinbar nichts mehr erschüttern kann.
Betonung auf „scheinbar“.
Denn wenn man glaubt, wirklich alles erlebt zu haben, kommt irgendein Zeitgenosse mit einem echten Knüller um die Ecke.
Gestern war ich auf der üblichen Tour durch die Praxen des medizinischen Hofstaates meines Mannes, Rezepte und Verordnungen abholen. Im Laufe der Jahre hat man sich bei unzähligen Termine aneinander gewöhnt und wechselt auch schon mal das ein oder andere Wort des Smalltalks – „Schönes Wetter heute, nicht wahr?“ und so weiter. Man spricht relativ ungefiltert, ergo rede ich auch ganz unbefangen von meinem Mann: „Ich wollte die bestellten Rezepte für meinen Mann abholen“ – „Haben wir schon fertig. Auf dem einen fehlt allerdings noch die Unterschrift von Herrn Doktor. Neben Sie doch bitte noch einen Moment im Wartezimmer Platz.“
Fünf Minuten später kriegt man dann den gewünschten Papierkram in die Hand gedrückt, verbunden mit der Bitte: „Grüßen Sie Ihren Mann von uns!“
Gestern war es ganz genau so. Bloß als ich das Wartezimmer diesmal verließ, ertönte hinter mir eine Stimme. In bestem, hoch strengen Paukerdeutsch, das einen sofort panisch hinterfragen lässt, ob man auch seine Hausaufgaben gemacht hat, sagte die mit strengem Dutt und Haarnetz frisierte alte Dame Marke Oberstudienrätin a. D., die mir gegenübergesessen hatte, zu ihrer jungen Begleitung: „Hast du ihn dir genau angeschaut, Felicitas? So einen Mann nennt man einen Homosexuellen. Merk dir diesen Fachbegriff.“
Also, ehrlich – ich habe mich in meinem Leben von Sprüchen über Gays beleidigt gefühlt, von vorn bis hinten verarscht, liebevoll so angenommen, wie ich bin, und was weiß ich noch alles.
Aber dass ich wie das Plastikskelett im Biologieunterricht als Anschauungsobjekt pseudowissenchaftlich betrachtet wurde, war echt neu.