Wenn ich an jedem Donnerstag um kurz vor acht für meinen allwöchentlichen medizinischen Termin das Haus verlasse, ist das ein Routinemarsch wie der Weg zum Job: Feste Strecke, festes Ziel, immer die gleichen Leute, immer zur gleichen Zeit. Einziges Zeichen von Veränderung sind die Blätter an den Bäumen im Kreislauf der Jahreszeiten. Selbst der Aufbau des hässlichsten Adventsgesteckes der Welt, also des riesigen Weihnachts-„Baumes“, auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt ab Ende Oktober wird nicht viel anders wahrgenommen. Nämlich gar nicht. Weil es Gewohnheit ist.
Heute Morgen habe ich es dann doch mal wahrgenommen: Das Ding scheint für die Saison 2018 fertig zu sein. Ist auch gut so, morgen und übermorgen soll die Beleuchtung zum ersten Mal offiziell eingeschaltet werden. Quasi die Generalprobe für den Weihnachtsmarkt. Am Totensonntag ist dann noch mal Stille, ehe es am Montag richtig losgeht.
Wie? Jetzt schon?
„Mir ist noch gar nicht so richtig nach Weihnachten“, ist einer der Sätze, die ich in letzer Zeit am häufigsten höre. Geht mir auch so. Mein Fremdeln mit Weihnachten hat allerdings nichts mit einem plötzlichen Ausbruch von „Früher war Weihnachten schöner“-Nostalgie zu tun. Mit dem warmen Wetter schon eher, was allerdings auch nur ein Teil des kompletten Puzzles ist.
Es geht mal wieder um das gute alte Stichwort „Erkenntnisse des Älterwerdens“. Als Jugendlicher vehement negiert, heute widerwillig akzeptiert. Natürlich hatte die Generationen vor mir recht: Je älter du wirst, desto schneller scheinen die Jahre zu verfliegen. Was natürlich Quatsch ist. Ein Jahr hat nach wie vor 365 (manchmal auch 366) Tage zu vierundzwanzig Stunden mit 60 Minuten, von denen jede wiederum aus 60 Sekunden besteht.
Wie beim Wetter die Temperatur ist halt auch die Zeit etwas, das sich zwischen real und gefühlt unterscheiden lässt. Ist es wirklich schon neun Monate her seit dem letzten Besuch im Theater? Und schon fast vier Monate seit dem Sommerurlaub? Halloween, Beginn der Karnevalssession – der ganze Scheiß ist schon gelaufen? Dafür hat der Verkauf von Winterklamotten viel später begonnen, eben weil es so lange so warm war. Wer kauft bei fünfundzwanzig Grad schon eine Steppjacke, einen Schal und Wollhandschuhe? Letzte Woche bin ich noch in kurzen Klamotten zum Jogging gewesen!
Fühlt sich so der aus einschlägigen Fernsehserien bekannte „Riss im Raum-Zeit-Kontinuum an“? Keine Ahnung. Ich habe als Teenager diesen ganzen Tünkram um das zweite Raumschiff Enterprise immer nur geguckt, weil ich damals Jonathan Frakes so ausnehmend attraktiv fand…
Irgendwie ist alles aus dem Takt geraten. Erdbeeren an Heiligabend, das ekeligste Gemüse von allen noch im Mai. Flip-Flops am 11.11…. Wenn das so weitergeht, wird der langweiligste Weihnachtsfilm von allen irgendwann noch im Hochsommer ausgestrahlt, damit man ihn beim Grillabend auf der Terrasse gucken kann…
Jedenfalls habe ich den Eindruck, dass die gefühlte Zeit noch schneller vergeht, als man es diesem Effekt des Älterwerdens ohnehin schon nachsagt.
Gerade jetzt beim Schreiben schnappe ich etwas aus der Sendung auf, die mein Mann nebenan im Wohnzimmer schaut. „Alles im Jahr hat seine Zeit.“ Ja, eben nicht (mehr). Früher war bestimmt nicht alles besser – ich jedenfalls habe keine Ambitionen, nochmal die lebendige Fernbedienung für den Haushaltsvorstand (bzw. den, der sich dafür hält) zu spielen, nur weil dieser keine Lust hat, seinen Hintern selber vom Sofa zu lupfen!
Aber es war irgendwie sortierter, geordneter – und das machte den eigenen Weg durchs Jahr zumindest weniger verwirrend.
Weihnachten also in 32 Tagen. Wirklich? Wir könnten in knapp vier Wochen genauso gut eine Orgie der Antike mit Vestalinnenweihung und Hetärentanz feiern. Die Aussicht darauf würde sich nicht weniger fremd anfühlen.