oder: Der unbeabsichtigten Vinyl-Trilogie letzter Teil
(Teil 1 findet sich übrigens hier, und Teil 2 ist hier nachzulesen)
„Bin ein Mann wie jeder Mann“ lassen Loewe und Lerner ihren Professor Higgins singen. Nun muss man nicht erst in eine Vorstellung von My Fair Lady gehen, um diese Phrase zu hören – wohl jedes männliche Wesen wird sie für sich beanspruchen. Bilde ich da eine Ausnahme? Nö. Egal, ob gay, straight, bi oder was es sonst noch geben mag; es gibt Dinge, die wir alle gemeinsam haben. Zum Beispiel der Umgang mit unseren Spielzeugen. Sobald ein Mann ein neues Spielzeug hat, wird sich eine Weile exzessiv damit beschäftigt, bis irgendwann im Idealfall ein normaler Umgang damit gefunden wird. Oft genug erlischt das Interesse auch ganz.
Von letztem ist bei mir nicht auszugehen – dazu bin ich schon viel zu lange Fan von Vinyl und Schellack. Meine erste Vinyl-Platte habe ich vor mittlerweile 41 Jahren selber aufgelegt, als meine Eltern mir dank zu diesem Zeitpunkt noch anzugedeihender Schulbildung noch ein X auf dem Etikett einer Single aufmalen mussten, damit ich auch wirklich das richtige Lied abspielte.
Wie dem auch sei – seit ich vom Saftschubser den gebrauchten Plattenspieler bekommen habe, höre ich mich durch viele alte Scheiben aus dem Nachlass meiner Mutter selig. Und ich versuche gerade, mir folgendes vorzustellen:
Das Haus meiner Großeltern im Jahr 1965. Eine Hochburg der Wirtschaftswunderspießigkeit. So richtig mit „guter Butter“ und einem Ei zum Sonntagsfrühstück und Sofazierkissen, deren Dekofalten meine Oma mit Handkantenschlägen da reingehauen hat, auf die Jackie Chan neidisch gewesen wäre. Ferner im Angebot: Regelmäßige Ausfahrten ins Grüne mit dem familieneigenen VW-Käfer (natürlich bezahlt, der Herr des Hauses bringt das beste Gehalt der Nachbarschft nach Hause), gepflegter Samstagabendunterhaltung mit Kulenkampff, Frankenfeld & Co. und Speisefolgen bei Familienfeiern, die Clemens Wilmenrod Tränen der Rührung in die Augen getrieben hätten. Man kennt das.
Meine Ma ist diesem Zeitpunkt zarte 16 und lernt ganz bodenständig Kosmetikfachverkäuferin. Ort der Ausbildung ist eines der beiden großen Kaufhäuser am Platze, welches auch über eine Schallplattenabteilung verfügt. Ganz der typische Backfisch (für die jüngeren Leser: Teenager) ihrer Epoche, gibt meine Mutter viel von dem für ihr Vergnügen bestimmten Teil ihres Geldes in just dieser Abteilung aus. Ein, zwei Jahre zuvor waren das noch recht harmlose Vinylscheiben mit zeitgenössischem Liedgut aus heimischer Produktion. Doch inzwischen hat die British Invasion begonnen, und das nicht nur in den USA – auch Kontinentaleuropa bleibt nicht verschont.
Dies hat zur Folge, dass meine Mutter eines schönen Tages nach Feierabend die in der folgenden Begleitillustration abgebildete Schallplatte nach Hause mitbringt:

Der Stein bzw. die Platte des Anstoßes
Adieu, Peter Kraus – hello, Mick Jagger! Mit diesem Neuerwerb geht sie in ihr typisches Backfischzimmer. Legt die Platte auf. Und mein Opa, ein Beamter der ganz, ganz, ganz konservativen Schule (also völlig hinterm Mond lebend) echauffiert sich ganz furchtbar über diese Vandalenmusik (Symbolbegriff, die von meinem Opa tatsächlich verwendete Vokabel ist heute nicht mehr tragbar).
Kinners, ich sag’s euch: Mein Kopfkino hat gerade ein schärferes Bild als jeder moderne in HD gedrehte Film!